Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Brabanter den Auftrag, das Portal wiederherzustellen. Vor dem erneuerten oder in dieser Form über haupt erstmalig errichteten Türmittelpfeiler stellt Brabanter diesen Paulus auf. Der Türsturz besteht aus älteren, dem Dom entstammenden ,,echten" Reliefstücken des 13. Jahrhunderts. Am Mittelpfeiler finden wir eine für die Zeit bezeichnende Zusammenstellung der Kassetten: spätgotisches Maßwerk tritt noch auf neben völlig echt wirkenden romanischen und typischen Renaissance-Motiven®. Im ganzen also eine uns nicht mehr sonderlich überraschende Leistung der Denkmalpflege jener archäologischen zweiten Phase und insoweit offenbar bester Ausdruck von Denkmalpflege im Sinne von Renaissance und Humanismus. Wir müssen jedoch auch den hohen Bedeutungsgehalt dieses Portales erkennen, um dessentwillen es ja zerstört und um dessentwillen es sofort wieder in möglichst,,echten" alten Formen erneuert wird. Das ist eine Beobachtung, die wir geradezu verallgemeinern können; zu allen Zeiten erfolgen Wiederherstellungen nach gewaltsamer Zerstörung und willkürlichen Eingriffen möglichst getreu. Denkmalzerstörung und Denkmalpflege gehören dann als elementare politische Willensäußerungen eng zusammen. Diese antihumanistischen Akte der Zerstörung von Kunstwerken trotz ihres Kunstwertes, allein um ihres Bedeutungsgehaltes willen, sind urmittelalterlich. Bezeichnend ist, daß es zu solchen Akten am wenigsten in den Pflegestätten humanistischer Geisteshaltung kommt: man denke an Straßburg, wo im Zuge der Reformation die Ausräumung des Münsters unter straffster obrigkeitlicher Kontrolle erfolgt. Die zu beseitigenden Kunstwerke werden säuberlich abgebrochen, bei Nacht - um alles Aufheben zu vermeiden - hinweggeschafft und z.T. an unauffälligem Orte aufgestellt. Alle willkürlichen und eigen mächtigen Zerstörungen werden mit strengen Strafen geahndet®. Auch was an sich als bezeichnende Tat des 16. Jahrhunderts erscheint, ist also oft zutiefst mittelalterlich gebunden. So z. B. die 1577 erfolgte Versetzung der sog. ,,Schönen Tür" von Hans Witten aus dem ehem. Franziskanerkloster in Annaberg im Erzgebirge an die dortige St. AnnenkircheDie Tür wird erst versetzt, nachdem man ,,etliche abgöttische Bilder daran geändert hatte". Das ist die zeitgemäße Form des ,,Exorzisierens", wie es das Mittelalter betrieh. Ohne diesen gewaltsamen (hier relativ geringfügigen) Eingriff in den Bedeutungsgehalt der Tür als ehemalige Ablaßpforte wäre aller Einsicht in die künst lerische Qualität zum Trotz eine Weiterverwendung nicht möglich gewesen. Die Geschichte der Denkmalpflege aller Zeiten ist randvoll von ähnlichen Beispielen. In einem nun viel tieferen Sinn erfüllt sich damit der Satz: jede Zeit erhält und pflegt nur das ihr Gemäße. Das wird überraschend deutlich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts mit der so auffallend zunehmenden Vor liebe für die gotische Formen weit. Fragen wir abermals nach den Portal Wiederverwendungen: Für den ganzen Zeitraum vom späteren 16. Jahrhundert bis etwa 1630 werden nur ganz wenige romanische Portale wiederverwendet, während die stilbedingte Auswahl folgerichtig zahlreiche gotische Portale versetzt, ergänzt, ja aus alten Bruch stücken überhaupt neu zusammensetzt. Wenn bereits 1557 die gotische Formenwelt als ,,kirchisch" bezeichnet wird^^, so ist hier mitten im 16. Jahrhundert die Einsicht in den Bedeutungsgehalt der einzelnen Formen und des ganzen Denkmals offensichtlich noch immer lebendig. Die Wiederaufnahme der gotischen Formenwelt aber im späteren 16. Jahrhundert erhält dann im Zusammenhang mit der Gegenreformation und der orthodoxen Erstarrung des Luthertums eine geradezu programmatische Bedeutung: ist Re-actio im doppelten Sinne gegen die humanistischen Bezüge des früheren 16. Jahr hunderts. So darf auch der Sakristeianbau an der Wenzelskirche in Naumburg a. d. Saale von Konrad Steiner um 1600 (Abb. 50) nicht nur als Nachgotik im Sinne Kirschbaums^^, als Stilverspätung und provinzielles Nachleben begriffen werden. Die Formen sind vorzüglich nachempfunden bis in die - der Zeit keineswegs mehr selbstverständliche - Quadertechnik hinein. Zweifellos handelt es sich um eine ® L. Rohling, Veränderungen im Paradies des Domes zu Münster, in; Westfalen 18, 1933, S. 238-244 mit Abb. ' Vgl. J. Ficker, Das Bekenntnis zur Reformation im Straßburger Münster, Theol. Studien und Kritiken 109, Heft 1, Leipzig 1911, S. 6-8 und 14—1,5. Steche, Beschr. Darstellung d. älteren BKD d. Kgr. Sachsen, Heft 4, Dresden 1885, S. 16 und 49. Vgl. H. Ladendorf, Wiederaufnahme von Stilformen in der bildenden Kunst des 15.-19. Jhs., in: Forschungen und Fortschritte 25, 1949 (9/10), S. 98-101. - E. Bachmann, Balthasar Neumann und das Mittelalter, in: Stifter-Jb. 3, 1953, S. 135. E. Kirschbaum, Deutsche Nachgotik, Augsburg 1930.

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