OSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE IM XXL JAHRGANG • 1958 • HEFT 3 • HERAUSGEGEBEN VOM ÖSTERREICHISCHEN BUNDESDENKMALAMT VERLAG VON ANTON SCHROLL CO • WIEN-MÜNCHEN
ÖSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE (Jahrgang 1/1947 —V/1951 ist als „Österreichische Zeitschrift für Denkmalpflege" erschienen) In Nachfolge der einstigen „Mitteilungen der Zentralkommission für Denkmalpflege in Wien" Herausgeber: Österreichisches Bundesdenkmalamt • Redakteure: Otto Demus und Walter Frodl XII. JAHRGANG 1958/HEFT 3 INHALT Franz JuRASCHEK: „JANUA VITAE", Das Titelblatt einer frühen Augu.stinus-Handschrift / Hermann Vetters: Das Grab in der Mauer / Hermann Fillitz: Neue Forschungen zu den Reichskleinodien / Kürt Holter: Drei Evangelien-Handschriften der Salzburger Schreibschule des 9. Jahrhunderts / Gilbert Trathnigg; Der Römerwall in Wels / Franz JuRASCHEK: Notizen zu Grabungen an vorromanisehen Kirchen in Österreich / Alfred Schmeller: Ausgrabungen in Klosterneuburg / H. Dolenz: Vorläufiger Bericht über die Freilegung einer frühchristlichen Kirche in Laubendorf, Gemeinde Obermillstatt in Kärnten / R. Egger: Der Magdalensberg / G. Mossler: Zwei neue Fundorte frühgeschichtlicher Gräber in Niederösterreich / Franz Hampl :Frühgeschichtliche Ausgrabungen, durchgeführt in den Jahren 1956—1958 vom Niederösterreichischen Landesmuseum / Amilian Kloiber: Ausgrabungen in Oberösterreich / Hermann Vetters: Frühchristliche und frühmittelalter liche Funde auf dem Georgenberg bei Micheldorf, O.-Ö. / Buchbesprechungen Die Zeitschrift erscheint jährlich in 4 Heften Es wird gebeten, Einsendungen an die Redaktion der Zeitschrift im Bundesdenkmalamt, Wien I, Hofburg, Schweizerhof, Säulenstiege, zu richten Bezugspreis: Jährlich 4 Hefte S 80.—. Anzeigenannahme durch den Verlag • Printed in Austria VERLAG VON ANTON SCHROLL & CO. IN WIEN
Fkanz Jtjraschek „JANUA VITAE", DAS TITELBLATT EINER FRÜHEN AUGUSTINUS-HANDSCHRIFT Das Kreuz unter einer Arkade füllt die Titelseite einer frühen Augustinus-Handschrift (Abb. 87), die um die Mitte des 8. Jahrhunderts in einer Schreibstube des nordöstlichen Prankreich, vielleicht in Laon entstand. An dem Bildmotiv als solchem ist nichts, was auffällig erscheinen möchte. Begegnet uns doch die rahmende Arkade immer wieder in den Dedikationsbildern, den Evangelisten-Seiten, den Kanon-Tafeln usf. in unerschöpflichen Variationen, die dem Frühmittelalter nach spätantiken Vor bildern besonders angelegen gewesen sein müssen; ihre Aufgabe ist es offensichtlich, das Dargestellte hervorzuheben, ihm besonderen Ton zu verleihen. Und man wird sich auch nicht wundern, wenn wir hier an Stelle einer menschlichen Gestalt, des thronenden Christus etwa, das Kreuz eingestellt finden, wie auch sonst häufig statt der Evangelisten ihr Symboltier allein unter dem Bogen auftritt. Haben doch die frühen Illustrationen in jenen Kunstgehieten, denen die Handschrift angehört, das Menschen bild ganz allgemein, erst recht aber anthropomorphe Darstellungen Gottes gemieden. Nicht minder wird das knappe Aneinanderstoßen aller Teilflächen, die dichte Füllung derselben durch Tierleiher, das Mosaikartige im Nebeneinander kleinteiliger Farbparzellen und im Zerschneiden jeder größeren Farbfläche, etwa im Federkleid oder in den dekorativen Strichen der Mähnenhaare und Muskellinien, natürlich auch die starke, isolierende Bahmung jeder Teilfläche dem Zeitstil durchaus gemäß erscheinen. Wenn dann in den Füllungen aber der Tierkörper selbst stärker hervortritt als das Liniengefiecht, wenn ferner an die Stelle beweglicher Flächenumrisse nach Art der nordischen Ornamentik die Strenge der geometrischen Begelform tritt, so sind das Einzelzüge, die eher individuell anmuten. Was aber sagt uns das Kreuz unter der Arkade? Auf den Sarkophagen frühchristlicher Zeit dominiert es nicht selten in zentraler Stellung, dort also, wo oft auch das Lamm steht; schon auf den ältesten Denkmälern bereichert sich seine Symbolik, sei es, daß Auferstehungsgedanken hinzugenommen sind (Abb. 79), sei es, daß es auf dem Berge steht, den die vier Flüsse als mons Sion zeichnen (Abb. 80), oder daß es auf Stufen (Berg und Stufen kommen auch gemeinsam vor; Abb. 80, 81) erhöht, sich der Thronidee nähert. Im Fortschreiten seines Gebrauches in der Liturgie finden wir es später manchmal als Zeichen für den Altar, den Altarraum, das Kirchengebäude oder das Meßopfer in ihr, wie es um 728 etwa zwischen Nischen mit Krongehängen auf dem Felix-Sarkophag in Classe (Abb. 83) an die Altar wand erinnern mag. Flechtwerkknoten und anderen Symbolen zugeordnet, selbst an den Balkenflächen auch mit geflochtenen Bändern überzogen, begegnet es dann in karolingischer Zeit häufig genug unter Dreiecksgiebeln oder Arkadenbogen. Unter jenen Steinplatten, welche auf österreichischem Boden bekannt sind, sehen wir auf dreien auch ein Kreuz. Keine der Platten ist mehr in originaler Verwendung. Wohl selbst einst giebelförmige Krönung (Abb. 84), ist das kleinste der Stücke heute im Westgiebel der Kirche in St. Peter am Bichl, das andere in Millstatt (Abb. 85) in einer Durchfahrt des ehemaligen Klosters eingemauert, das dritte aus Lauterach bewahrt das Landesmuseum in Bregenz. Hier steht der Lebensbaum unter der Arkade und daneben das Kreuz (Abb. 86), größer als der Baum und einst — vor der Beschädigung — wohl die Mitte der nur zum Teil erhaltenen Komposition. Von den Anfängen im Kreise der unmittelbaren Heilswahrheiten (Abb. 79) verschiebt sich die Symbolik mehr und mehr in kosmologische Richtung. Auch auf Reliquiaren und sonstiger Kleinplastik begegnet uns das Kreuz unter dem Bogen, kaum dagegen — fast auf wenige Codices einer eng begrenzten Gruppe beschränkt — in Miniaturhandschriften. Ist dies ein Zufall? Führt eine Brücke von der Augustinusminiatur zum skulpturalen Großornament in den Kirchen, wie später etwa zweifellos eine unmittelbare Linie den Bilderschatz der Handschriften mit monumentalen Wandmalereien verbindet? So sehr man dies zunächst erwarten würde, so natürlich es wäre, die in ihrem Motivenreichtum vereinzelte Bildseite mit Arkadenkreuz in die Entwicklungsreihe der gemeißelten ,,Kreuze unter Bogen" einzuordnen, vor allem sie der nur wenig späteren Schicht dekorativer Formen auf Chorschranken oder 8 Denkmalpflege
