Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

lassen. Bei der Restaurierung der Kirche wurden auch interessante Fresken des 14. Jahrhunderts ent deckt. Der kleine Altar (Abb. 25) befand sich nicht mehr in seiner ursprünglichen Situation, sondern war an der Brüstung der Orgelempore befestigt. Die starke Verschmutzung des Kunstwerkes ließ nicht gleich erkennen, wie wohl erhalten es war (Größe 105 X 101 cm). Der Schrein zeigt in einer Rahmung von gedrehten Säulchen und spätgotischer Blattwerkornamentik in der Mitte den hl. Martin mit Bettler, zu seiner Rechten Jakobus major, zu seiner Linken St. Christopher (Abb. 22). Die geläufige Art der Schnitzkunst geht über mittelmäßige Qualität nicht hinaus und zeigt, wie abgebraucht die eigentlichen gotischen Werte waren und wie wenig intensiv die neuen Prinzipien, äußerlich angewendet, künstlerische Wirkung hervorrufen konnten. Was den Schrein so interessant macht, ist der Umstand, daß die Fassung in allen Einzelheiten die originale ist. Die Lüstrierungen, auf Silber hauchdünn aufgebracht, sind von unwahrscheinlichem Glanz, die gesamte Oberfläche im Gegensatz zu der Mattigkeit, die wir uns sonst für manche gotischen Figuren vorstellen, überaus glatt und glänzend gehalten, so daß wir an die Anwendung des sogenannten Gloriatfirnisses denken müssen, den uns die alten Malerbücher als eine Mischung von Harz und Leinöl beschreiben®. Es ist alles echt an dieser Oberfläche, die Gravierung des Hintergrundes, das Silber und Gold des Rankenwerkes, ja sogar die Papierhintergründe hinter dem Rankenwerk mit Ornamentierung in Rot, Blau und Grün, die an mehreren Stellen freilich stark zerschlissen waren, so daß sie nicht mehr zur Gänze angebracht werden konnten. Das interessanteste war jedoch der Umstand, daß sich hinter der Mittelfigur an der Rückwand eine genaue Signatur und Datierung befand, die uns beweist, daß zumindest die Fassung in Melk vorgenommen worden ist (Abb. 24). Die Inschrift lautet: Hans jx-ham, maier purger zu Molk 1518 am freitag vor St. Margaret. Der ,,Liebesknoten", welcher sich unter der Inschrift befindet, mag als reines Ornament angesehen werden, könnte aber auch besonderen Sinn haben. So unscheinbar das kleine Kunstwerk aus der Pfarrkirche in Weiten erschien, so wichtig wird es nun als Ausgangspunkt für die Beurteilung anderer Plastiken und als Nachweis für eine genaue Datierung. Eine Werkstätte ,,zu Mölk" war bisher niemals angenommen worden, es ist aber durchaus verständlich, daß bei dem großen, bedeutenden Stift eine nicht zu umfangreiche Werkstätte dauernde Beschäftigung finden konnte. Wie so häufig sind die Dokumente im Kunstzentrum selbst, in unserem Falle in Melk, nicht mehr zu finden. Es ist aber kaum anzunehmen, daß in Melk nur die Fassung angefertigt wurde. Die bei allem Manierismus stark traditionell eingestellte Haltung solcher lokaler Schulen darf uns nicht vergessen machen, daß um dieselbe Zeit ein gewaltiges Kunstgeschehen über das Land hinwegzog, daß im fraglichen Jahre 1518 schon der ungefaßte Schnitzaltar in Mauer stand (eine Kirche, die freilich nicht dem Stift Melk, sondern dem Stift Göttweig inkorporiert ist), daß wenige Jahre später Stift Zwettl den im gleichen Sinne ausschweifenden Altar errichten läßt (der später nach Adamsthal kam) und daß selbst in Melk an der Pfarrkirche um 1520 ein Ölberg von stärkster Expression in Stein entsteht, der in seiner Ausdruckskraft sich wohl mit dem Meister von Mauer und Meister von Zwettl vergleichen läßt, ohne einem der beiden angehören zu müssen. Der kleine Schrein aus Weiten, gefaßt und wohl auch geschnitzt in Melk^®, ist unberührt von diesen Strömungen, kennt gewissermaßen nur vom Hörensagen das, was in Wien Anton Pilgram und Michel Dichter, der ,,Grabmeister", leisteten, ist in seiner traditionellen Art stark abhängig von der offiziellen Kunst des Bistums Passau und letzten Endes lokal und handwerklich bedingt. Wie sehr dies für eine ganze Anzahl anderer plastischer Arbeiten aus dem Waldviertel zutrifft, soll noch in dem Bericht festgehalten werden, der über die Restaurierung des Schreines von Maria Laach im Waldviertel zu handeln haben wird. Es wäre völlig falsch, einen linearen Ablauf dort feststellen zu wollen, wo überaus verflochtene Bedingungen vorliegen. Die Kenntnis der Tatsachen ist jedenfalls die Voraussetzung für jede Beurteilung und muß jeder kunstgeschichtlichen Deutung vorausgehen. ' Siehe auch Wilm Hubert, Die gotische Holzfigur, Stuttgart 1940, S. 116. Siehe oben unter Anm. 1 die Erwägungen, daß unter Maler auch der Schnitzer verstanden werden kann. Abbildungsnachweis: Sämtliche Aufnahmen Bundesdenkmalamt Wien.

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