wird immer ein Rest übrigbleiben: eben jener, der sich aus den vielfachen Bedingtheiten ergibt, denen alles Lebendige unterliegt. Dennoch glauben wir, daß die Brücke, die von der Theorie zur Praxis führen muß und deren Pfeiler unter dem üppigen Bewuchs der Nachkriegspraktiken sichtlich Schaden genommen haben, neu konstruiert werden sollte. Es ist heute nicht mehr angängig, die Theorie unter Berufung auf die Notwendigkeit der ,,Entscheidung von Fall zu Fall" abzutun. Diese Art zu entscheiden ist das Vorzeichen, unter dem jede pflegliche Maßnahme an einem Monument betrachtet sein will, und sie bedeutet nichts anderes, als daß unter den möglichen Wegen, die bei einer Restaurierung begangen werden können — die eindeutigen Fälle sind erfahrungsgemäß nicht allzu häufig —, jener eingeschlagen wird, der dem Wesen des Objektes am besten entspricht. Dieser Weg aber muß auf der ,,carta" unseres Faches verzeichnet, er darf nicht nur ,,prak tisch", sondern er muß auch theoretisch gangbar sein, und er muß auch dort überprüfbar bleiben, wo er im Schatten der Imponderabilien liegt. Es sind also zwei ganz verschiedene Dinge, die unter die Generalposition des ,,caso per caso" — übrigens die große Entdeckung der Generation unmittelbar vor uns (und damals war es in der Tat eine Entdeckung) — ge flüchtet wurden, und die wieder säuberlich zu trennen, höchst notwendig geworden ist. Die Unklarheit erreicht oft ein beacht liches Maß. So bedürfte zum Beispiel der Begriff des Original zustandes einer gewissen Präzisierung. Was wollen wir unter den vielen ,,Originalzuständen", die uns bei Restaurierungen vorgesetzt werden, nun wirklich als Originalzustand betrachtet wissen? Die Achtlosigkeit, mit der dieser einer unserer wichtig sten Begriffe gehandhabt wird, hat viel Verwirrung gestiftet und verursacht fortlaufend Mißverständnisse. Dabei ist - dem Wortlaut nach — natürlich jener, der eine Rekonstruktion mit diesem Begriff belegt, ebenso im Recht wie jener, der darunter den ursprünglichen, unverändert erhaltenen. Zustand eines Kunstwerkes versteht, wie jener andere, der eine Summe von historischen Zuständen unter den einen Begriff flüchtet. Kann es so etwas wie die,, Wiederherstellung'' des,, Originalzustandes" etwa durch Freilegen einer im 19. Jahrhundert übermalten spätgotischen Fassung einer romanischen Schnitzfigur über haupt geben? Es wird auch in solchen Fällen von Original zustand gesprochen, und zwar mit Recht, denn der Zustand findet innerhalb des Begriffes durchaus Platz. Aber: wäre eine Klärung dieser Wirrnis nicht dringend zu wünschen? Schwierig wie immer ist es, sich mit den Ergebnissen der ,,gestaltenden" DenkmaliDflege auseinanderzusetzen. Wir wissen, wie schwer, um nicht zu sagen unmöglich es ist, eine einigermaßen klare Grenze zwischen die ,,exakte" (ich bin mir der Fragwürdigkeit dieser Bezeichnung sehr wohl bewußt) und die ,,gestaltende" denkmalpflegerische Methode zu legen. Dennoch läßt sich vielleicht eine solche Grenze ziehen: Solange nämlich bei einer Restaurierung die Möglichkeit besteht, den aus dem Wesen des Denkmals sich ergebenden Endzustand mit Mitteln zu erreichen, die das Denkmal selbst zur Verfügung stellt (Mittel also, die, ohne in die Rekonstruktion einzu münden, auf Grund eines eingehenden Studiums des Objektes und seiner Geschichte aus ihm selbst heraus mobilisiert werden können), solange hätten Gestaltungsversuche zu unterbleiben. Wir erblicken immer noch in der Bewahrung der ,,über lieferten Erscheinung und der künstlerischen Wirkung" eines Objektes die Hauj)taufgabe