.^y-' Av TK 1, ■' nij J ^ ^i mw •/ . _ _ ■ . ;^- X: 79. Mittelstück eines altchristlichen Sarkophages mit Passionsszenen; römisch, Ende des 4. Jahi'hunderts, Rom, Lateran-Museum Das Kreuz unter dem Bogen in seiner Vieldeutigkeit; mit den Grabes wächtern vertritt es den Auferste henden (79); durch die Paradieses flüsse (die beiden zungenförmigen Gebilde in 80) wird es zum Lebens baum auf dem Berge Sinai; die Stufen (80, 81) knüpfen an den Thron gedanken an; auch die beiden zum Kreuze hinblickenden Tiere (80) ver weisen auf die Symbolik der vita nova 80. Seitenwand des Kreuzsarkophages in Ravenna, San Francesco; ravennatisch, um 500 (schematische Nachzeichnung) 81. Koptische Stele im Museum in Kairo, 5. Jahi'hundert 82. Christliche Zeichen auf dem Grabstein des Memoriolus aus Lugudunum CIL 2418 mit A und O in gegenständig angeordneten Dreiecken Ambonentafeln anzuschließen — es zeigt sich dennoch bald und eindeutig, daß es hier aus ganz anderen gedanklichen Voraussetzungen zur Einordnung des Kreuzes in das Rund kam als dort. Man muß sich stets gegenwärtig halten, wie vielgestaltig der Sinn ein und desselben Bildmotivs sein kann. Einiges davon kam ja schon oben zur Sprache. Fast möchte man daher daran verzweifeln, aus einer bildlichen Darstellung, die völlig aus Symbolen aufgebaut ist, ihren tieferen Sinn erschließen zu wollen. Man meint, daß uns vielfach die Wege zu einer wissenschaftlich unanfechtbaren Deutung solcher Gegebenheiten hoffnungslos verschüttet sind. Zunächst, ist denn die Vieldeutigkeit eines Zeichens wirklich ein Hindernis für die Wissenschaft, sich mit dem Sinn dieses Zeichens zu beschäftigen? Teilt nicht vielmehr die Bildsprache die Eigenschaft der Vieldeutigkeit eines jeden Zeichens mit der Sprache an sich? Den Historikern der so sehr komplexen Periode des 1. Jahrtausends, die jedes Material, aus welcher Sparte auch immer, zunächst als Urkunde für die geistige Haltung in jenem Zeitraum zu nehmen gewohnt sind, bleibt sofort verständlich, daß damit nicht ein problematischer Schluß per analogiam gemeint sein kann; geht es uns doch um eine sehr konkrete Feststellung über die Art der ,,Aussage" in jener Zeit. Erirmern wir uns etwa daran, daß es nichts anderes als die Vieldeutigkeit der Vokabel ist, die uns die wortgetreue Übertragung eines Textes aus einer Sprache in die andere so schwer macht, ja sie oft vereitelt! Denn vielfacher Nebensinn, der in jedem einzelnen Worte des originalen Textes unwillkürlich (und zwar farbgebend) mitschwingt, muß ja den Sjmonymen in der anderen Sprache, so glücklich sie auch gewählt sein mögen, nahezu zwangsläufig fehlen. Ein ganz ähnlicher Vorgang aber ist es doch, wenn wir einen ,,Text" der Bildsprache in eine Wort sprache ubertragen wollen. Man wird sich klar sein müssen, daß man nur Annäherungswerte bieten kann; um so besser aber werden diese sein, je mehr unsere Exegese in Worten der ,,redenden Farbigkeit" des Bildausdruckes nahekommt. Eine Bilderklärung, die sich auf eine einlinige Deutung festlegen möchte, also starr und dogmatisch sein will, ist von vornherein lebensunwahr. Niemals aber kann die
Das Kreuz imter dem Bogen in seiner Vieldeutigkeit; die Anordnung der drei Arkaden deutet auf die drei Nischen an der Ostwand einer Kirche; bezeichnend die Krongehänge in den seitlichen Nischen und die Kerzenleuchter daneben ■iiMww>üA.-ariir ' 'fs'M 83. Felix-Sarkophag in Ravenna, San Apollinare in Classe; ravennatisch, um 728 3m :, Ä^l- illi 'l) ■ 4 ■:hfiiti Feststellung der Mehrdeutigkeit gewisser symbolischer Elemente einen sonst glücklichen Erklärungs versuch verdächtig machen. Auch das Bildmotiv des Kreuzes unter der Arkade stammt aus einer breiten Fülle von Gedanken verbindungen, aus einer Mehrzahl von Strömungen, die letztlich aus kosmologischen Ür-Vorstellungen entspringen. Wie sehr sie sich verästeln und verzweigen und aus Nachbarkanälen befruchten, hat Andreas Alföldi vor wenigen Jahren nachdrücklich am Beispiel des Throntabernakels zu zeigen versucht. ,,Die Erhöhung und Abtrennung des Souveräns von seinen Handlangern und Untertanen ging sowohl in der Realität des Lebens vor sich wie auch theoretisch . . . Erst, um ihn von den Ein wirkungen der Sonne und des Regens zu schirmen und zu schützen, dann, um seine einzigartige Stellung (als Universalherrscher, deren es eben gleichzeitig nur den einen geben kann) dadurch (d. h. durch den Schirm; durch den Bogen, die Arkaden; durch den Tabernakel, das Kuppelgewölbe) zum Ausdruck zu bringen," also sinnfällig zu machen. Damit aber greifen wir — daran scheint man oft vorbeizusehen — die Quellgedanken aller echten, aller originalen Symbolik. Diese haben nichts von Geheimwissenschaft an sich. Sinnfällig und symbolisch erscheint in den Anfängen der Bildsprache fast synonym. Sicherlich aber sind es gleiche Wege, die den Thron des Herrschers, die das Kreuz unter den Tabernakel stellen lassen. Denn das Kreuz ist doch das Sinnbild des eigentlichen, des einen Weltbeherrschers, neben dem es seinesgleichen nicht geben kann. Wieder drängt sich die historische Realität als Parallele zur Entfaltung eines Symbols auf, wenn das echte Kreuz Christi durch den Perser Khosrau unter einem Thronbaldachin aufbewahrt wurde. Der Bogen ,,erhöht und isoliert" zugleich. Ja, man wird in den Stufen unter dem Kreuz (Abb. 80, 81) die unmittelbare Anknüpfung an die Thronsymbolik nicht übersehen. Wenn nun gar in unserer Miniatur die Arkade von zwei Löwen getragen wird, wie ja auch der Tabernakel über dem Thron Salomes auf zwei Löwen ruhte, so zweifelt Alföldi nicht, daß die Bildseite des 8. Jahrhunderts genau so wie später die Löwenportale in romanischer Zeit unmittelbar und bewußt das weithin wirkende Vorbild aus dem Alten Testament nachahmt. Tatsächlich gibt es nun zu den hochmittelalterlichen Tor-Denkmälern schriftliche Zeugnisse, die den Zusammenhang ausdrücklich bestätigen. Andre Grabar erinnert daran, daß mittelalterliche Fürsten häufig in den Vorhallen der Kirchen Recht sprachen, wie Salome in einer Säulenhalle sein Richteramt ausübte. Da erwähnt nun Lambertus Ardensis bald nach 1200 ein ,,Oratorium sive capellam Salomoniaco tabernaculo in celatura et pictura assimilatam" und auch noch eine andere ,,capellam — extra domum ante portam aedificii — miro lapidum et lignorum contabulatu Salomoniace glorie". Ist damit nicht die Beweiskette völlig geschlossen und durch die Schriftquelle des 13. Jahrhunderts auch für das Denkmal des 8. Jahrhunderts ein unanfechtbares Zeugnis abgelegt? Gleichwohl liegt hier ein Trugschluß vor. Zwei kosmologische Gedankenreihen, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten, ja geradezu von gegensätzlicher Weltanschauung ausgingen, konvergieren
