Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

P. PONS-SOROLLA Y Arnatj, Madrid DIE ÜBERTRAGUNG DER KIRCHE SAN JUAN UND DAS NEUE DORF PUERTOMARIN Das Problem. Ein Baudenkmal an einen Ort zu übertragen, für den es ursprünglich nicht bestimmt war, ist eine technisch heikle und mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbundene Aufgabe; vor allem müssen aus wissenschaftlichen Gründen die wesentlichsten Elemente des Bauwerkes bewahrt bleiben. Auch bei größter Gewissenhaftigkeit können Einzelheiten, die auf das Milieu und die natürlichen Gegebenheiten des Ortes Bezug haben, in Verlust geraten. Wir pflegen daher grundsätzlich diesem ,,kleineren Übel" nur in Fällen von absoluter Notwendigkeit zuzustimmen. Diese Notwendigkeit ergibt sich zum Beispiel bei der Aufstauung von Flüssen im Zusammenhang mit der energiewirtschaftlichen Versorgung des Landes. Eine Gruppe von Kunstdenkmälern, die zur Über flutung und damit zum Untergang verurteilt war, hat uns dazu gebracht, ihre Übertragung in Angriff zu nehmen. Der erste Bau, der in Spanien aus diesem Grunde übertragen wurde, war die westgotische Kirche San Pedro de la. Nave iir Zamora, ein Vorhaben, das wegen seiner großen kimstgeschichtlichen Bedeutung vor mehr als dreißig Jahren von Architekt Alejandro Ferrant mit großer Gewissenhaftigkeit durchgeführt wurde. Seit sechs Jahren führt der Verfasser dieses Artikels die Übertragmig von romanischen Kirchen des 12. und 13. Jahrhunderts an den Ufern des Mino in Galicien durch, die durch die Errichtung von Stau stufen zur vollständigen Nutzbarmachung des Flusses überschwemmt werden sollten. Ebenso befinden sich die Kirchen San Juan de Coba und San Juan de Chouzan (im zweiten Fall mußten romanische Fresken übertragen werden) nun ungefährdet in unmittelbarer Nähe ihres ursprünglichen Standortes. Zur Zeit wird das bedeutendste Werk dieser Art durchgeführt, der Bau einer neuen Siedlung, die das alte Puertomarin ersetzen und seine bedeutendsten Kunstwerke beherbergen soll. Es handelt sich um einen Baukomplex, der sich aus den Stadtteilen San Juan und San Pedro zusammen setzt, die zu beiden Seiten des Mino liegen und die durch eine romanische Brücke direkt verbunden sind (Abb. 26*). Die Brücke wurde gegen 1125 erbaut und besitzt eine interessante, dem hl. Jakob (Santiago) gewidmete Kapelle, die heute noch als Ruine vorhanden ist; über sie führte der Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Die beiden Stadtteile tragen den Charakter einer mittelalterlichen Stadt und besitzen verschiedene Bauwerke von großer architektonischer Bedeutung, allen voran die Wehrkirche San Juan aus dem 12. Jahrhundert (Abb. 28, 29). Das erste der gestellten Probleme ergab sich aus der Unmöglichkeit, die mittelalterlichen Stadtteile als städtebauliche Einheiten zu übertragen. Sowohl die Ärmlichkeit des bei den meisten Bauten verwendeten Baumaterials als auch der Anachronismus, der sich ergeben würde, wenn man die umgesiedelten Bewoh ner dazu zwingen wollte, in einem künstlichen Dorf unter unannehmbaren Bedingungen aus dem 14. und 15. Jahrhundert leben zu müssen, haben von Anfang an jeden Gedanken an eine ,.Nachbildung des Dorfes" im I^eime erstickt. Es wurde jedoch eine vollständige, dokumentierte Studie mit Photographien und Modellen angefertigt (vgl. Abb. 26), um auch der Nachwelt die Kenntnis des Ortes zu vermitteln. Das neue Puertomarin wird auf einem Hügel in der Nähe seines alten Standortes liegen. Die Anlage und die Bauten werden sich nach den Ergebnissen der Studien richten, die über die Bedürfnisse und die Lebensweise seiner Bewohner sowie über die topographischen und klimatischen Bedingungen angestellt wurden. Hinsichtlich der ästhetischen Gesamterscheinung hat man sich bemüht, den Ort harmonisch auf die Architektur der Region abzustimmen, und es geschieht dies mehr durch die Verwendung der gebräuch lichen Proportionen und des Baumaterials — Stein, Ziegel und Holz — als durch das Nachahmen traditioneller Formen (Abb. 27). Bei der Planung war immer der Gedanke an den möglichen Standplatz der übertragungsfähigen Bauten, an die günstigsten Perspektiven und ihre Funktion in der Gesamtanlage ausschlaggebend. * Die Vorlagen zu sämtlichen Abbildungen dieses Aufsatzes stammen vom Verfasser. 6 Denkmalpflege 4Q

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