Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Hebmann Fillitz NEUE FORSCHUNGEN ZU DEN REICHSKLEINODIEN Die Gemme des Reichsapfels Unter den Steinen, mit denen der Reichsapfel (Abb. 99) besetzt ist, befindet sich auch eine einzige Gemme. Sie ist übrigens an bevorzugter Stelle montiert, nämlich im Schnittpunkt der Kreuzbalken, und erregte auch daher gesteigertes Interesse (Abb. 100). Da der kreisrunde Stein mit der Schnittfläche nach innen zu montiert ist, können durch die Lichtbrechung die den Kanten zu liegenden Teile des Steinschnittes nicht genau abgelesen werden. Gerade dort befinden sich aber für die Lösung der Darstellung entscheidende Einzelheiten. Die Hauptzüge der Komposition sind auch von außen erkennbar; ein Kreuz aus vier etwa gleichlangen Armen, in ihrem Schnittpunkt ein Kreis. An jedem der Balkenenden ist ein Buchstabe angehängt, von denen ein Sigma (C) und eine dem Chi (X) ähnliche Figur verhältnismäßig deutlich erkennbar sind. Ohne allzu große Schwierigkeiten ist in der Gemme ein Siegelstein erkennbar. Allerdings zog man zum Vergleich nur die bekannten kreisförmigen Monogramme der abendländischen Kaiser und Könige des frühen und hohen Mittelalters heran. Bereits im Nürnberg des 18. Jahrhunderts suchte man die Deutung des rätselhaften Steines in dieser Richtung: Der Losunger Hieronymus Wilhelm Ebner von Eschenbach glaubte, das Monogramm als das Konrads I. erklären zu können i. An diese Grundidee schloß Julius von Schlosser wieder an und verwies auf die Ähnlichkeit der Schnittform mit den merowingischen Königsmonogrammen, wie sie auf Urkunden und Münzen vorkommen^. Tatsächlich haben diese Monogramme die Kreuzform als Grundgestalt mit dem Siegelstein des Reichsapfels gemeinsam®. Aber über diese allgemeine Verwandtschaft hinaus fehlen nähere Anhaltspunkte, um den Siegelstein wirklich mit merowingischen Königsmonogrammen zusammenzubringen. Immerhin aber liegt diesen beiden Deutungen ein wahrer Kern zugrunde. Schlosser kam ihm nahe, als er darauf verwies, daß der Ursprung all dieser Königsmonogramme in Byzanz zu suchen sein dürfte. Seine Meinung übernahm dann auch Arpad Weixlgärtner''. Die meisten jener aber, die sich über diesen Stein Gedanken machten, ließen sich von der Grundform des Kreuzes zu einer christologischen Ausdeutung verleiten, worauf schon Christoph Gottlieb von Murr verwies, der unter Berufung auf Consistorialrat Oetters vorschlug, das Monogramm als XPICTOC aufzulösen®. Diese Deutung fand weiten Anklang, die Buchstabenkombination allerdings wurde mehrfach variiert und so etwa von Quirin von Leitner als KXG TOY gelesen und als Kürzung für KYPIOY XPICTOY bzw. TOY KYPIOY XPICTOY erklärt®. Neuerdings fragte Albert Bühler, ob eine Lesung I(HCOY)C X(PICTO)C NIKA nicht möglich wäre'. Eine einwandfreie Klärung des Problems schien daher nur möglich, wenn man ein genaues Bild des Monogramms bzw. eine exakte Form der Buchstabenfolge gewinnen könnte. Das war nur dann möglich, wenn man den Stein aus seiner Fassung lösen und die Schneidearbeit genau — nicht durch die cabochonartig geschliffene Rückseite des Steines — sehen könnte. Diese Herausnahme der Gemme war nach einer Untersuchung der Fassungsleisten leicht durchführbar und bedeutete keine Gefahr für die Goldschmiedearbeit. Wir entschlossen uns zu der Herauslösung des Steines, die genau so wie seine Wiedereinsetzung ohne jeden Zwischenfall verlief. Als der Stein aus seiner Fassung gelöst war, ergab sich zu unserer Überraschung, daß er anscheinend schon öfters zu ähnlichen Zwecken aus seinem Verband gelöst worden war. Anders ist wohl kaum die ^ Christoph Gottlieb von Murr, Beschreibung der sämtlichen Reichskleinodien und Heiligthümer . . Nürnberg 1790, S. I9f. ® Julius von Schlosser, Die Schatzkammer des Ah. Kaiserhauses in Wien, Wien 1918, S. 56, Fig. 30. ® Z. B. A. de Beifort, Description generale des monnaies merovingiennes, Paris 1892, Bd. I. Nr. 776, 777, 866, 868, 871 usw. Bd. II, Nr. 2012, 3168. ^ Arpad Weixlgärtner, Geschichte im Widerschein der Reichskleinodien, Baden bei Wien-Leipzig 1938, S. 23. ® Christoph Gottlieb v. Murr, a. a. O., S. 20. ® Quirin von Leitner, Die hervorragendsten Kunstwerke der Schatzkammer des österreichischen Kaiserhauses, Wien 1870, Tfl. mit Reichsapfel, Szepter und Aspergile. ' Briefliche Mitteilung an den Verfasser.

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