Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Wentzel in der Übersichtlichkeit der Darstellung und der Straff heit des Katalogs und der Deutsche Verein in der buchtechni schen Gestaltung ein Muster für die künftigen deutschen Bände aufgestellt, das nur geringfügiger Abänderungen bedürfen wird. CVMA, France I, Marcel Aubert, Louis Grodecki, Jean Lafond, Jean Verrier: Les vitraux de Notre-Dame et de la Sainte-Chapelle de Paris; Herausgeber: Caisse Natio nale des Monuments Historiques, Centre National de la Recherche Scientifique, Paris 1959, 357 S., 101 SchwarzWeiß-Tafeln, 8 Farbtafeln. In der richtigen Erkenntnis, daß die, angesichts der Fülle des französischen Materiales, immense Gesamtarbeit erleichtert werde, wenn erst die Spitzen- und Schlüsselwerke publiziert sind, wurde der Beginn mit den wichtigsten Pariser Denk mälern gemacht. J. Lafond behandelt die von der mittel alterlichen Verglasung allein erhaltenen drei Rosen von Notre-Dame, L. Grodecki die sechzehn Fenster der SainteChapelle inklusive einiger Einzelscheiben, die verstreut in Frankreich und England identifiziert werden konnten. Im Unterschied zu Deutschland genießt in Frankreich, so wie m Österreich, das Corpus-Unternehmen den nicht hoch genug zu wertenden Vorteil, sich auf den Apparat und die vor bereitende Dokumentationsarbeit des staatlichen Denkmal amtes stützen zu können. In einer, sowohl was den Umfang des Unternehmens — es waren mehr als 150.000 Scheiben zu fotografieren! — als auch was die Qualität der Ausführung anlangt, wahrhaft imponierenden Campagne sind bisher von zahlreichen wichtigen Verglasungen maßstäbliche Foto montagen angefertigt worden, die die ideale Grundlage für die Dokumentationsabbildungen im Corpus darstellen. Welche Anforderungen die komplizierten französischen Verglasungsschemata an die Präzision der Arbeit stellen, erweisen vor allem die auf Faltblättern in Großabbildungen wieder gegebenen Fotomontagen der Rosen von Notre-Dame, in deren einer etwa ein einziger Strahl sich aus 26 Einzelfotos zusammensetzt! Auf denselben Fotomontagen (in blasserer Reproduktion) ist der durch ein System von Schraffuren in die einzelnen Restaurierungsphasen aufgegliederte Erhaltungs zustand gegeben. Sowohl in Notre-Dame als auch in der Sainte-Chapelle wird der optische Befund noch durch eine bis ins 18. Jahrhundert zurückreichende schriftliche Dokumen tation der Restaurierungen bzw. der Zerstörungen unterstützt, wie sie wohl auch nur in Frankreich zu finden ist. Sie ist für beide Objekte ausführlich resümiert und ausgewertet, während die allgemeine Charakterisierung der Verglasungen bewußt knapp gehalten ist. So ist der Stil zwar allgemein umrissen (wobei sich Lafond noch mehr beschränkt als Grodecki), die Probleme der Ableitung aber werden kaum angeschnitten. Sie bleiben vielmehr einer Spezialforschung überlassen. Hierin wie in der Tatsache, daß auf eine allgemeine kunstgeschicht liche Übersicht in dem französischen Band überhaupt ver zichtet ist, offenbart sich eine Scheidung der Geister: scheint der deutschen Kunstwissenschaft die Frage nach dem Woher und ihre zusammenfassende Beantwortung auch in einem Inventarwerk unabdinglich, so gehört sie für die französische Wissenschaft bereits in den Bereich des Entbehrlichen, wenn sie nicht sogar als ein Verwischen der klar umrissenen Aufgabe betrachtet wird! Allerdings bringt es die einmalige Schlüsselstellung der Pariser Werke mit sich, daß ihre Wirkung mehr Gewicht hat als ihre Herkunft; die Untersuchung dieser Fragen geht aber auf jeden Fall über den Rahmen eines Corpus-Bandes hinaus. Sind die Rosen von Notre-Dame überhaupt erst durch die exakte Unterscheidung von Original, mittelalterlichem Flick stück und späterer Ergänzung als Dokumente des Glasmalerei stils in Paris zwischen etwa 1220 und 1260 wertbar geworden, so haben andrerseits die Fenster der Sainte-Chapelle, denen drei Viertel des Bandes gewidmet sind, seit langem ihren festen Platz im kunsthistorischen Bewußtsein. Um so frap panter ist die neue umfassende Sicht, die sich aus Grodeckis Analysen des ,»Programme formel" (um den französischen, im Deutschen als widersprüchlich empfundenen Terminus beizubehalten), des ikonographischen Programms und des Stils ergibt. Die logische Schärfe, die Präzision und Knappheit des Ausdrucks machen die Lektüre zum ästhetischen Genuß. Als wichtigstes Ergebnis sei festgehalten, daß die Verglasung der Sainte-Chapelle nicht, wie bisher allgemein angenommen, ein einfaches erzählendes Programm verwirklicht, sondern sich in mehrere Zyklen gliedert, die, ohne die landläufigen Parallelismen zwischen den beiden Testamenten aufzuweisen, dennoch symbolisch zu interpretieren sind und in der Subtilität und Originalität ihrer Gleichsetzungen von der zeit genössischen Scholastik angeregt sein dürften. In der Dokumentation des Erhaltungszustandes geht Grodecki über Lafond hinaus, indem nicht nur innerhalb eines Fensters die restaurierten Scheiben, sondern innerhalb dieser Scheiben die Ergänzungen im einzelnen ausgewiesen sind. Es ist das der Idealfall einer Dokumentation, auf den allerdings nur dann gedrungen werden sollte, wenn dem Bearbeiter die Möglichkeit gegeben ist, die Scheiben aus der Nähe in herausgenommenem Zustand zu studieren. Dem wissenschaftlichen Niveau ent spricht das buchtechnische. Die Wiedergabe der Fenster im Tiefdruckverfahren, das den Halbtönen der Gläser besonders gerecht wird, wird wohl von keinem anderen Land auch nur versucht werden können. Überdies ermöglicht das durch gehend verwendete qualitätvolle Papier eine unmittelbare Aufeinanderfolge von Text und Abbildungen eines Fensters. Wenn darüber hmaus noch ein Wunsch offen bleibt, so ist es der nach einer größeren Zahl von Abbildungen einzelner Scheiben bzw. nach einem größeren Maßstab der Abbildungen ganzer Fensterpartien. Daß auch in diesem mit so außer ordentlicher Sorgfalt hergestellten Band die Farbtafeln nicht voll befriedigen können, liegt wohl nicht zuletzt an dem so grundverschiedenen Charakter der Materie von Original und Reproduktion. E. Frodl-Kuaft Neue Literatur über die frühmittelalterliche Wandmalerei in der Prokuluskirche bei Naturns Andre Grabar in: Grabar-Nordenfalk, Das Frühe Mittel alter, Geneve, Ed. Skira, 1957 Hubert Sohrade in: Vor- und Frühromanische Malerei, Köln, Dumont-Schauberg, 1958 August Kleeberg: Die Wandgemälde in der SanktProkulus-Kirche zu Naturns, Bozen, Athesia, 1958 Emerich Schaffran, Die vorromanischen Wandmale reien in der St. Prokulus-Kirche zu Naturns (Vintschgau, Südtirol), Innsbruck 1958, Schlern-Schrift 182

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