' -'i^l Flechtbandsteine in Österreich mit der Darstellung des Kreuzes; seine Einstellung ^ im Giebel oder die Zuordnung anderer Lebenssymbole zum Kreuz ist zu beachten 'wr.;-" •Js»: Links 84: Karolingische Flechtbandsteine, um 800; St. Peter am Bichl, Kärnten Links unten 85: Karolingische Flechtwerksteine des 9. Jahr hunderts; Millstatt, Kärnten Unten 86: Karolingische Flechtwerk steine des 9. Jahrhunderts aus Lauterach; Bregenz, Vorarlberger Landesmuseum unter enzyklopädischen Tendenzen einer werdenden Scholastik. Was nach dem Zusammenfluß getrennter Ideen gegen 1200 bezeugt ist, darf also keineswegs ungeprüft auf Gestaltungen angewendet werden, die fast ein halbes Jahrtausend zurückliegen. Denn die Deutung von 1200 auf Salomo stammt aus einem anderen Ast der konvergenten Strömungen als die Bild-Gestalt. Da wir solcher Konvergenz symbolischer Entwicklungsreihen immer wieder begegnen, ja, da es geradezu im Wesen der Bildsprache liegt, daß Affinität von Bildern über kurz oder lang zur Ideen-Verschmelzung führen muß, so mag es nicht unerwünscht sein, wenn einmal an Hand eines äußerst charakteristischen Bei spiels solche Konvergenz-Erscheinungen besprochen werden. Schon immer hat man die Arkade über dem Kreuz in unserer Bildseite (Abb. 87) viel lieber als ,,portique", als Tor angesehen, denn als Tabernakel. Doch liegt dann, wollen wir mit dem Worte Tor unsere Auffassung vom Sinn des Bildes bekunden, wirklich eine grundverschiedene Entwicklungsreihe vor. Wieder stehen uns Schriftzeugnisse aus der Zeit um oder nach 1200 zur Verfügung. Diesmal sind es Inschriftzeilen, die unmittelbar in romanische Tympana eingemeißelt sind, wie etwa jene so ein-
Das Kreuz unter der Arkade; durch das Größenverhältniszwischen den drei großen Tieren, dem Kreuz und der Arkade wird sinnfällig, daß der Leitgedanke andersartig sein muß als bei den vorangehenden Beispielen; der Zutritt zur vita nova durch die janua vitae mit Hilfe des Kreuzes (durch das Kreuz) ist eines der Hauptthemen der dynamischen Weltanschauung 87. Titelblatt einer Augustinus-Handschrift, Nordfrankreich, Mitte des 8. Jahrhunderts; Paris, Nationalbibliothek, Lat. 12.168 II J7 dringlichen von St. Peter in Salzburg (Abb. 88): „Janua sum vite. Salvandi quique venite (vgl. die Tiere in den vier Armen des Kreuzes!). Per me transite. Via non est altera vite." Die Arkade, bloß als Rabmung angesehen, wirkt isolierend, ist aber sonst für das darin Dargestellte seiner weltanscbaulicben Einstellung nach ganz indifferent. Anders aber ist es bei der Arkade als Tabernakel und bei der Arkade als Tor. In diesen beiden Fällen — und nur sie beschäftigen uns hier unter den Punktionen, welche der Arkade in einem Bilde zukommen können — sind wir dem Dargestellten gegenüber nicht mehr frei. Wir begegnen ihm unter einer bestimmten, eindeutig festgelegten Weltanschauung. Ein Ding, das wir erhöben, das wir thronen sehen, wollen wir auch für uns unveränderbar haben. Wir stellen den Tabernakel darüber als Schutz vor äußeren Einflüssen, die wir als die feindlichen empfinden, als solche, durch die an der uns bekannten Wesenheit des Thronenden Veränderungen eintreten könnten. Änderung aber ist solchem Weltbild Verfall, also das Schreckhafte. Die Darstellung unter dem Tabernakel ist grundsätzlich ruhend. Es ist die statisch orientierte innerhalb der antiken
Weltanschauungen, welche den Gedanken des Throntahernakels gebar, seine wesentlichen Bestimmungs elemente ausbildete. Auch das Brüllen der thronhütenden Löwen gehört in diesen Gedankenkreis der Abwehr aller Unruhe außen zur Verherrlichung der Ruhe im Wesen des Thronenden. Dynamisch hingegen ist von vornherein die Urvorstellung des Tores, das vor uns liegt, damit wir es durchschreiten. Mit dem Tor ist implicite schon ein besseres Etwas hinter ihm gegeben. Die ewige Sehnsucht nach dem Paradies ist Urgrund und letzter Ausdruck aller dynamischen Weltanschauung. Mag das Tor verschlossen sein als Ausdruck der Unerreichbarkeit des Jenseits, mag es offen sein und einladen zum Blick, zum Gang über die Schwelle hinweg, immer ist es Sinnbild für den Weg von hier nach drüben. Ganz selbstverständlich ist dem Christen, und gerade schon in der Frühzeit, die janua, das Zeichen für die ,,via vite". Eine reizvolle und ergebnisreiche Studie ergäbe sich daraus, würde man die Umwandlung der Toridee im Denken der Griechen, der Humanisten, der Künstler unserer Gegen wart in ihren weltanschaulichen Voraussetzungen untersuchen. Vergleichen wir nun nochmals die Kreuzesdarstelhmgen der Flechtbandsteine mit unserer Miniatur, dann wird uns bewußt werden, wie aus scheinbar geringfügigen Unterschieden im Typus die Kluft zwischen beiden unüberbrückbar wird. In den Steinen (z. B. Abb. 80) liegt der Querbalken des Kreuzes in der Kapitellzone; das Kreuz ragt in den Halbkreis des Bogens hinein, ist von diesem gerahmt; gerne ist die Zierung des Rundes durch perlende Volutenreihen von den Flechtbandfüllungen in den Kreuzbalken oder Arkadenpfeilern deutlich geschieden; immer steht das Kreuz fest auf dem Boden, sei es, daß dieser nur einfach die Grundlinie ist oder daß Sockel oder Stufen den Standort des Kreuzes (im Thron-Gedanken) erhöhen. Nichts ist da, was die beherrschende Erscheinung des Zeichens vom Weltkönigtum beeinträchtigen könnte. Was neben dem Kreuze Platz findet, ist wirklich das unter geordnete Neben-Ihm. Ganz anders ist die Miniatur disponiert (Abb. 87). Das Kreuz, so betont es auch in seiner zentralen Stellung sein mag, ist nicht das Allein-Herrschende. Die drei großen Tiere rundherum sprechen ebenso stark mit, am stärksten vielleicht der Adler im Bogenfeld. Vor allem aber: Das Kreuz steht nicht für sich; es ist gewissermaßen eingespannt in ein ausgewogenes System geometrischer Regelfiguren, inner halb derer es nur ein Teil ist; es steht auch nicht auf einer Bodenfläche oder einem Podest, sondern es schwebt gewissermaßen; und der kleine Schaft, mit dem es in die Tragstange oder in den Kreuzfuß eingesenkt werden kann, ist liebevoll betont, um ja keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, daß wir hier nicht das Kreuz auf dem Altar, nicht das ,,thronende" Kreuz vor uns haben. Nicht weniger ist auch die Arkade in die Ganzheit der ,,Bilderzählung" einbezogen. Zu beachten ist, wie ihr unterstes Feld gegen den Rücken des Löwen keine rote Rahmenborte hat; obwohl aus Einzel feldern zusammengesetzt, wirkt sie nicht wie aus Quadern ,,gebaut", sondern wächst einer Pflanze gleich aus den beiden Tierrücken; ausladende Quadrate bilden ihre Kapitelle, die dennoch wieder nicht — auch hier keine roten Rahmenborten — restlos zur Arkade gehören. So wenig das Ganze ein Bauwerk zu nennen ist, so wenig erschöpft sich sein Sinn etwa darin, nur Rahmen zu sein. So sehen wir, daß nicht die architektonischen Gestalten, Arkade und Kreuz, den Zusammenhalt des Ganzen gewährleisten, sondern das vielfach ineinander verschränkte System farbig gesonderter