Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

BUCHBESPRECHUNGEN Hermann Schnitzler: Rheinische Schatzkammer, Düssel dorf 1957, Tafelband mit zehn Farbtafeln und 166 SchwarzWeiß-Abbildungen. Es ist nicht ein Katalog der rheinischen Zimelien, jener Werke, die in aller Mund sind, was Schnitzler uns hier vorzu legen beabsichtigt; es ist vielmehr der Versuch, ein künstle risches Erleben einzufangen, die wissenschaftliche Bestands aufnahme in eine künstlerische Gestaltung zu vorwandeln. Und man kann sagen, daß dieser Versuch geglückt ist. In den neuen Aufnahmen von Ann Bredol-Lepper, die uns das Wohlbe kannte in ganz neuem Lichte zeigen, bringt Schnitzler eine Auswahl von Ansichten und Einblicken in Einzelheiten, die in der Gesättigtheit ihrer Aufeinanderfolge geradezu als Sym phonie der Schatzkunst bezeichnet werden kann. In diesem Sinne bildet der Band, obwohl er gar nicht darauf eingestellt war, eine wertvolle, ja die notwendige Ergänzung zu den Veröffentlichungen des VI. Internationalen Frühmittelalter kongresses. Denn bringen uns die ,,Akten" ein geschlossenes Bild der wissenschaftlichen Arbeiten, welche vor dem Kongreß, während desselben und auf Grund seiner Anregungen geleistet worden sind, so gab es dort noch ein anderes Erleben, das kaum minder wichtig für die Forschung genannt werden muß: die Geschlossenheit der Eindrücke an den Kongreßtagen, da wil den Zimelienbesitz des Rheinlandes besuchten. Diese wunderbai'e ,,Fülle in Einheitlichkeit" lebt nun im Tafelband Schnitzlers, durch manche Kostbarkeit des Mittelrheins er weitert, eindringlich neu auf. Trier mit der ältesten Schatz kammer geht voran. Mainz, Echternach und Limburg melden sich an, wenn sie auch das meiste verloren haben. Köln und neben Köln die Kaiserstadt Aachen nehmen naturgemäß breitesten Raum in Anspruch, und es folgen die schicksalhaft benachbarten Stifte Essen und Werden an der Ruhr. Als wollte es Symbol füi* die Weite des vom Buche gespannten Bogens sein, steht das farbige Bild des Lotharkreuzes voran. Markiert doch der herrlich geschnittene dreischichtige Sardonyx in seiner Mitte mit dem Bild des jungen Augustus den Ausgangspunkt jener imperialen Gesinnung in der Kunst, die sich unter Otto III. in der reichen Goldschmiedearbeit des Kreuzes selbst zu neuer Höhe verdichtete. Denn wirklich darf das Lotharkreuz ,,wie kein zweites Goldschmiedewerk der Epoche als Inbegriff ottonischor Kaiserwürde gelten". Zwischen diesen beiden Polen und ihnen angereiht steht nun alles, was aus rheinischen Schatzkammern hier Aufnahme fand. Aus antiker Zeit sind es vor allem Elfenbeine; mögen sie als Schmuck an karolingischen und ottonischen Gegenständen neue Verwendung gefunden haben oder auch als kostbares Gut an sich unverändert auf uns gekommen sein. Da tritt uns im Probianus-Diptychon der stolze römische Patrizier ent gegen, wie ihn sich Augustinus — vor seiner Wendung zum Christentum — als Vorbild genommen haben mochte. Die lebendige Darstellung einer Reliquienprozession auf dem großen Elfenbein in Trier ist ein eindrucksvolles und sehr eigenwilliges Werk und anderen, gleichzeitigen Elfenbeinen aus der Zeit Justinians kaum vergleichbar; gerade aus Ägypten scheinen frühbyzantinische Werke häufiger an den Rhein ge kommen zu sein. Viel seltener ist in den rheinischen Schatz kammern das 7. Jahrhundert vertreten, und