für sich steht, während es den Tabernakeldarstellungen dagegen wesenhaft ist, daß das Kreuz klar vom Tabernakel und durch den Tabernakel vom Alltag, von der Welt isoliert wird; in bewußtem Gegensatz dazu nannten wir hier das Kreuz gewissermaßen eingespannt in ein ausgewogenes System geometrischer Regelfiguren, die vom Kreuz auf die Arkade, von der Arkade auf das Kreuz übergreifen. Es sind eben jene beiden zentralen Dreieckszüge vor allem, die unserer Zeichnung Ordnung und (unter gleichzeitiger Aufhebung der Architektonik in der Arkade) den eigentlichen Halt verleihen. Das Wirken Gottes in der Welt ist trinitär; es durchdringt die Welt und es durchdringt das Menschenleben. Wenn wir uns die Vielfalt der hier angesponnenen symbohschen Gedanlrengänge vor Augen halten, dann werden die anderen großen Bildseiten mit dem Kreuz im Sacramentarium Gelasianum im Vatikan (Abb. 93, 94) sehr viel einfacher erscheinen. Unklarer ist bei diesen Darstellungen, ob es sich um den Gedanken des Triumphkreuzes oder nicht vielleicht doch auch um die janua vitae handelt; denn auch im Gelasianum ist die Standortsangabe vermieden, wirkt das li^reuz im Gegensatz zu den Stein denkmälern schwebend unter dem Bogen. Kaum aber wird sich darüber eine Entscheidung finden lassen, weil die Handschrift im Vatikan die üblichen Ornamentmotive im Fisch-Vogel-Stil verwendet. Sehr im Gegensatz dazu weicht unsere fast gleichzeitig oder nur wenig später entstandene Titelseite vom Überkommenen grundsätzlich ab. Immer wieder wird man verleitet, den Eindruck, den sie ver mittelt, durch die Worte um 1200 zu charakterisieren. So mag noch ein letzter Ausblick zeigen, wie sehr sich innerhalb der 400 Jahre der Torgedanke im Sinne der werdenden Gotik entwickelt und umgewandelt hat. ,,Per me transite", fordern jene Inschriften über dem Eingang romanischer Kirchen; ,,mich durch schreitet, denn ich bin die janua vitae". In großartigster Verkörperung dieses Gedankens bildet der Kruzifixus am Türpfosten im Durchgang des Westlettners in Naumburg (Abb. 91) diese Worte unmittelbar nach; unter seinen waagrecht ausgespannten Armen schreitet man zum Altar. Der Mensch gewordene, auf Erden leiblich leidende Gott ist jetzt das Medium zur Vita nova. In dieser ,,körperhaften" Weise sind auch die Worte über dem Kirchenportale gemeint. Ganz anders wirkt das farbige Blatt im Augustinus. Die gleichen Worte, wie sie die romanische Inschrift bilden, gewinnen für die Frühzeit einen viel weiter gehenden kosmologischen Sinn. Das Durchschreiten führt durch die geistig gedachte Kreuzesidee hindurch. Denn erst durch das Kreuz in der Toröffnung, durch ein Kreuz, das die Türlichte von Pfosten zu Pfosten ausfüllt, wird die Arkade zur janua vitae; ,,Via non est altera vite!" So kommt der Miniator, der unsere Seite schuf, zu Formen, die, wie etwa das geometrisch stilisierte Kreuz, keinerlei Parallelen in Werken der gleichen Zeit haben. Immer wieder erkennen wir, wie das schöpferische Frühmittelalter zu persönlichen Bekenntnissen in der geistigen Deutung dessen fortschreitet, was es aus dem überreichen Erbe der Spätantike für seine Illustrationen auswählt. Kurze Literaturhinweise: Zur Handschrift vgl. E. Heinrich Zimmermann, Vorkarolingische Miniaturen, 1916, S. 87f., 224. Ferner zu den Einzelfragen: Andreas Alföldi, Die Geschichte des Throntabernakels, in: La Nouvelle Clio, 1950, S. 537—566 — Viktor H. Elbern, Die Dreifaltigkeitsminiatur im Book of Durrow, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, XVII, 1955, S. 7—42 ■—• Pauly-Wissowa, Realencyclopädie XVIII/2, Sp. 1668 (Art. Ostium, 4. Sj^'mbolik) — Franz Juraschek, Das Rätsel in Dürers Gottesschau, 1955, insbes. S. 29, 52, 87 (ostium apertum) — Hermann Fillitz, Edelsteinordnung auf der Reichskrone, in: Österr. Zeitschr. f. Kunst u. Denkmalpflege, X, 1956, S. 38 — Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik — Hermann Vetters, Der Vogel auf der Stange, ein Kultzeichen, in: Archäologische Jahreshefte, XXXVII, 1948, S. 131—150 — Der Quellennachweis vor allem auch für Augustinus und die theologische Literatur wird eingehender in der angekündigten größeren Arbeit gebracht werden. Ahbildungsnachweis: Archiv des Kunsthistorischen Institutes der Universität Wien: Abb. 79, 83; Prof. Dr. K. Ginhart, Wien: Abb. 84—86; aus ,,Les manuscrits a peintures en France", Paris 1954: Abb. 87; Bildarchiv der Nationalbibliothek Wien: Abb. 88; aus ,,The dark ages", Worcester Art Museum, Worcester 1937: Abb. 92; aus Hütt, Manikowski, Nickel, Feist, ,,Der Naumburger Dom", Dresden 1956: Abb. 91; aus Zimmermann, Vorkarolingische Miniaturen: Abb. 93 und 94.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2