Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Obwohl der gesamte^i Chorbogen wohl dem Chorhau angehört, sind also die malerischen Effekte durch andere Überlegungen erzeugt, als man bisher annahm. Daß diese Tatsache bisher übersehen wurde, liegt daran, daß es in der gesamten Literatur keine genauen Grundrisse der Franziskanerkirche giht. Eine provisorische Skizze (Ahb. 51) ist zur Erläuterung beigefügt; ob es sich um eine den Tatsachen ent sprechende Darstellung handelt, könnte nur eine trigonometrische Neuaufnahme der Kirche feststellen. Der Grund der Achsenverschiebung beim Neubau des Chores ist höchstwahrscheinlich auf das Bedürfnis einer neuen Orientierung zurückzuführen^^. Hiermit kommen wir wieder auf die Frage der Wieder verwendung der alten Fundamente. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß der Chor der spätromanischen Kirche in dieser Weise schräg zum Langhaus stand, da er nur 15 Jahre früher als dieses, das heißt eigentlich ohne Bauunterbrechung, errichtet wurde^®. Ohne das Ergebnis neuer Ausgrabungen kann nur mit Wahrscheinlichkeit folgendes gesagt werden; obwohl das Breitenmaß der äußeren Seitenschiffs grenzen des neuen Chores auf den romanischen Bau Rücksicht nahm, wich der Neuhau in allen anderen Beziehungen ab. Dennoch ist ein anderes Hilfsmittel bisher unbeachtet geblieben, das uns über den Chor des 13. Jahr hunderts weiteren Aufschluß geben kann. Ein Teil des ursprünglichen Baues wurde (nach dem Plan wechsel im 15. Jahrhundert - darüber später) in den neuen Chorbau aufgenommen, nämlich das roma nische Portal, das sich jetzt in der Vorhalle unter dem Turm befindet. Da mit einer nachträglichen Versetzung des Portals an dieser Stelle gerechnet werden muß, sind genaue Messungen erforderlich, um festzustellen, oh dieser Teil der Wandfläche mit dem alten oder mit dem neuen Bauwerk in Zusammen hang steht^^. Daß hier romanische Teile wiederverwendet wurden (ob versetzt oder nicht), läßt uns weitere Schlüsse über die wahrscheinliche Baufolge ziehen. Vor dem Planwechsel können von Fuhrmanns sechsjochigem Neubau^® nur die Teile östlich der jetzigen westlichen Chorpfeilerachse zur Ausführung gekommen sein - und zwar nur bis zu einer bestimmten Höhe, nämlich bis dorthin, wo die acht Dienste leer auslaufen, die die Hauptdienste der beiden Chorkapellen gegenüber dem Chorpfeilerquadrat flankieren^®. Daß das westliche Joch des neuen Chores (Ahh. 53) ein Teil einer später zu vollendenden Hallenkirche sein kann, ist durch zwei Tatsachen völlig ausgeschlossen. Die Form der Mittelschiffspfeiler an der Westwand entspricht nicht der der Freipfeiler; weder lassen sie selbst sich als Freipfeiler verwenden, noch lassen sich die Bögen, die hier an der Westwand von diesen Pfeilern getragen werden, mit einem Das Bundesdenkmalamt Salzburg hat mit der Möglichkeit gerechnet, daß der untere Teil des Chorbogens einer viel früheren Zeit angehören könnte als der obere (briefliche Mitteilung des Herrn Landeskonservator Dr. Theodor Hoppe). 12 H. Nissen, Orientation, 3 Bde., Berlin 1906-1910; Hasak, in: Zeitschrift für Christliche Kunst, 1912, XXV, S. 90; J. Sauer, Symbolik des Kirchengebäudes, Freiburg i. Breisgau 1924, S. 293. Es ist das Verdienst Hasaks, eindeutig darauf hingewiesen zu haben, daß der Knick in der Achse nicht auf die Unfähigkeit der mittelalterlichen Instrumente oder Baumeister, eine gerade Linie abzustecken, zurückzuführen ist. Vom Standpunkt des Architekten aus sind seine Behauptungen durchaus stichhaltig. Sauer (S. 295) lehnt zwar ein Gesetz der absoluten Orientierung im Mittelalter ab; man wird zugeben müssen, daß es nicht immer befolgt wmrde. Hasak gibt aber zwei Belege dafür (S. 92), daß ,,Verbesserungen" der Orientierung des älteren Bauwerkes, diesem Gesetz zufolge, vorgenommen worden sind. Vergleiche Nissen. Das Beispiel von Metz (F. X. Kraus, Geschichte der Christlichen Kunst, II, 1, S. 372; auch bei Sauer zitiert) besagt eindeutig, daß durch die Unfähigkeit des Architekten die Chorachse einen allzu starken Knick bekam, und nicht, daß der Knick als solcher nicht beabsichtigt gewesen wäre. Es handelt sich also um einen Orientierungsfehler. — Dagegen: Timmers, Symbolieken Iconographie der Christelijke Kunst, Roermond 1947, § 1398; deLasteyrie, in: Mein, de l'Acad. des Inser. et Belies Lettres 37, 1904, II, S. 277ff.; wiederholt in Bull. Mon. LXIX, 1905, S. 422. Die Symboliker wollen in dem Knick der Achse eine Darstellung der Neigung des Kopfes Christi am Kreuze sehen: Felicie d'Ayzac, Revue de l'art chretien IV, 1860, S. 595ff.; Auber, Histoire et theorie du symbolisme chretien, Paris 1884, III, S. 170ff.; sogar Viollet-le-Duc, Dictionaire raisonne, II, 58, schließt sich mit Vorbehalt dieser Meinung an. Im Falle der Franziskanerkirche ist Symbolik jedenfalls (wie im Falle der Pariser Kathedrale) völlig ausgeschlossen: es gibt hier keine Kreuzarme und das ,,geneigte Haupt" entspricht der Hälfte des Leibes der Kirche. Außerdem, eine ,,Symbolik", die nicht sichtbar wird, absichtlich verschleiert wird, ist gegenstandslos. — Weiter: E. Male, L'art religieux du XIII siede en France, Paris 1923, S. 21, Anm. 4 (deutsche Ausgabe: Die kirchliche Kunst des XIII. Jahrhunderts in Frankreich, Straßburg 1907, S. 33); Rene Fage, in: Bull. Mon. LXXXIII, 1924, S. 85; bei Bandmann ist über diese Frage nichts gesagt worden. Zusammenfassend kann mit Gewißheit nur folgendes gesagt werden: die Achse des neuen Chores der Franziskanerkirehe ist, wie in vielen anderen Fällen, schräg zu der des Langhauses angelegt worden, und zwar mit Absicht. Ein möglicher Grund hierfür können städtebauliche Überlegungen gewesen sein, wahrscheinlich aber war die Orientierung maßgebend. ^2 Martin, Kleine Kunstführer, S. 2: ,,bereits erbauten" Chor, erwähnt 1208; Weihe der Kirche 1223. Dieses Portal ist wohl als Südportal des nicht ausladenden Querschiffes des älteren Baues anzusehen. Diese Annahme paßt gut zu der später vorgeschlagenen Baufolge, nach der zuerst der Chor allein, d. h. der Teil östlich von diesem Joch, umgestaltet wurde und erst nach der Planänderung dieses bis dahin stehen gebliebene, romanische Joch umgebaut wurde, um den Anschluß an das Langhaus gestalten zu können. Siehe Anmerkung 4. Baldass, Dissertation, S. 55 ff.

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