auch aus den letzten Jahrzehntenvor Karl dem Großen sind es neben dem vereinzelten und gerade darum so wertvollen Reliquienkasten in Werden mit der Darstellung des Salvators im übrigen einige bedeutende Handschi'iften irofränkischer Art. An sie reiht sich dann die hohe Blüte der Buchmalerei, wie sie an der Hof schule Karls des Großen wahrscheinlich in Aachen geübt wurde; gerade für uns aber, für Österreich, ist eine andere, die malerisch antikisierende Richtung insoferne interessanter, als man jüngst daran Malerhände aus Bayern anzureihen versucht. Es ist merkwürdig, wie sich im Matthäus, im Lukas oder im Johannes des Evangeliars der Kölner Dombibliothek die .»ur tümliche" Umbildung eines byzantinischen Vorbildes nahezu in eine Reihe mit dem stellen läßt, was wir später als spe zifisch bayerische Eigenart in der Malerei anzusehen gewohnt sind. Ist nun so die Zahl der Hauptwerke an karolingischer, vorkarolingischer oder spätantiker Kunst in den Schatzkammern des Rheinlandes keineswegs gering, so ist es doch der Reichtum ottonischer, besonders der spätottonischen Denkmäler eines Otto III. und Heinrich II., welche ihren Charakter dem Früh mittelalter im Rheinland entscheidend aufprägen. Immer wieder überwältigt uns der märchenhafte Glanz der Prunk kreuze, die Ausdruckskraft der Essener Madonna, der ältest erhaltenen Vollplastik des Mittelalters, die große Zahl der Reliquiare und Bucheinbände aus jener Zeit der Hochblüte um das Jahr 1000. Nicht minder sind es neben solcher Goldschmiedekunst Werke der Malerei, die Miniaturen der Reichenau vor allem, welche für weite Kreise heute schon zum festen Begriff geworden sind. Charakteristische Merkmale an ihnen machen uns bereits ein zelne Malerpersönlichkeiten greifbar; ,,die ausgeglichene Form gebung des einen unter ihnen, der als Gregormeister bezeichnet wird, erhebt ihn zum großen Buchkünstler seiner Zeit, und offenbar war es sein schöpferischer Geist, der die übrigen Maler in denBann gezogen hat. Zuerst im Egbert-Kodex nachweisbar, arbeitet er später für Lorsch und dann in Trier Hauptwerke wie das Pariser Evangeliar der Sainte-Chapelle. Auch eine Elfenbeinmadonna in Mainz steht ihm zum mindesten nahe". Die Weite der Ausdrucksmöglichkeit der Zeit möge man aus einem Vergleich dieser Madonna mit der Elfenbeintafel der Majestas im Schnütgen-Museum oder mit dem in Kupfer ge triebenen Matthäus der Kanzel König Heinrichs II. oder deiPala d'Oro im Aachener Dom ermessen. Eines aber möge nicht übersehen werden: .Steht auch iii einem Tafelband der visuelle Eindruck, das unmittelbare Erlebnis der Kunst ohne die Krücke kritischer Kommentare oder sezie render Aufbereitung im Vordergrund, so darf man den wissen schaftlichen Gewinn eines solchen Unternehmens dennoch nicht so gering anschlagen. Mit Spannung erwarten wir darum den angekündigten ,»begleitenden Band" wissenschaftlicher Erörterungen über das hier vorgeführte Material. Mit viel Takt ist im Vorliegenden zwischen zwei bei Bildbüchern üblichen Extremen die richtige Mitte eingehalten. Vermeidet man, um den Bildteil ungestört ästhetisch wirken zu lassen, jeden textlichen Vermerk auf den Tafeln, so ist der Erfolg bald der gegenteilige; viel zu sehr ermüdet das Auge durch ständiges Zurückblättern auf die Bilderklärungen. Bringt man

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