greifende neue Lösung der Längs- und Höhenverhältnisse®. Statt querrechteckig werden zum Beispiel die Mittelschiffsjoche quadratisch, das heißt: die Längsrichtung der Mittelschiffs]oche gewinnt entscheidend an Bedeutung gegenüber dem Quermaß®. (Die Proportionen der Seitenschiffe sind denen des Mittel schiffes, die das Hauptproblem bilden, untergeordnet.) Zu dem Höhenmaß kann im allgemeinen gesagt werden: die Gesamthöhe entspricht annähernd der Gesamtbreite. Ohne diese Höhe wäre die Nischen bildung an den Außenwänden künstlerisch unbefriedigend gewesen, oder die Breite hätte unangenehm stark gewirkt - ein Prinzip, das bei Hans von Burghausen als grundlegend angesehen werden darf. Das zwingendste Gegenargument zu der These von Baldass ist aber, daß die Kirche in Wasserburg (von demselben Meister) sogar längsrechteckige Joche hat und dadurch Proportionen erhält, die sich gar nicht in seine Tabelle (S. 85) unterbringen ließen. Die Frage der Proportionen braucht hier nicht eingehender erörtert werden, weil daraus keine eindeutigen Ergebnisse zu gewinnen sind. Zuletzt sieht Baldass in der Übereinstimmung der Chor- und Langhausbreite einen zwingenden Beweis für die Abstimmung des Chores auf das beizubehaltende Langhaus^®. Da diese Tatsache ebensogut auf die Absicht, die Fundamente des alten Langhauses wiederzuverwenden, gedeutet werden könnte, kann sie ebensogut als Argument für die Gegenthese gelten. Sollte das nicht der Fall sein, dann muß noch immer damit gerechnet werden, daß Besitzrechte den Neubau auf die Breitenausdehnung des alten Baues beschränkt haben. Wiederum gewinnen wir hiermit keine ,,reale Grundlage" zur Lösung des Kern problems. Damit sind die bisherigen Argumente gegen die ursprünglich geplante sechsjochige Kirche widerlegt. Dennoch wird die Wahrscheinlichkeit der Wiederverwendung der alten Fundamente im Chor, und deswegen auch der des Langhauses, aufgehoben durch eine ganz einfache Tatsache. Es ist bisher von allen Beschreibungen und Studien über die Franziskanerkirche unberücksichtigt geblieben, daß die Chorachse schräg zu der des Langhauses verläuft. Das fällt schon rein optisch auf: Beim Eintritt von Westen sind von der Langhausachse aus die südlichen Chorfreipfeiler sichtbar, während die nördlichen Pfeiler vom Chorbogen überschnitten werden (Abb. 52); ebenso bemerkt man beim Weiter gehen, daß der Gewölbescheitel des Chormitteljoches links vom Scheitel des Chorbogens liegt. Zunächst scheint es, als seien diese Unstimmigkeiten nur dadurch bedingt, daß der Chorbogen nach Süden ver schoben ist, das heißt, daß der nördliche Chorbogenpfeiler breiter ist als der südliche. Orientiert man sich aber im Langhaus optisch nach der Achse des Chores - dies ergibt sich bei gleicher Überschneidung des östlichen Chorpfeilerpaares durch das westliche - dann fällt es sofort auf, daß der Chorbogen auf diese Achse abgestimmt ist (Abb. 53). Dies erklärt seine Verschiebung gegenüber dem Langhaus. Jetzt ist auch zu sehen, daß der Gewölbescheitel des Mitteljoches des Chores sich mit dem Scheitel des Chorbogens deckt. Der Chorbogen ist ohne Zweifel erst nach der Errichtung aller Chorfreipfeiler eingezogen worden, und zwar mit der Absicht, die Achsenabweichung optisch zu korrigieren. Seine Aufgabe ist einmal, die unterschiedliche Mittelschiffsbreite zu verdecken und dann den Knick in den Pfeilerfluchten von Chor und Langhaus zu verschleiern. ® Es ist eben die Auseinandersetzung mit diesem Problem, die den Meister dazu bewegen hat, die Freipfeiler aus der Achse der nach innen gezogenen Strebepfeiler zu verschieben, und zwar jeweils nach Osten. Dieses von der bisherigen Literatur unberück sichtigte Moment bewirkt eine grundlegende Schwächung der Querachsen und eine Betonung der Längsrichtung. Es besteht nun überhaupt keine gerade geführte Querachse mehr; ebenfalls durch diese Verschiebung nach Osten wird der Blick in die Seitenräume gesperrt und verunklärt. Es entsteht ein Zug von Westen auf den Altar zu, der nur in einer vollendeten sechsjochigen Anlage seinen vollen Sinn bekommen hätte. Wäre es das Bestreben des urspn.mglichen Entwurfes gewesen, einen ,,angegliederten" Zentralbau vorzutäuschen (Baldass, S. 86), dann wäre die gleichmäßige Bildung der Längs- und Querachsen als Grundlage des Entwurfes zu erwarten. Ein weiteres wichtiges Moment unterstützt diese Auffassung der Querachsen. Dagobert Frey ist der Meinung (nach einer Bespre chung mit Baldass, Dissertation, S. 56), daß die Gewölbe der Seitenräume oder ,,Nischenkapellen" nach dem ursprünglichen Plan von den Gewölben des Hauptraumes durch Scheidbögen getrennt waren. Wir müssen uns dieser Meinung anschließen, da die flankierenden Dienste an den Kapellenwänden in den geraden Jochen anders nicht zu deuten sind. (Diese Dienste waren nach der Planänderung nicht höher geführt worden und hören jetzt in der barocken Ummantelung der Seitenkapellen auf. Der jeweils westlichste läuft jedoch leer aus; bei Tietze, a. a. O., S. 88, Abb. 118, abgebildet.) Dies würde wiederum bedeuten, daß im Plan des ersten Meisters die Querachsen in dieser Weise abgeschwächt waren, da die Seitenräume, wie Baldass es ausdrückt, ,,selbständig für sich existierende Baumteile" sein würden. Erst nach dem Planwechsel, durch den sich der Zentralraumcharakter ergab, wurde dieses die Längsrichtung betonende Moment aufgegeben. ^ Wäre der quadratische Grundriß des Mitteljoches des Chores als ein Beitrag zur Zentralisierung des Raumes aufzufassen, dann wäre er entschiedener im Sinne der Großräumigkeit behandelt worden. Der Architekt bemüht sich aber, dies Joch einzuengen, und zwar so, daß die Längsrichtung des (sechsjochig geplanten) Mittelschiffs der Breite gegenüber an Gewicht gewinnt. Dissertation, S. 81 f.
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