Schichten; deren eine setzt sich aus den sieben rotgeränderten, rechteckigen oder sphärischen Feldern zusammen; die andere hat violette Umrisse, wodurch (violett = Purpur!) höhere Wertigkeit angedeutet ist; eine dritte endlich verbindet offensichtlich als höchste Steigerung Rot und Purpur nebeneinander für doppelte Rahmung oder — nur in den drei Tierköpfen — zur Flächenfärbung. Es entsteht jenes farbige Kräftespiel, wie solches die frühmittelalterliche Goldschmiedekunst in der Setzung verschiedenfarbiger Edelsteine oder in Glasflüssen so meisterhaft anzuwenden wußte. Ja man kann zwischen der Anordnung der Teilgestalten hier und der Anordnung reicher Edelsteinplatten geradezu überraschende Parallelen feststellen. Zwei Dreiheiten verschränken sich (Abb. 89) über und um das Kreuz; die eine der Dreiheiten bilden die drei violett und rot gerahmten (also königlichen) Quadrate mit dem mittleren Glied als Zentrum; die andere umfaßt die drei großen königlichen Tiere und hat das mittlere Glied als Spitze. Gleiche Verschränkung etwa zeigen auf der Stirnplatte der Kaiserkrone in Wien (Abb. 90) die beiden Dreiheiten der drei Smaragde und der drei Aquamarine. Und da wie dort, im Juwelenschmuck wie in
/ p 88. Hochromanisches Parallelbeispiel: Tympanoii am Westportal der Stiftskirche St. Peter in Salzburg mit der Inschrift: ,,Janua sum vite" der Schniiickseite, sind die verschränkten Dreiheitenpaare eingebettet in den Farbenteppich eines sehr verwandten, mehrschichtigen und von Zahlensymbolik beherrschten Kräftespiels. Wie aber könnte das Transitorische aller Lebenserscheinungen eindringlicher zum Ausdruck kommen als in solcher Durchdringung mehrerer Schichten, deren jede an jedem Anteil hat und so zur Auflösung der architektonischen (statischen) Gegebenlieiten beiträgt. Wirklich ist es nicht der Torgedanke allein, der uns den Sinn des Lebens im Fortschreiten auf das dem Menschen gesetzte Ziel hin vor Augen führt. In der Füllung der Einzelflächen sehen wir Tiere, deren Aktionen deutliche Steigerungen erkennen lassen: der Lichtsucher unten, die Ordnung sub lege, der (im christlichen Sinne gemeinte) Lebenskampf und die Einkehr zum Lebensbaum sub gratia sind die gegeneinander abgesetzten Stufen des Lebens. 89. Sehematisehe Zeichnung nach Abbildung 87 Die Anordnung der beiden Dreiheiten, jede im Dreieck, jedoch das eine mit der Spitze nach oben, das andere mit der Spitze nach unten, wird zum Symbol der ewigen Herrschaft der Trinität (vgl. auch Abb. 82) 90. Schematische Zeichnung der Stirnplatte der Kaiserkrone Ottos I. | von 962; Wien, Schatzkammer IvA O o _o
91. Hochromanisches Parallelbeispiel; Kruzifix am Pfeiler des Westlettners in Naumburg 92. Lindauer Evangeliar; The Pierpont Moi'gan Library, New York Die vier Tiere in den Kreuzarinen sind ebenso in Bewegung. Wie jene zum Licht und zum Lebensbaum aufsteigen, tendieren diese zum Mittelpunkt des Kreuzes, zu Christus also; denn hier in der Mitte des Kreuzes zeugen die auf die Spitze gestellte Raute und die achtstrahlige Rosette als Zeichen der Königswürde und Königsmacht für Christi Gegenwart im Mittelpunkt, wie es etwa die Beischrift DNS NOS IHS XPS für den an gleicher Stelle angebrachten und gleicherweise in ein Quadrat mit eingeschriebener Raute gefaßten Edelstein auf dem Buchdeckel des Lindauer Evangeliars in New York beweist (Abb. 92). In unserer um 50 Jahre älteren Handschrift ist die Beischrift im Genitiv XPI IHU gegeben und auf das A und O zu Seiten des Kreuzes bezogen. Auch hier wird uns klar genug, wie das Transitorische in der Transzendenz Ziel und Ende findet. Ist doch Christus, die Rosette im Mittelpunkt, das einzig Ruhende im dynamischen Kräftespiel, das sonst das Blatt füllt. East noch auffälliger ist, wie das Mysterium auch in der Gestaltung der Buchstaben A und 0 zur Darstellung gebracht ist (Abb. 89 und 82): Anfang und Ende werden nur durch die Blickrichtung vom Menschen aus zum Gegensatz, während sie für Gott ein und dasselbe, Ewigkeit, sind; als ein und dasselbe Zeichen hängt hier das ineinander verschränkte AO links und — dort nur verkehrt zu lesen als OY — rechts an den Kreuzarmen herab. Ähnlich unmißverständlich, wie das Buchstabenpaar Erkenntnisse über die ,,Letzten Dinge" des Lebens auszusprechen hat, tritt auch die Zahl hervor, und so eindringlich ist sie, daß man an ihrer Aussage nicht vorübergehen kann. Gleich leuchtenden Perlen teilen viermal je drei Kugeln die Felder der Arkade, und an Feldern gibt es in ihr vier Rechtecke und drei Bogenstücke; vier Dreiecke und drei Vierecke zählen wir in der violetten Schicht; vier sind der Buchstabensigel AO, XPI, IHU, OV; daß sie wirklich als Gruppe zusammengesehen sein wollen, sagt nicht nur ihr Inhalt, sondern vor allem ihre regelmäßige Anordnung an vier Ecken eines die Kreuzmitte umschreibenden größeren Quadrates; in Dreizahl treten die großen Tiere auf. Vier, Drei, Vier, Drei, Vier, Drei. Augustinus weist an zahlreichen Stellen darauf hin, wie 7 und 12 durch das Gemeinsame der Bestandteile aus 3 und 4 zueinander gehören: ,,Auf Grund der zwei Teile der Zahl Sieben, mit der meistens eine Gesamtheit bezeichnet wird, wird auch durch die Zahl Zwölf in gewisser Weise eine Gesamtmenge bezeichnet. Denn die zwei Teile der Sieben, die Drei und die Vier, ergeben multipliziert zwölf; denn viermal drei und dreimal vier ist zwölf." Mit den viermal drei Ecken der vier Dreiecke und daneben mit den dreimal vier Ecken der drei Quadrate übersetzen die sieben (4+3=7) regelmäßigen Figuren der violetten, an der Schwelle zur Transzendenz stehenden göttlich-königlichen Schicht das Augustinus-Zitat wortwörtlich in die sichtbaren Form.^en der Geometrie. An anderer Stelle und in breiterem Zusammenhang soll versucht werden, die Fülle dessen zu untersuchen, was in dieser Miniatur als unverkennbare Bildersprache noch heute verstanden werden kann. Uber
