ARCHÄOLOGIE UND AUTOBAHN Jedes Bauvorhaben, das mit Erdbewegungen verbunden ist, kann ein Eingriff in den Bestand ur- und frühgeschichtlicher Dokumente sein. Die Zeugnisse früher menschlicher Kunst und Kultur ruhen, in überwiegender Zahl dem Blick entzogen, im Erdboden. Bei jeder Aufgrabung besteht daher die Gefahr ihrer Beschädigung oder ihrer Zerstörung. In zunehmendem Maße wird dieser Vorgang noch durch moderne Maschinen, durch Bagger, Schubraupen, Motorpflüge usw. beschleunigt, die in Baugewerbe und Landwirtschaft Verwendung finden. Es ist bedauerlich, daß sich der Wert prähistorischer und archäologischer Funde in Schillingen nicht ausdrücken läßt. Die Summe der jährlichen Verluste wäre alarmierend. Weit bedenklicher aber ist die Tatsache, daß Jahr für Jahr auf diese Weise der Wissenschaft historische Dokumente aus schriftloser Zeit, unersetzliche Erkenntnisquellen für Prä historie und Archäologie im allgemeinen, wertvollste Denk mäler der frühen Geschichte unseres Landes im besonderen verloren gehen. Auch den Museen entgeht so manches wichtige und schöne Ausstellungsobjekt. Um dem anwachsenden Verkehr Rechnung zu tragen, ist es notwendig, das Straßennetz zu verbessern und neue Fahr bahnen anzulegen. Damit aber sind stets umfangreiche Erd bewegungen verbunden, vor allem bei Neubauten. Ist der Verlauf der künftigen Straße im Gelände fixiert, treten Bagger und Bulldozer in Aktion und pflügen durch das Gelände, hier einen Hügel einebnend, dort eine Mulde auffüllend. Sorgsam wird der Humus vorerst abgezogen und deponiert; später trägt man ihn wieder für den Grünbewuchs auf die Straßenböschungen auf. Zur Einebnung der Trasse werden oft viele Tonnen Erdreich und Schotter herangeführt. Archäologische Funde, seien es nun Gräber, Wohnstollen reste, Mauern und dergleichen, lagern im allgemeinen, je nach geologischer Beschaffenheit des Bodens, technischen Voraus setzungen oder überliefertem Brauchtum, in ur- und frühgeschichtlicher Zeit zwischen 30 cm und etwa 2 m unter dem heutigen Bodenniveau. Sie werden also auf jeden Fall auch von der geringsten Erdbewegung erfaßt. Der Autobahnbau in Österreich wird sich immer mit dem Fundwesen auseinanderzusetzen haben, weil vor allem Donau raum und Voralpengebiete zu jenen Landstrichen gehören, die das weitaus dichteste Siedlungsbild seit der Altsteinzeit auf weisen. Projiziert man die Autobahntrasse auf eine KarteL in welcher die Fundstellen festgehalten sind, kann man folgendes feststellen: die künftige oder bereits bestehende Autobahnstrecke führt einerseits durch ehemals dicht besie deltes, anderseits durch scheinbar fundfreies Gelände. Beide Beobachtungen sind bedeutungsvoll und richtungweisend für die Arbeit des Archäologen und des Denkmalpfiegers. In einem Fall überblickt man die unmittelbar gefährdeten Fund stätten, im anderen wird das archäologische Neuland offenbar. Weiße Stellen auf Fundkarten bedeuten bekanntlich nur Forschungslücken, die gelegentlich der umfangreichen Erd bewegungen, wie sie der Straßenbau mit sich bringt, erfolg reich geschlossen werden könnten. Schon 193.5, im Zuge des Baues der Wiener Höhenstraße, einer bescheidenen Vorläuferin der heutigen Autobahn, berührte 1 Vgl. hiezu die Fundkarten in den Atlanten von Niederöster reich, dem Burgenland und Salzburg. man die seit