der Denlonalpflege. Wir haben es oft genug erfahren, daß für die Erhaltung eines Denkmals hohe Preise bezahlt werden müssen und daß es oft nur dem ,,ge staltenden" Einfluß der Konservatoren zu danken war, wenn der Preis sich in halbwegs erträglichen Grenzen hielt. Dessen ungeachtet wollen wir bei unserem Streben, denlcmalpflegerische Maßnahmen gegen die Willkür subjektiver Inter pretation abzuschirmen, das umstrittene gestaltende Moment nur dort wirksam werden sehen, wo es die ultima ratio, aber wirklichdie ultimaratio darstellt.Bei dem hohen Grad der Zerstörung vieler Kirchen und anderer Objekte z. B. in Deutschland war dieses Element unvermeidbar; wir haben auch mit größter Genugtuung die berufenen Konservatoren sich von manchen Lösungen distanzieren sehen. Jedenfalls gehört gerade dieses Kapitel zu jenen, die sich in der Theorie nicht fassen lassen. Natürlicher Takt, ein stets weiterent wickeltes künstlerisches Empfinden und Qualitätsgefühl, vor allem aber unablässiges Lernen ohne Vorurteile und gründliche Kenntnis des Geschehens im In- und Ausland müssen hier an die Stelle der Theorie treten und die subjektiv zu treffenden Entscheidungen auf eine möglichst breite Basis stellen. Genügend Verwirrung stiftet auch die Rekonstruktion, die, gar im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau zerstörter Kunststätten, keinesfalls a priori abgelehnt werden kann. Gerade hier aber wäre sehr genau zwischen Originalzustand und ,,Originalzustand" zu unterscheiden, denn die Erhaltung der ,,Idee" eines Denkmals und die Erhaltung eines Denkmals selbst sind sehr verschiedene Gedanken und Vorgänge. Wir waren in dieser Hinsicht in Spanien vor manches Rätsel gestellt, wobei wir freilich die gründliche wissenschaftliche Vorbereitung, die Konsequenz und die Qualität der Aus führung mancher Projekte ehrlich zu bewundern Gelegenheit hatten. Im allgemeinen scheint die starke Seite der Denkmalpflege zur Zeit ziemlich überall in der Durchführung technischer Maß nahmen zu liegen. Statische Sicherungen, Auswechslung von Stützen unter schwersten Bedingungen, Unterfangungen und Versteifungen von Baumassen und dergleichen, aber auch Übertragungen ganzer Bauwerke oder einzelner Teile, beson ders auch die mit Wandgemälden oder Mosaiken angestellten Manipulationen, zeigen eine Eleganz der Lösungen, die be merkenswert ist. Freilich geht es auch hier ohne eine gewisse Weitherzigkeit gegenüber dem jeweiligen ,,Originalzustand" nicht ab, und es ist verwirrend zu sehen, daß eine Mauer das eine Mal wie ein kostbares Tafelbild behandelt wird, während ein anderes Mal die Substanz eines wertvollen Freskogemäldes so zerlegt wird, daß die Einheit seines natürlichen Zustandes aufgehoben erscheint. So waren denn für uns östen'eichische Konservatoren besonders lehrreich die Einblicke in die technischen Möglichkeiten der baulichen Sicherung alter Bestände und die Einsicht in die dringende Notwendigkeit einer planmäßigen (wenn auch maß voll betriebenen) wissenschaftlichen Dokumentation; von großem Gewinn waren auch die Eindrücke städtebaulichdenkmalpflegerischer Art und die beruhigende Gewißheit schließlich, daß auch anderswo ,,mit Wasser gekocht wird". Die Jahrestagung 1959 der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger der Deutschen Bundesrepublik fand in der Zeit vom 1. bis 6. Juni in Hamburg und in Schleswig-Holstein statt. Wir haben die Gelegenheit, eine österreichische Dele gation dahin entsenden zu können, besonders dankbar begrüßt,
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