93, 94. Kreuzesdarstellung im Sacraraentarium Gelasianum in Kom, Vatikan, Bibliothek, Beg. lat. 316; a) fol. 3b, b, b) fol. 4a ACOlCÖlW.5 AN N IClRCuXv 0 'V den „Vogel auf der Stange" oder auf dem Kreuze hat Hermann Vetters beim Kongreß in Pavia referiert. Nicht Unwesentliches wird unser Adler durch die Art, wie er auf dem Kreuze steht, wie er in der Höhe unter das Bogenrund und zugleich im (steilen) Dreieck den beiden Königstieren unten am Boden zugeordnet ist, jener Entwicklungsreihe an neuen Gesichtspunkten beitragen helfen. Die Dreiheiten der Königstiere: Löwe—Adler—Löwe und jene im anderen Dreieckszug (in den Quadraten) mit ebenfalls königlichen Symbolen Löwe—achtstrahlige Rosette—Löwe, geben uns ja an sich schon Probleme zu lösen auf, mehr noch durch die Abstimmung aufeinander und ihre Einflechtung in die ,,Architekturen" Arkade und Kreuz; was etwa kommt darin zum Ausdruck, daß die Löwen unten das Kreuz belecken? Daß die kleineren Tiere in den Füllungen der Rechteck-, Bogen- und Dreieckfelder den Aufstieg des Menschen vom Lichtsucher bis zum Sieger vor dem Lebensbaum symbolisieren wollen, wurde schon oben angedeutet; doch auch hier sind die Fragen, die offen stehen und eindeutiger Belege durch verwandte Darstellungen bedürfen, die überwiegenden. Neben der Überzeugung aber, daß in dieser ,,Schmuck"-Seite wohl kaum ein Strich bloß aus ästhetischem, dekorativem Bedürfnis geschah, daß vielmehr alles und jedes, selbst auch geringfügige Einzelheiten, der Deutung des Inhaltes dienen soll — neben solchen Grundüberlegungen bleibt die Feststellung vor allem maßgebend, daß hier weit ausgreifende kosmologische Erkenntnisse ausgesprochen werden. ,,Denn auf Grund ihrer Teile Drei und Vier bezeichnet die Zahl Sieben (und mit ihr in gewisser Weise die Zwölf) eine Gesamtheit", sagt Augustinus. Drei als die Zahl Gottes und Vier als die Zahl der Schöpfung ergeben als Summe die Zahl Sieben; der Schöpfer und sein Werk sind der Kosmos; durch den Schöpfer zieht Kosmos, Ordnung in das All ein. Sieben und Zwölf sind die Zahlen ,,einer Gesamt heit", einer Ordnung. Allbekannt ist ja die Briefstelle des Augustinus, worin er das Dreieck als Darstellung der Trinität ablehnt; wie dies vom Frühmittelalter verstanden wird, läßt unsere Miniatur erkennen; nirgends ist dem Dreieck als Flächenform eine beherrschende Stellung eingeräumt. Die Person Gottes, das ,,Wesen" der Trinität werden nicht mit dem Dreieck in Verbindung gebracht. Wohl aber ihr Wirken. In zentraler Stellung durchdringt zweimal das gedachte, das ideale Dreieck das Blatt und die ,,Architekturen"; da ist der steile Dreieckszug, also jener, der die drei großen Tiere, und dann der flachere, der die drei königlichen Symbole in den Quadraten verbindet. Wir sprachen eingangs davon, daß das Kreuz nicht 9 Denkmalpflege
für sich steht, während es den Tabernakeldarstellungen dagegen wesenhaft ist, daß das Kreuz klar vom Tabernakel und durch den Tabernakel vom Alltag, von der Welt isoliert wird; in bewußtem Gegensatz dazu nannten wir hier das Kreuz gewissermaßen eingespannt in ein ausgewogenes System geometrischer Regelfiguren, die vom Kreuz auf die Arkade, von der Arkade auf das Kreuz übergreifen. Es sind eben jene beiden zentralen Dreieckszüge vor allem, die unserer Zeichnung Ordnung und (unter gleichzeitiger Aufhebung der Architektonik in der Arkade) den eigentlichen Halt verleihen. Das Wirken Gottes in der Welt ist trinitär; es durchdringt die Welt und es durchdringt das Menschenleben. Wenn wir uns die Vielfalt der hier angesponnenen symbohschen Gedanlrengänge vor Augen halten, dann werden die anderen großen Bildseiten mit dem Kreuz im Sacramentarium Gelasianum im Vatikan (Abb. 93, 94) sehr viel einfacher erscheinen. Unklarer ist bei diesen Darstellungen, ob es sich um den Gedanken des Triumphkreuzes oder nicht vielleicht doch auch um die janua vitae handelt; denn auch im Gelasianum ist die Standortsangabe vermieden, wirkt das li^reuz im Gegensatz zu den Stein denkmälern schwebend unter dem Bogen. Kaum aber wird sich darüber eine Entscheidung finden lassen, weil die Handschrift im Vatikan die üblichen Ornamentmotive im Fisch-Vogel-Stil verwendet. Sehr im Gegensatz dazu weicht unsere fast gleichzeitig oder nur wenig später entstandene Titelseite vom Überkommenen grundsätzlich ab. Immer wieder wird man verleitet, den Eindruck, den sie ver mittelt, durch die Worte um 1200 zu charakterisieren. So mag noch ein letzter Ausblick zeigen, wie sehr sich innerhalb der 400 Jahre der Torgedanke im Sinne der werdenden Gotik entwickelt und umgewandelt hat. ,,Per me transite", fordern jene Inschriften über dem Eingang romanischer Kirchen; ,,mich durch schreitet, denn ich bin die janua vitae". In großartigster Verkörperung dieses Gedankens bildet der Kruzifixus am Türpfosten im Durchgang des Westlettners in Naumburg (Abb. 91) diese Worte unmittelbar nach; unter seinen waagrecht ausgespannten Armen schreitet man zum Altar. Der Mensch gewordene, auf Erden leiblich leidende Gott ist jetzt das Medium zur Vita nova. In dieser ,,körperhaften" Weise sind auch die Worte über dem Kirchenportale gemeint. Ganz anders wirkt das farbige Blatt im Augustinus. Die gleichen Worte, wie sie die romanische Inschrift bilden, gewinnen für die Frühzeit einen viel weiter gehenden kosmologischen Sinn. Das Durchschreiten führt durch die geistig gedachte Kreuzesidee hindurch. Denn erst durch das Kreuz in der Toröffnung, durch ein Kreuz, das die Türlichte von Pfosten zu Pfosten ausfüllt, wird die Arkade zur janua vitae; ,,Via non est altera vite!" So kommt der Miniator, der unsere Seite schuf, zu Formen, die, wie etwa das geometrisch stilisierte Kreuz, keinerlei Parallelen in Werken der gleichen Zeit haben. Immer wieder erkennen wir, wie das schöpferische Frühmittelalter zu persönlichen Bekenntnissen in der geistigen Deutung dessen fortschreitet, was es aus dem überreichen Erbe der Spätantike für seine Illustrationen auswählt. Kurze Literaturhinweise: Zur Handschrift vgl. E. Heinrich Zimmermann, Vorkarolingische Miniaturen, 1916, S. 87f., 224. Ferner zu den Einzelfragen: Andreas Alföldi, Die Geschichte des Throntabernakels, in: La Nouvelle Clio, 1950, S. 537—566 — Viktor H. Elbern, Die Dreifaltigkeitsminiatur im Book of Durrow, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, XVII, 1955, S. 7—42 ■—• Pauly-Wissowa, Realencyclopädie XVIII/2, Sp. 1668 (Art. Ostium, 4. Sj^'mbolik) — Franz Juraschek, Das Rätsel in Dürers Gottesschau, 1955, insbes. S. 29, 52, 87 (ostium apertum) — Hermann Fillitz, Edelsteinordnung auf der Reichskrone, in: Österr. Zeitschr. f. Kunst u. Denkmalpflege, X, 1956, S. 38 — Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik — Hermann Vetters, Der Vogel auf der Stange, ein Kultzeichen, in: Archäologische Jahreshefte, XXXVII, 1948, S. 131—150 — Der Quellennachweis vor allem auch für Augustinus und die theologische Literatur wird eingehender in der angekündigten größeren Arbeit gebracht werden. Ahbildungsnachweis: Archiv des Kunsthistorischen Institutes der Universität Wien: Abb. 79, 83; Prof. Dr. K. Ginhart, Wien: Abb. 84—86; aus ,,Les manuscrits a peintures en France", Paris 1954: Abb. 87; Bildarchiv der Nationalbibliothek Wien: Abb. 88; aus ,,The dark ages", Worcester Art Museum, Worcester 1937: Abb. 92; aus Hütt, Manikowski, Nickel, Feist, ,,Der Naumburger Dom", Dresden 1956: Abb. 91; aus Zimmermann, Vorkarolingische Miniaturen: Abb. 93 und 94.