langem bekannten hallstattzeitlichen Wohnstellen und das keltische Oppidum auf dem Leopoldsberg^. Das damals geborgene Fundmaterial verwahrt das Historische Museum der Stadt Wien. Auch nach 1938, als der Autobahnbau in großem Rahmen geplant und begonnen wurde, blieben Funde nicht aus. Sowohl im Raum von Wien als auch in Kärnten durchquerte die Streckenführung Kerngebiete alten Siedlungs bodens (Abb. 89). In Vösendorf^ südlich von Wien kamen 1940/41 dorfartige Wohnzentren der Jungsteinzeit, der älteren Urnenfelderzeit, der Hallstatt- und Latenezeit sowie ein Friedhof der Urnenfelderzeit zutage. Die Fundobjekte sind im neuen Historischen Museum der Stadt Wien zu sehen. War Vösendorf für die vorchristliche Archäologie aufschlußreich, so war Baldersdorf unweit Spittal a. d. Drau^ für die Provinz archäologie der nachchristlichen Epoche eine reiche Quelle neuer Erkenntnisse. Auf diesem Baulos, das in Kärnten noch vor Kriegsbeginn in Angriff genommen worden war, stieß man in ganz geringer Tiefe auf Mauerreste, die zu einem heiligen Bezirk mit zwei Tempeln und einem Kultbau gehörten, sowie auf Eisenverhüttungsanlagen und Wirtschaftsbauten aus keltisch-römischer Zeit. Die Gebäude konnten damals durch den Denkmalpfleger Kärntens freigelegt werden, die Klein funde verwahrt das Museum in Spittal a. d. Drau. Daß die archäologische Feldarbeit in Baldersdorf gleichzeitig mit dem Straßenbau stattfinden konnte und durch diesen nicht nur nicht behindert, sondern gefördert wurde, war der obersten Bauleitung zu danken, die den Aufgaben der Denkmalpfiege großes Verständnis entgegenbrachte. Ähnlich lagen die Dinge in Vösendorf, allerdings waren die Bergungen dort weit mühe voller. Als vor wenigen Jahren in Österreich neuerdings mit dem Groß straßenbau begonnen wurde, sah sich das Bundesdenkmalamt vor die Aufgabe gestellt, die Autobahnbaustellen in sein Arbeitsprogramm aufzunehmen, um so mehr als es sich um ein Projekt des Bundes handelt und den Landesmuseen, die ihre eigenen archäologischen Unternehmen zu bewältigen haben, eine zusätzliche Belastung nicht zugemutet werden konnte. Der Weg, den die Denkmalpflege hier zu gehen hat, ist vor gezeichnet und gleicht im wesentlichen jenem, den auch die Schweiz und Deutschland in der gleichen Situation einge schlagen haben: 1. Erwirkung der Beiziehung des Bundesdenkmalamtes zu den Verhandlungen der obersten Bauleitung bei Festlegung der Streckenführung. 2. Erwirkung der Bekanntgabe von Trassenplänen und des genauen Baubeginns der einzelnen Baulose. 3. Vornahme notwendiger Ausgrabungen vor Baubeginn. 4. Ständige Kontrolle der laufenden Erdbewegungen auf allen Baustellen. o. Bereitstellung ausreicliender Geldmittel. Übereinkommen mit der Bauleitung bezüglich. Übernahme der Kosten für kurz fristige archäologische Bergungsarbeiten. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß diese fünf Punkte ein Idealprogramm darstellen, dessen Verwirk lichung kaum je gelingen wird. Dementsprechend war es der Denkmalpflege bisher kaum möglich, systematische Arbeit im Rahmen des Autobahnbaues zu leisten, 2 Fundberichte aus Österreich II, 1936. S. 105. 3 Fundberichte aus Österreich IV, 1952, S. 40f. ^ H. Dolenz, Ausgrabungen in Baldersdorf, Carinthia I, 132, 1942, S. 28f.
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