Edmund Theil. Die frühen Wandgemälde der Prokuluskirche in Naturns, Meran, Laurin-Verlag, 1959, Kleiner Laurin-Kunstführer Nr. 1 Eine Hochflut an Untersuchungen, Beschreibungen, Stellung nahmen kreist um die fi'ühen Malereien in Sankt Prokulus seit der Entdeckung 1912 und seit dem erst nach dem Weltkrieg möglichen Abschluß der Freilegung 1923 (Berichte von Josef Garber bzw. Giuseppe Gerola). Auch heute, nach 35 Jahren, scheint jene Flut noch nicht im Abflauen. Wieder haben sich seit 1957 fünf Forscher mit ,,dem Heiligen auf der Schauker" und den Bildern rund um ihn beschäftigt. Kleeberg hat - ein sehr dankenswertes Unternehmen - die in 67 verschiedenen Schriften geäußerten Ansichten und Meinun gen in seiner Beschreibung der Gemälde übersichtlich neben einander und gegeneinander gestellt und überläßt es dem Leser, das für ihn Brauchbare herauszulösen. Ganz bewußt vermeidet er Theorien ,,zu bekräftigen oder anzuraten" (S. 34), da doch solcher Meinungsstreit vielleicht am intensivsten den ,,Unbe fangenen an die reizvolle Kunstoftenbarung" heranzuführen vermag. Denn das sei - ,,wo Eindeutigkeit schlechterdings nicht zu erreichen ist" — die lebendigste Art aller Kunstbetrachtung. In vollem Gegensatz zu solcher Selbstbescheidung geht Emerich Schaffran seine eigenwilligen und ganz konkret präzisierten Wege. Sie gipfeln in der scharfen Sonderung, ja Kontrastierung verschiedener Künstlerhände, von denen der Hauptmeister, der ,,Franke", sicher vor 750, vielleicht sogar vor 700 gearbeitet hätte. Den Maler des Triumphbogens ordnet Schaffran wie üblich ein und sieht in ihm einen Süddeutschen oder Bayer (so schon Zykan) ,,unter dem Einfluß der IrischSt. Gallener Buchmalerei". Der Frühdatierung Schaffrans freilich wird man nicht folgen können, auch wenn er seine Ansichten mit vielerlei, oft ein wenig autoritär vorgetragenen Gründen durchzusetzen sucht, wobei ihm mehrfach das Miß geschick passiert, teils eigene Behauptungen aufzustellen, die nicht haltbar sind, teils solche von älteren Autoren zu wieder holen, die bereits widerlegt \vurden. So wird S. 10 bis 13 ver gebens auf Thekla und das Paulusmartyrium verwiesen, wo doch die Haltung der Gestalten in der Gruppe links von der Paulusflucht für eine Donationsszene geradezu typisch ist. Dankenswert ist die Sorgfalt, mit der für die Einzelheiten Vergleichbares zusammengetragen wird, S. 27 etwa für das ,,Sigel" Nasen-Augen die Beispiele in den Miniaturen (hiezu u. a. noch die für den Stil von Naturns so wesentliche Crucifixus-Seite aus den Paulusbriefen in Würzburg, Universitäts bibliothek Cod. Mp. theol. fol. 69), die sich einheitlich zwischen 750 und 780 datieren lassen; doch wird dann, S. 49, in einem merkwürdigen Hasenhaken gefolgert, daß die Wandmalerei notwendigerweise in eine ältere Phase gehöre, weil Großwerke auf kleinere einwirken, nicht aber umgekehrt. Doch auch andere Denkmäler (Elfenbein von Genoels-Elderen, auch eher um oder nach 750, oder S. 53 die Fresken von Ternand, 9. Jahi*- hundert, u. a.) vermögen dafür keine Stütze zu bieten. Eben sowenig verfangen allgemeine Argumente (Fehlen irischer Reminiszenzen nur vor 750 erklärlich, Fehlen langobardischen Einflusses deute gar auf die Zeit vor 700). Eindeutig aber spricht ein äußeres Kriterium, worauf Theil aufmerksam macht: daß wegen ,,Überlappung" des Mäanders über das Flechtband der Ostwand die Südwand erst nach jener gemalt sein könne. Völlig anders tritt Edmund Theil an die Aufgabe heran. Für ihn gibt es kein erstarrtes Vorurteil, das bewiesen werden müßte. Er sucht lediglich festzustellen, was an Einzelheiten wirklich da ist, was davon einwandfrei der ältesten