Hebmann Vettebs DAS GRAB IN DER MAUER Anläßlich der Grabungen im Bereich der barocken Vierung des Salzhurger Domes, die 1957 unter meiner Leitung durchgeführt wurden, fanden wir beim ältesten Domhau, der mit guten Gründen dem hl. Virgil zuzuschreiben ist, an der Südostecke einen interessanten und ungewöhnlichen Befund. Der Dom Virgils dürfte nach den ergrabenen Mauerresten eine dreischiffige querschifflose Basilika gewesen sein^. An das südliche Schiff ist mit deutlicher Baufuge eine 5,4 x 13,5 m große Kapelle angefügt (vgl. Abb. 95), deren Bodenniveau rund 421 m beträgt. Der Boden dieser Kapelle schloß direkt an die verputzte Außenseite des Virgildomes an. Von der 1,7 m breiten Südmauer desselben waren noch 3,05 m erhalten. Darauf folgt eine breite, die ganze Nord-Süd-Erstreckung sich hinziehende Störung aus barocker Zeit. Nahe der Abbruchsteile der Südmauer stießen wir beim schichtenmäßigen Freilegen auf eine vermutlich barocke gewölbte Gruft (Abb. 97). Ihre Nordwand bildete die Südmauer des Virgildomes, das Gewölbelager formte hier ein Mauervorsprung (vgl. Abb. 95) mit dem Niveau von 421,79 m. Diese Gruft war leer. Ihr Ziegelboden lag tiefer als der Estrich der angebauten Kapelle (421 zu 420,72 m). Die Kapelle wird durch eine an der Südwand aufgemalte Inschrift — ein Bibel zitat — in das 9. Jahrhundert datiert^. Nachdem wir die späte Grabstätte abgetragen hatten, zeigte sich, daß die Südmauer der Basilika an dieser Stelle im Fundament eine andere Konstruktion besitzt als wir sie sonst, vor allem beim tief verlegten Fundament der Ostmauer, gefunden haben. Während nämlich diese anderen Teile des Virgilbaues im Fundament — vom Aufgehenden ist ja fast nichts mehr erhalten — durchwegs aus gut behauenen, ziemlich gleichmäßigen Handsteinen aufgeführt sind und nur vereinzelt opus spicatum vorkommt bzw. an den tektonisch und statisch wichtigen Ecken große Quadern versetzt sind®, konnten wir hier nebeneinanderliegende große Tuffquadern beobachten. Die genaue Untersuchung ergab, daß der bei den Quadern verwendete Mörtel eine andere Zusammensetzung und Farbe aufwies^ als die übrigen Teile der Südmauer der Basilika. Nachdem wir den Ziegelplattenhoden der späten Gruft abgehoben hatten, präsentierte sich die Süd mauer wie Abb. 95, 96 (Grundriß, Aufriß) zeigt. Ungefähr in der Mitte des noch erhaltenen Mauer stückes fanden wir, durch einige Steine lose geschlossen, eine ungefähr rechteckige Öffnung (50 x 60 cm), die in das Innere der Mauer führte (Abb. 98). Im Osten bildeten zwei Steine eine dromosartige, rund 25 cm breite und 75 cm lange Mauer, im Westen zog unter der Virgilsüdmauer eine schlecht gemörtelte, römische Fundamentmauer gegen Süden. In ihren oberen Teilen war sie gestört; dort lagen parallel zu den östlichen Steinen zwei 0,6 m lange und 0,15 m breite Quadern. Es schien, als ob eine Einfassung zu der oben beschriebenen Öffnung bestanden hätte. Das Fundament der Virgilmauer bildeten die oben genannten Tuffquadern, die auf einem Mörtelbett aufsaßen. Die öberkante der quadratischen Öffnung liegt etwas tiefer als das Bodenniveau der im Süden angebauten Kapelle, die wahrscheinlich dem Erzbischof Liupram zuzuweisen sein wird®. Da das Schwellennniveau der Öffnung ebenfalls tiefer liegt als der Boden der Kapelle, muß diese Anlage vor dem Bau der Südkapelle entstanden sein®; sie gehört also in das späte 8. oder frühe 9. Jahrhundert. Innerhalb der Südmauer fanden wir, aus dieser herausgehauen und zwar sekundär, einen 2,3 X 1,1 m ^ Vgl. den Vorbericht über die Ausgrabungen im Salzburger Dom, Mittig. d. Gesellsehft. f. Salzbg. Landkde. 98, 1958, S. 274f.; dort auch den Plan. Bei diesem ist durch ein Versehen beim Reinzeichnen die Apsis des Virgildomes etwas zu steil gezeichnet worden, die richtige Kurve gibt Abb. XX. 2 A. a. O., S. 275. ^ Manchmal hat es sich dabei um Spolien gehandelt, vgl. z. B. a. a. O., S. 276 und Abb. XX bzw. XXI, 1, 2. ' Die Verschiedenheit der Mörtelzusammensetzung kann nur sehr bedingt zur Untersuchung von Bauperioden herangezogen werden. Vor allem bei Großbauten besteht die Gefahr, daß dieses Kriterium ohne Einschränkung angewandt wird. Jede neue Bereitung von Mörtel bringt naturgemäß auch eine andere Zusammensetzung mit sich. Jede Fuhi'e Sand, auch aus der gleichen Sandgrube, kann eine neue Korngröße mit sich bringen. Man bedenke nur, welche Mengen an Mörtel für die Gußkerne der Mauern des romanischen Domes benötigt wurden! = A. a. O., S. 175, Anm. 28. ® Das Niveau beträgt 420,14 m.
