Nürnberger Initialen entweder aus dem von Bredt geschilderten Pergamenthandel „nach Gewicht" oder aus einem der charakteristischen „scrap books" des 19. Jahrhunderts, also schon aus einer älteren privaten Fragmenten-Sammlung, an das Germanische National-Museum in Nürnberg übergegangen sein mögen. Als nächstes stellt sich uns die Frage nach dem stilgeschichtlichen Ort dieser bedeutenden Handschrift. Das Kanonbild (Abb. 6), das sich als größte und reichste Miniatur der künstln'storischen Analyse in erster Linie anbietet, scheint in ikonographischer wie stilistischer Hinsicht so ungewöhnlich, daß wirklich schlagendes Vergleichsmaterial kaum beizubringen ist. Der Hinweis auf Böhmen, der sich schon bei Bredt findet'^ und der von Kletzl noch spezifiziert wurde^®, verdient jedenfalls Beachtung. So stimmt die Nürnberger Kreuzigung mit dem Kanonbild des Hasenburg-Missales der Österreichischen Nationalbibliothek^® bezüglich der Rahmenform weitgehend überein; das böhmische Beispiel (Abb. 4) weist ebenfalls Eckmedaillons mit Evangelistendarstellungen (freilich in anderer Reihenfolge und in stark abweichender ikonographischer Fassung) auf, und auch das vom Rahmen ausgehende Rankenwerk ist zumindest in seiner Anordnung vergleichbar. Noch aufschlußreicher scheinen die vielen Einzelheiten, die unser St. Pöltener Illuminator aus der böhmischen Tafelmalerei des späten 14. Jahrhunderts, insbesonders vom Meister von Wittingau und seiner Nachfolge, übernahm. Da sind etwa die Soldaten gruppen mit ihren charakteristischen Rüstungen, mit ihren schweren Lanzen und Hellebarden und mit dem als bärtiges Männergesicht geformten Schild; bis in Details entsprechende Figuren finden sich in der Ölberg-Tafel des Wittingauers und in der Kreuzigung von St. Barbara, die aus seiner Schule stammt^". Die Maria der Nürnberger Kreuzigung scheint Motive zu kombinieren, die an den beiden linken Frauen gestalten der Wittingauer Grablegung getrennt begegnen: Hier hebt sich der Kopf der weiter hinten stehenden Figur im reinen Profil von der Goldscheibe des Nimbus ab, während die vordere hinsichtlich der Drapierung des Mantels über Kopf und rechter Hand völlig mit der Nürnberger Maria übereinstimmt^i. Ikonographische und Gewandmotive aus den New Yorker Initiahniniaturen finden Ent sprechungen in der Nachfolge des Wittingauers noch bis in das frühe 15. Jahrhundert. Diesbezüglich ist der Vergleich der Marientod-Initiale (Abb. 3) mit der Anbetung des Kindes in Frauenberg (Hlubokä) aufschlußreich; in beiden Fällen werden die weich knitternden Faltensockel der knieenden Marienfiguren identisch angeordnete^. Allerdings wird man sich hüten müssen, aus derartigen Beobachtungen den Schluß zu ziehen, unsere St. Pöltener Handschrift sei unmittelbar der böhmischen Entwicklung einzuordnen. Gewiß hat ihr Illuminator böhmische Originale oder zumindest von dorther inspirierte Vorlagen gekannt, doch muß er zugleich noch ganz andere Quellen benützt haben. Der ein wenig eklektizistische Charakter seiner Kunst wird besonders deutlich, wenn man das Nürnberger Kanonbild näher analysiert. Das Haupt motiv dieser Komposition (Abb. 6) entstammt ganz offenkundig einer normalen Drei-Figuren-Kreuzigung, wie sie um 1400 in der Buchmalerei die Regel und auch in der Tafelmalerei vorherrschend war. Dieses Schema, dem sich auch der unter dem Kreuz knieende Stifter noch zwanglos einordnet, wurde jedoch mit einer Fülle heterogener Motive gleichsam hinterlegt und so zu dem in Meßbüchern recht seltenen Typus einer ,,Kreuzigung mit Gedräng" ausgebaut. Während sonst in vielfigurigen Kompositionen dieser Art links die ohnmächtige Maria von Frauen umsorgt oder von Johaimes gestützt und die rechte Bildhälfte vor allem den Soldaten und dem römischen Hauptmann eingeräumt wird, bleiben in dem Nürnberger Blatt die beiden Assistenzfiguren eigenartig isoliert; ihre großen und einfachen Gesten kontrastieren umso eindrucksvoller mit dem dichten Gedränge der anderen Gestalten im Hintergrund^®. " Vgl. Anm. 11. Kletzl, a. a. O., S. 63f., hält die Nürnberger Fragmente für Jugendwerke jenes böhmischen Illuminators, den er als Meister A eines Missale Pragense in Zittau (Stadtbibliothek cod. A VII) bezeichnet. Soweit man nach Reproduktionen urteilen kann, ist diese Vermutung ziemlich abwegig. Cod. 1844; für den Prager Erzbischof Sbinko von Hasenburg bestimmt und 1409 datiert. Vgl. A. Matöjcek-J. Pesina, Gotische Malerei in Böhmen (Prag 1955), Taf. 91 und 114. Matßjcek-Pesina, a. a. O., Taf. 105. 22 Matöjcek-Pesina, a. a. O.. Taf. 117. Für die ikonographische Konzeption unserer Initiale vergleiche man ferner die böhmische Tafel mit dem Marientod in Nürnberg (ebenda, Taf. 171). Die aus der gleichen Werkstatt stammende Budapester Verkündigung (ebenda, Taf. 172) weist eine ähnlich lose, doch unbestreitbare Verwandtschaft mit der ent.sprechenden Initiale des Züricher Blattfragmentes (Abb. 1) auf. 23 Der Normaltyp der vielfigurigen Kreuzigung wird um 1331 mit der bekannten Rückseitentafel des Verduner Altars in die
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