Alle bekannten Beispiele der Zeit vermögen jedoch keine befriedigende Vergleichsbasis für das Ver ständnis des Lambacher Hirten zu geben. Das punotum saliens ist die Taube. Aus einer Sichtung der Hirtenstellen des Alten und Neuen Testamentes®® geht hervor, daß Joh. 10,1-16 den besten Ausgangs punkt für einen Deutungsversuch gibt: in der Hirtenrede bezeugt Christus gleichnishaft sein Amt als Messias. Es kann als gesichert gelten, daß hier der eigentliche Schlüssel zum Verständnis der frühchrist lichen Hirtengestalt gegeben ist. Sie wird nicht nur in der Symbolik des Schrifttums, sondern auch in der allgemeinen Anschauung als Logoshirte im Sinne der Gleichsetzung Christus-Logos erfaßt®®. Aus diesem Lebensbereich schafft die frühchristliche Kmrst neben Darstellungen, welche die Taube im Zusammen hange mit dem Guten Hirten zeigen, jedoch infolge ihrer besonderen Symbolik außerhalb unseres Inter esses liegen®', auch solche, die dem Lambacher Hirten inhaltlich sehr nahekommen: es ist dies die alle gorische Darstellung des Hirtenamtes und auch Lehramtes Christi®®. So zeigt z. B. das Arkosolmosaik in der Katakombe San Gaudioso zu Neapel die Geisttaube über dem Kreuz, welches Christus hier vertritt, flanltiert von Lämmern®®. Sinngemäß ist diese Darstellung eigentlich identisch mit Lambach : die Taube als Zeugnis für die Gottheit Christi'®, welcher somit als der von den Lämmern umstandene Logoshirte erscheint. Es ist nun die Frage, wie dieser altchristliche Bildgegenstand in das frühe Mittelalter gekommen ist. Vollständige formale .Analogien zur Lambacher Szene konnten bis jetzt weder in der Spätantike noch in der karolingischen und ottonischen Kunst gefunden werden. Wohl gibt es den Guten Hirten in der Romanik auch mit der losen Anordnung der Schafe, wie etwa das Perikopenbuch von St. Eren trud zeigt'i, jedoch fehlt die für die besondere Gegenstandsbedeutung wichtige Taube. Andererseits gibt es eine Anzahl von Taubenerscheinungen bei verschiedensten, nicht nur evangelischen Szenen'^. Allen gemeinsam ist die Grundbedeutung der Theophanie, der Erscheinung des Göttlichen. Bei der Pantokratordarstelhmg mit Seraphim in der Kuppel des Baptisteriums von Concordia'®, welche man in dieser Ausbildung mit Taube fast als eine ikonographische Tautologie bezeichnen könnte, wird dies besonders augenscheinlich. Es dürfte also doch wohl eher an der Tatsache der spärlich über lieferten Monumentalmalereien liegen, daß die Verbindung normaler Hirtenszenen mit der Taube so außergewöhnlich erscheint. Für Lambach ist dabei auch noch zu bedenken, daß die eigenartige zyklische Bindung der Szenen diese theophanische Ausdeutung der Hirtenparabel neben der Tauftheophanie besonders verstehbar macht. Darüber hinaus ist festzustellen, daß durch die Taufliturgie seit altersher Bezüge zum Thema des Guten Hirten bestanden haben'^. Endlich wäre noch auf die Exegese des frühen Mittelalters zu Joh. 10,1-20 hinzuweisen. In kompilatorischer Weise wird durch Jahrhunderte an den Gleichnissen gedeutet, in denen sich Christus ,,Hirt der Schafe" und ,,Tür zu den Schafen" nennt. Im Brennpunkt steht die rätselhafte dritte Figur des ,,ostiarius". Auch er ist letztlich Christus, doch ,, . . . si forte tibi vohmtas est aliam quaerere personam ostiarii, Spiritus sanctus est, de quo ipse Dominus discipulis suis alt: Ipse vos docebit omnem veritatem", rät der auf älteren Texten fußende Alkuin'®. Auch Rupert von Deutz formuliert Gesammelt und kritisch behandelt bei Kempf, op. cit., S. 15ff., 26ff., 31ff. Id., S. 28ff., 97ff. A. de Waal, Der gute Hii't auf Gemmen, in : Itöm. Quartalschi'. 29, 1915, >S. 11 Iff.; Fr. 8ühling, Die Taube als religiöses Symbol im ohri.stlichen Altertum, ibid. 24. Supplementh., Freiburg i. Br. 1930, S. lOOf. Fr. Gerke, Der Ursprung der Lämmerallegorien in der altohristliohen Plastik, in: Zeitschrift für die noutestamentliche Wissen schaft und die Kunde der älteren Kirche 33, Berlin 1934, S. lOOff., bes. 168ff., 195, Anm. 86. A. Bellucci, Ritrovarnenti aroheologici nolle cataoombe di San Gaudioso e di Sant'.Eufebio a Naiioli, in: Riv. archeol. crist. XI, 1934, fig. 7 in p. 93. iSühling, op. cit., S. 14ff. '1 G. «warzenski, Halzburger Malerei, Textb. 86, Tafelb. LVll/180: zur Perikope Joh. 10,11. " A. Goldschmidt, Die Elfenbeinskulpturen III, Berlin 1923, Taf. V/13 (Kruzihx), XlV/51 (Maiestas), XLVl/132 (Geburt Christi); 8warzenski, Salzburger Malerei, Taf. ClX/368 (Verkündigung); C. R. Dodwell, The Canterbury School of illumination 1060-1200, Cambridge 19.54, pl. 10a (David); Storia di Milano III, Abb. in p. 17 (Heinrich 11.); Sühling, op. cit., S. 198ff. A. Grillmeier, Der Logos am Kreuz, München 1956, S. 61, 70. Ferner bei Evangelisten, Kirchenvätern, Heiligen, etc. Zovatto, Concordia e Ratisbona, in: Fede e arte VI, 1958, p. 310, flg. 4 in p. 312. Der Hinweis auf dieses Objekt wird O. Demus verdanlit. J. Quasten, Das Bild des Guten Hirten in den altchristlichen Baptisterien und in den Taufliturgien des Ostens und Westens, in: Antike und Christentum, Erg. Bd. 1 ,,Pisciculi" (1939), S. 220ff., bes. 231 ff. Migne, P. L. 100, col. 886D-887B. Zur Kommentarkompilation des Johannesevangeliums bei Alkuin vgl. A. E. Schönbach, loc. cit., S. 43ff., bes. 53ff.
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