\ ^,/oo li'i'.Ä 95. Ausschnitt aus dem Gesamtplan der Gi-abungen im Salzburger Dom //////// = Mauern der vorromanischen Domanlage (Virgilbau) = Mauern der angebauten Süd kapelle (Liuprambau?) schwarz = römische Mauern Steinzeichnungen = romanische Mauern weiß = Mauern des heutigen Domes -luipraMBODEN -ZlEGELABORUCKt OES exROCKBODENS 0R urT OFP NUN(j ' io - 1-20 ~ l.cf ROM.HAUERN . Ansicht der aus Ziegeln erbauten späten Gruft ; L r-
- Ii 97. Ansicht der Südwand des vorromanischen Domes (Virgilbau) 98. Ansicht der Südwand des vorromanischen Domes (Virgilbau) mit dem Zugang zum Loculus; man beachte beiderseits des Mannes die verlegten Steine der Einfassung großen und 1 m hohen Raum, der seinem Aussehen nach nur als Grabstelle erklärt werden kann, obwohl wir mit Ausnahme einer Schnalle und einigen Eisenbeschlägen im Inneren nichts mehr vorfandeiR. Der Vorgang bei der Errichtung der Anlage kann an Hand des Befundes eindeutig rekonstruiert werden. Nachdem man den Außenputz der Mauer abgeschlagen hatte und das Fundament der Mauer freigelegt worden war, wurde in der ganzen Länge der Grabstelle die Mauer ausgemeißelt und auf die vorgeschriebene Höhe von rund 1 m gebracht. Mit Ausnahme der durch Steine eingefaßten rechteckigen Öffnung wurde nach Einführung des Sarges die Öffnung im Süden durch Einfügen der Tuffquadern wieder geschlossen und mit Mörtel verschmiert. Soweit der Putz gestört war, wurde er durch einen neuen ergänzt, wobei man sorgfältig darauf achtete, daß der neue Putz den alten überlappte. Die viereckige Öffnung dürfte mit einer Platte abgedeckt gewesen sein. Als wir die Mauer freigelegt hatten, war an den kritischen Stellen der Putznaht diese nur mehr zum Teil überlappend erhalten, der Rest war mit Mörtel verschmiert; an diesen Stellen waren also drei bzw. vier verschiedene Putze und Mörtel festzustellen. Als der Boden der Liupramkapelle eingegossen wurde, verdeckte er auch die viereckige Öffnung vollkommen. Dieser Boden wurde von uns mit Ausnahme der später an die Südmauer der Virgilbasilika angebauten Gruft völlig intakt angetroffen. Allerdings störte der tiefer liegende Boden dieser Gruft den Estrich bis zur Öffnung der in die Mauer versenkten Gruft, so daß wir anläßlich der Ausgrabung nicht mehr feststellen konnten, wann die Gruft geleert wurde. Der Brauch, innerhalb der Mauern einer Kirche zu bestatten, ist selten und bisher in unserem Heimat lande, soweit mir bekannt ist, für die Zeit des 8./9. Jahrhunderts — und nur in diese Zeit kann ja nach dem Befund die Anlage datiert werden — nicht bekannt®. In den Gesta archiepiscoporum Salisburgensium® wird das Leben des hl. Virgil beschrieben. Die Quelle für diese Biographie bildete die Conversio Bagoariorum et Carantanorum, doch bringt der unbekannte Autor der Gesta, der im 12. Jahrhundert geschrieben hat, doch auch einige Nachrichten, die über die Conversio hinausgehen. Es handelt sich naturgemäß um solche, die sich zu seinen Lebzeiten oder kurz zuvor abgespielt haben. Wohl die bedeutendste ist die Erzählung von der Auffindung des Grabes des hl. Virgil anläßlich des Dom-Neubaues unter Konrad III., der ja, wie unsere Grabungen gezeigt haben, wahrscheinlich der Schöpfer des großen romanischen Domes gewesen ist^". ' Die erwähnten Funde werden zur Zeit konserviert. 8 Ein Befund in Ossiach, der ähnlich ist, gehört einer späteren Zeit an und ist noch nicht veröffentlicht. 9 MG. SS XI ed. H. Pertz 1854, S. 86ff. Vetters, a. a. O., S. 88. Trathnigg, a. a. O., S. 229f.
Der Text lautet^^ an den entscheidenden Stellen: „Anno vero dominice incarnationis 1181, 14 indictione, 14 Kai. Marth, . .. folgt die Datierung nach Papst Alexander, Kaiser Friedrich, König Heinrich, Herzog Otto v. Wittelsbach . . supra memorati fabrica nionasterii^^, quae scismatispersecutione conflagrante ante aliquot annos diruta et diruenda deperierat^^, sumptibus et iussu preclarissimi pastoris Chuonradi Salzburgensis archiepiscopi, apostolicae sedis tunc legati in Alemannia, cardinalis, presbyter Sancti Marcelli, Sabinensis episcopi, quandoque etiam Moguntiensis archiepiscopi, dum a fundamento cepit reaedificari, sancti Spiritus cooperante gratia et divinae maiestatis suffragante clementia, corpus beati Virgilii, quod ob immensem temporis antiquitatem ab omnibus ignorabatur, contigit revelari. Quadam ergo die factum est, ut lapides muro elapsi aliquantulum intro spectandi aditum transeuntibus prebuissent; diligentius aliquibus hoc ipsum considerantibus concavitatis patuerunt indicia et pictura vetustioris deaurata illic visa sunt scemata. Porro canonicis huius rei novitatem perquirentibus, et latius eiusdem muri aperturas patefacientibus, inventa est beati Virgilii, octavi post sanctum Ruodbertum Salzburgensis episcopi, tumba et depicta imago, eiusdemque imaginis huiuscemodi epigramma: Virgilius templum construxit scemate pulchro. Et praeterea dies obitus eius, 5. Kai. Decembris. Isdem vero dignus Deo pontifex, ut in annalibus nostris reperimus, maioris ecclesiae, in qua et sepultus fuit, primus extitit fundator, et beati Ruodberti sedis episcopalis in ipsam ecclesiam, qua nunc est, pius translator." Die Erzählung bringt in frischer Weise die Auffindung des Virgilgrabes. Auf Grund des Textes geht klar hervor, daß es sich um ein richtiges ,,verstecktes" Grab handelt (tumba kann nur Grab, allenfalls Sarkophag heißen). Die herausfallenden Steine, die wohl durch die Erschütterung beim Abbruch der Mauern sich aus dem Verband gelöst haben, sprechen für eine durch Platten geschlossene Grabanlage nach Art der Arkosolgräber. Es kann sich auf keinen Fall um ein Bodengrab, Hochgrab oder eine Grabkapelle in einer Art Krypta handeln, sondern der Sarg muß in der Mauer durch Platten oder Steine (lapides) eingemauert gewesen sein. In der Öffnung (concavitas!) sah man gemalte vergoldete Bilder (picturae deaurata scemata); diese waren sicher nicht an der Wand einer Gruft, da der Autor, von dem man fast annehmen möchte, daß er Augenzeuge gewesen ist, dies sicher mitgeteilt hätte, sondern vermutlich schimmerte der mit Goldmalerei verzierte Holzsarg, der auch imagines aufwies wie der etwa gleichzeitige Holzsarg des hl. Cuthbert^^. Dabei fand sich auch die Inschrift — auf dem Sarg oder daneben, etwa auf der Abschlußplatte — (das Epigramm) mit dem Bildnis (imago depicta). Was wir gerne wissen möchten, nämlich wo sich die Mauer befunden hat, sagt der Autor hier nicht. Doch tritt dafür eine andere Stelle der vita ein. Im Kapitel IV schildert der Erzähler den Tod des Heiligen und berichtet auch kurz über sein Begräbnis^®: ,,Celebrato denique divini sacramenti mysterio, leni morbo correptus, anno dominice incarnationis 784, 5. Kalendas Decembris obdormivit in Domino, cuius corpus in latere meridiano monasteriii® cuius ipse 12 annis fabricator et in tertio decimo consecrator extiterat, prout tantum decuit pontificem, honorificae fuit repositum, sacer autem Spiritus eius civium consortio gaudet supernorum." Die Nachricht, daß der Leichnam des hl. Virgil ,,in latere meridiano" beigesetzt wurde, wird kaum in einer der Vorlagen des Autors gestanden haben, sondern der Autor schöpft sein Wissen aus der Zeit der Auffindung des Virgilgrabes, also aus dem Jahre 1181, als es beim Abbruch des vorromanischen Domes entdeckt wurde. Für uns wichtig ist die Angabe der Südseite. Zum Ausdruck ,,latus", der normal Seite, Richtung bedeutet, vor allem aber bei Gebäuden die Richtung inter frontem et posticum bezeichneD^', ist zu sagen, daß wohl auch die Ansicht vertreten werden kann, daß damit hier die südliche Außenwand " A. a. O., S. 88f. Gemeint ist der Neubau des Domes. Es handelt sich um die Zerstörung und den Brand im Jahre 1167, anläßlich der Einnahme Salzburgs durch die Grafen von Piain. MG. Necr. II, S. 120. The relics of St. Cuthbert, herausgegeben v. C. E. Battiscombe, S. 203ff. « A. a. O., c. IV, S. 88ff. Vgl. Anm. 12. De-Vit, Totius Latinitatis Lexicon s. v. und F. Blatt, Novum glossarium s. v. latus. Der normale Ausdruck für die Richtung wäre latere meridiano.
