Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

aus der sich die verhaltene, jedoch ungemein intensive Stimmung des Bildes ergibt und die den Maler als einen großen Schilderer seelischer Vorgänge erweist - all dies läßt zunächst und vor allem Einflüsse aus dem Bereich der italienischen Trecento-Kunst vermuten. Freilich müssen es andere Bezirke der nachgiottesken Malerei gewesen sein als jene, aus denen die höhmische Stilentwicklung schon seit den Hohenfurther Tafehi des mittleren 14. Jahrhunderts so viele und wichtige Anregungen bezogen hatte, ohne doch jemals zu einem mit dem St. Pöltener Blatt ver gleichbaren Resultat zu gelangen. Es ist im beschränkten Rahmen unserer Studie nicht möglich, die Wurzeln dieses zweifellos ungewöhnlichen künstlerischen Phänomens bis in ihre Verästehmgen bloß zulegen ; es muß daher genügen, wenn wir die Vermutung äußern, es sei hier gar nicht ein unmittelbarer Zusammenhang mit Italien selbst bestimmend gewesen, sondern eher die Kenntnis gewisser Haupt leistungen französischer, namentlich der für Jean de Berry tätigen Illuminatoren. Das Gesamtbild etwa, das die neuere Forschung von der in hohem Maße italienisch inspirierten und doch (im nordwesteuro päischen Sinn) ,,gotischen" Kunst eines Jacquemart de Hesdin gewonnen hat, kann deutlich machen, was wir mit diesem Hinweis meinen^^. Der großzügige, in einem flachen und sehr subtil modellierten Relief gehaltene Faltenstil einiger Hauptfiguren in der Nürnberger Kreuzigung (wie auch in der dortigen Geißelung), die Freiheit der Bewegungen in schmalen, aber überzeugend angedeuteten Raumbühnen, der Mut zum reinen Profil oder zu starker Verkürzung, der spürbare seelische Kontakt zwischen den Personen und nicht zuletzt auch die gedämpften Pastelltöne des Kolorits-wie Lila, helles, oft gelbliches Grün, Rosa und Lichtblau -, das alles sind Qualitäten, die bei Jacquemart und in seinem Umkreis immer wieder begegnen und die unserem St. Pöltener Illuminator in eben dieser Kombination von dorther - glauben wir - eher vermittelt werden konnten als aus irgendeinem anderen künstlerischen Zentrum seiner Zeit^^. Die Frage, wie eine solche (und zugegebenermaßen überraschende) Beziehung begründet werden könnte, sei für den Augenblick aufgeschoben, um zimächst noch einmal auf das schon erwähnte Kanonhild des Hasenhurg-Missales zurückzukommen (Abb. 4). Wir haben weiter oben festgestellt, daß diese böhmische Miniatur von einem Rahmen umgeben wird, der dem unseres Nürnberger Blattes in wesent lichen Zügen Amrgleichbar ist; fügen wir irun noch hinzu, daß auch die Gekreuzigten heider Kanonbilder dem gleichen seltenen Typus angehören, der mit straff durchgestrecktem Körper eine kaum wahrnehm bare Drehung vollzieht, so daß Hüfte und Beine ein wenig nach rechts gewendet sind, die Brust frontal gesehen wird und das Haupt sich nach links neigt. Deimoch - und obwohl es sich in beiden Fällen um vielfigurige Kompositionen handelt, die noch dazu annähernd zeitgenössisch sein dürften - verwirklicht jedes der zwei Blätter eine jeweils grundverschiedene künstlerische Konzeption. Das in zwei bild parallelen und sehr seichten, mehr über- als hintereinander gestaffelten Raumschichten aufgebaute böhmische Kanonbild gehört voll und ganz jenem mitteleuropäischen ,,Weichen Stil" an, als dessen kostbarstes Zeugnis aus dem Bereich der Buchmalerei es rechtens gilt. Alle seine Figuren stehen unter dem Zwang der vorderen Bildfläche: ihr zuliebe breiten sie die Fülle reichgefalteter Gewänder aus, auf sie beziehen sich alle ihre Bewegungen, und auch jede Kopfwendung, jede seitlich geführte Aktion erhält ihre Signifikanz von jenem Winkel, um den sie von dieser imaginären Ebene abweicht. Wie sehr sich das St. Pöltener Kanonblatt durch sein stärker entwickeltes Raumgefühl und zugleich auch in seiner dramatischen Aussagekraft von einer solchen mehr dekorativen Lösung unterscheidet, lehrt am eindringlichsten die Gegenüberstellung der beiden Gekreuzigten. Wohl gehören sie dem gleichen Typus an, und doch wird das Sterben Christi im Hasenburg-Missale nur auf maßvoll sentimentale Weise zelebriert, wo es in dem St. Pöltener Blatt mit voller Wucht erlebt wird. Qualvoller sind hier die Finger um die Kreuznägel gekrampft, wie ein gedrehter Strick scheint der Körper gespannt, der Kopf lehnt sich nicht mit gebrochenem Blick seithin an die Schulter, sondern ist mit geschlossenen Augen und zähnehleckend verzerrtem Mund jäh nach vorne gesunken. Diese Neigung aus der Fläche heraus Vgl. O. Pacht, Un tableau de Jacquemart de Hesdin ? (La Revue des Arts VI, 1956, S. 149ff.). Hier ist der Stand der Jacqueraart-Forschung umrissen und das vermutlich definitive Bild dieses Künstlers überzeugend skizziert. Man wird hier vor allem an den Frühstil Jacquemarts denken dürfen, wie er uns etwa in den ,,Petites Heures du duc de Berry" entgegentritt (vgl. Pacht, a. a. O., Fig. 27). Analogien zu den beiden in ein besorgt-vertrauliches Gespräch vertieften Juden der Nürnberger Kreuzigung bieten sich noch überzeugender in späteren Miniaturen Jacquemarts und seiner Nachfolge (ebenda, Fig. 5, 6 und 29, 30).

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