Malschicht angehört. Wir gestehen, daß uns der klare Wille zu einer zu nächst deutungsfreien Bild- und Tatsachenbeschreibung sehr sympathisch berührt. Der Gewinn zeigt sich sofort. Wir nannten schon die ,,Überlappung" der Ornamentstreifen an der Ostwand. Aus Farbflecken in der Leibung des Triumph bogens rekonstruiert er die ursprüngliche figurale Komposition; der anbetende Engel im Scheitel ist auf Sicht von der Apsis aus berechnet ; das deutet auf die ältere Liturgie, wo die Messe gegen das Volk gelesen wurde. Spuren einer abweichenden Vorzeichnung unter den Ostwandengeln mögen später für die Geschichte des Denkmals noch sehr wesentlich werden. Im ersten Bild der Südwand konstatiert Theil, daß Personen beiderlei Geschlechts in der Gruppe vereint dargestellt sind, und weist so auf das für die Bilderklärung entscheidende Kriterium. Zu Beobachtungen, solcher Art soll aber jeder befähigt sein. Darum macht er durch zahlreiche Detailbildchen in Briefmarkengröße - den Blick schulend - auf alle für die ,,Handschrift" des Malers charakteristischen Eigenheiten auf merksam. So wird der Kunstführer wirklich zu dem, was der Name will; das Heft ist ein vielversprechender neuer TyjDus eines Wegweisers zum Verstehen eines Denkmals, und es ist nur zu hoffen, daß diese Art ,,schulender" Denkmälerbe schreibung auch wirklich Schule macht. Auf die Ergebnisse einer größeren Arbeit über Naturns, welche Edmund Theil vorbereitet, wird man nach diesen Proben mit S]3annung warten. Auch das zweite Heft in der Reihe der Kleinen Laurin-Kunstführer behandelt mit ,,St. Jakob in Kastelaz bei Tramin" ein nicht minder interessantes Denkmal Südtirols, dessen romanische Malereien dem Leser in ähnlich anschau licher Weise nahegebracht werden. Andre Grabar verweist an mehreren Stellen seiner ,,Einführung in die Malerei des frühen Mittelalters" auf die Wandbilder von Naturns. Wenn auch die Gesichtspunkte dabei nicht neu sind und aus dem lateinischen Blickwinkel heraus vielleicht über spitzt erscheinen (,.sichtlich unberührt von der antiken Tradi tion", S. 61), so wird doch die Einreihung der sehr farbti'euen, nur im Gelbton etwas zu kräftigen Bildwiedergaben nach den Fresken in Rom, Müstair und Mals und \'or die spanischen, wie Tarrasa, für die breiteste internationale Forschung lehrreich und anregend genug sein. Ist es doch die klassische, auf Formana lysen aufbauende Kunstgeschichte, die hier - für das Gebiet der mittelalterlichen Malerei — zu einer Gipfelleistung ansteigt. Auf andere Ziele gerichtet, ja in revolutionäre Bahnen lenkt Hubert »Schrade mit seiner umfassenden Geschichte der ,,Vorund Frühromanischen Malerei" ein. Auch dieses Buch ist eines der Standardwerke unserer Wissenschaft und zugleich eines der fortschrittlichsten. An den Einzelfragen der engeren Her kunft — aus welchem Halb jähr hundert, aus welcher Ecke Europas der oder die Maler denn nun tatsächlich gekommen sein mögen — ist hier ebenso souverän vorbeigegangen wie bei Grabar, und es gemahnt uns an das Wort Kleebergs von der .»schlechterdings nicht erreichbaren Eindeutigkeit". Aber dann, wenn wir lesen, was, da und dort neu anleuchtend, über Naturns gesagt wird, über jene an die Wand gepinselten Menschen der ,,occhi spiritati (Vasari), . . . fähig, die unfaßlichsten Wunder zu glauben" (S. 118), über jene ,,Sicherheit des Selbstver ständlichen" (S. 13) bei aller Kärglichkeit der Darstellungs mittel, dann freilich fühlen wir uns mitgerissen, wissen, daß hier eine ,,neue Weise" unmittelbar in die Schicht der ,,Kon zeption" vorzustoßen sucht. An Gegenständlichem wird in der
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