gemeint ist. Dies zeigt vor allem die Verwendung von ,,in latere", das nur als „innerhalb, darinnen" zu verstehen ist. Das zeigt übrigens auch der Text über die Auffindung des Grabes, wie die Ausdrücke: ,,lapides muro elapsi" oder die Verwendung des Wortes ,,concavitas" — Aushöhlung — erkennen lassen. Wäre das Grab innerhalb der Kirche gelegen gewesen, so hätte es gegen die Canones verstoßen, die eine Bestattung innerhalb der Kirche ausdrücklich verboten haben^®. Erst seit der Synode von Mainz (813) war es Bischöfen und Standespersonen gestattet, sich innerhalb der Kirche bestatten zu lassen^®. Ganz anders verhielt es sich aber mit den außen an der Wand oder auch in der Vorhalle angelegten Gräbern. Schon in frühchristlicher Zeit finden wir die Grabanlagen sub tegolata (also der Vorhallen)®®. Stets haben aber, bereits in frühchristlicher Zeit, die Gründer von Kirchen eine besondere Stellung eingenommen und für sich das Recht der Bestattung in der Kirche in Anspruch genommen, auch wenn es die Canones verboten haben®^. Ob die Anlage des Grabes innerhalb der Mauern einer Kirche eine spezielle landschaftlich gebundene Form der Bestattung darstellt, wage ich nicht zu entscheiden®®. Auf Grund der Grabungen und der Interpretation der schriftlichen Quellen scheint es also möglich zu sein, daß der loculus innerhalb der Südmauer des Virgildomes die älteste Ruhestätte des Bischofs und Heiligen Virgil gewesen sein kann. Nach der Art der Anlage war es ein richtiges verstecktes Grab®®, das leicht — vor allem nach Errichtung der Kapelle im Süden — vergessen werden konnte. Ein eindeutiger Beweis dafür wird sich allerdings beim Fehlen jeglicher inschriftlicher Funde kaum erbringen lassen. A. Verbeek, Die Außenkrypta, in: Zeitschr. f. Kunstgeschichte 1950, S. 71 f. C. J. Hefel-H. Leclerq, Histoire des conciles III, S. 180, 297, 1130, 1142. F. X. Kraus, Real-Enzyklopädie der christl. Altertümer, S. 632 für die Cömeterialkircheu. Verbeek, a. a. O. Die Ausnahme bildeten die Friedhofskirchen; z. B. wird der hl. Emmeram in der Georgskirche bestattet, die außerhalb der verbauten Stadt stand; vita S. Heimhrami c. 34. Wie streng der Brauch z. T. eingehalten wurde, zeigt das älteste Grab des hl. Liudiger in Wieden, das östlich der Kirche angelegt wurde; Verbeek, a. a. 0. Soweit uns die Viten darüber belichten, sind die Zeitgenossen des hl. Virgil nicht so begraben worden. Über in Mauern errichtete Gräber in Norddeutschland aus späterer Zeit vgl. R. Haupt, Versteckte Gräber, in: Zeitschr. f. Geschichte der Architektur III, 1909/10, S. 210ff. Abbildungsnachweis: Alle Aufnahmen Dr. Hermann Vetters, Wien.
Hebmann Fillitz NEUE FORSCHUNGEN ZU DEN REICHSKLEINODIEN Die Gemme des Reichsapfels Unter den Steinen, mit denen der Reichsapfel (Abb. 99) besetzt ist, befindet sich auch eine einzige Gemme. Sie ist übrigens an bevorzugter Stelle montiert, nämlich im Schnittpunkt der Kreuzbalken, und erregte auch daher gesteigertes Interesse (Abb. 100). Da der kreisrunde Stein mit der Schnittfläche nach innen zu montiert ist, können durch die Lichtbrechung die den Kanten zu liegenden Teile des Steinschnittes nicht genau abgelesen werden. Gerade dort befinden sich aber für die Lösung der Darstellung entscheidende Einzelheiten. Die Hauptzüge der Komposition sind auch von außen erkennbar; ein Kreuz aus vier etwa gleichlangen Armen, in ihrem Schnittpunkt ein Kreis. An jedem der Balkenenden ist ein Buchstabe angehängt, von denen ein Sigma (C) und eine dem Chi (X) ähnliche Figur verhältnismäßig deutlich erkennbar sind. Ohne allzu große Schwierigkeiten ist in der Gemme ein Siegelstein erkennbar. Allerdings zog man zum Vergleich nur die bekannten kreisförmigen Monogramme der abendländischen Kaiser und Könige des frühen und hohen Mittelalters heran. Bereits im Nürnberg des 18. Jahrhunderts suchte man die Deutung des rätselhaften Steines in dieser Richtung: Der Losunger Hieronymus Wilhelm Ebner von Eschenbach glaubte, das Monogramm als das Konrads I. erklären zu können i. An diese Grundidee schloß Julius von Schlosser wieder an und verwies auf die Ähnlichkeit der Schnittform mit den merowingischen Königsmonogrammen, wie sie auf Urkunden und Münzen vorkommen^. Tatsächlich haben diese Monogramme die Kreuzform als Grundgestalt mit dem Siegelstein des Reichsapfels gemeinsam®. Aber über diese allgemeine Verwandtschaft hinaus fehlen nähere Anhaltspunkte, um den Siegelstein wirklich mit merowingischen Königsmonogrammen zusammenzubringen. Immerhin aber liegt diesen beiden Deutungen ein wahrer Kern zugrunde. Schlosser kam ihm nahe, als er darauf verwies, daß der Ursprung all dieser Königsmonogramme in Byzanz zu suchen sein dürfte. Seine Meinung übernahm dann auch Arpad Weixlgärtner''. Die meisten jener aber, die sich über diesen Stein Gedanken machten, ließen sich von der Grundform des Kreuzes zu einer christologischen Ausdeutung verleiten, worauf schon Christoph Gottlieb von Murr verwies, der unter Berufung auf Consistorialrat Oetters vorschlug, das Monogramm als XPICTOC aufzulösen®. Diese Deutung fand weiten Anklang, die Buchstabenkombination allerdings wurde mehrfach variiert und so etwa von Quirin von Leitner als KXG TOY gelesen und als Kürzung für KYPIOY XPICTOY bzw. TOY KYPIOY XPICTOY erklärt®. Neuerdings fragte Albert Bühler, ob eine Lesung I(HCOY)C X(PICTO)C NIKA nicht möglich wäre'. Eine einwandfreie Klärung des Problems schien daher nur möglich, wenn man ein genaues Bild des Monogramms bzw. eine exakte Form der Buchstabenfolge gewinnen könnte. Das war nur dann möglich, wenn man den Stein aus seiner Fassung lösen und die Schneidearbeit genau — nicht durch die cabochonartig geschliffene Rückseite des Steines — sehen könnte. Diese Herausnahme der Gemme war nach einer Untersuchung der Fassungsleisten leicht durchführbar und bedeutete keine Gefahr für die Goldschmiedearbeit. Wir entschlossen uns zu der Herauslösung des Steines, die genau so wie seine Wiedereinsetzung ohne jeden Zwischenfall verlief. Als der Stein aus seiner Fassung gelöst war, ergab sich zu unserer Überraschung, daß er anscheinend schon öfters zu ähnlichen Zwecken aus seinem Verband gelöst worden war. Anders ist wohl kaum die ^ Christoph Gottlieb von Murr, Beschreibung der sämtlichen Reichskleinodien und Heiligthümer . . Nürnberg 1790, S. I9f. ® Julius von Schlosser, Die Schatzkammer des Ah. Kaiserhauses in Wien, Wien 1918, S. 56, Fig. 30. ® Z. B. A. de Beifort, Description generale des monnaies merovingiennes, Paris 1892, Bd. I. Nr. 776, 777, 866, 868, 871 usw. Bd. II, Nr. 2012, 3168. ^ Arpad Weixlgärtner, Geschichte im Widerschein der Reichskleinodien, Baden bei Wien-Leipzig 1938, S. 23. ® Christoph Gottlieb v. Murr, a. a. O., S. 20. ® Quirin von Leitner, Die hervorragendsten Kunstwerke der Schatzkammer des österreichischen Kaiserhauses, Wien 1870, Tfl. mit Reichsapfel, Szepter und Aspergile. ' Briefliche Mitteilung an den Verfasser.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2