Ernst Güldan AUSSTRAHLUNGEN DER COMASKEN-KUNST IN EUROPA „L'opera del genio italiano all'estero" — unter diesem Reihentitel hat die italienische Kunstgeschichts schreibung vor zwei Jahrzehnten einen europäischen Querschnitt durch das Wirken südländischer Architekten, Bauhandwerker und Bildhauer auf fremdem Boden vom Mittelalter bis zum Klassizismus des 19. Jahrhunderts vorgelegt. Dieser auf einen weitschweifenden Überblick abzielende Versuch hat mehr Fragen aufgeworfen, als im ersten Anlauf beantwortet werden konnten. Um so dankbarer ist die Initiative der italienischen Fachkollegen zu begrüßen, in einer vom Präsidium der Societä Archeologica Comense (Prof. Calderini) veranstalteten Zusammenkunft in der Villa Monastero di Varenna am Corner See (2.—9. Juni 1957) einen Ausschnitt aus diesem Problemkreis erneut zur Diskussion zu stellen. Mit sicherem Griff hat Prof. Arslan, dem die wissenschaftliche Leitung des Kongresses oblag, aus der Fülle der sich anbietenden Themen eines hervorgehoben, dem schon seit je grundsä,tzliche Bedeutung zugebilligt worden ist, ohne daß bis heute eine erschöpfende Darstellung der geschichtlichen Zusammen hänge greifbar wäre: die Frage nach Wesen und Wirkung der Comasken-Kunst zu Beginn der Neuzeit (1400—1520). In 20 Kurzreferaten haben Fachvertreter aus allen Teilen Italiens (Arslan, Pavia; Bertolini, Pisa: Bottari, Bologna; Brenzoni, Verona; Cecchini, Siena; Gavazza, Genua; Mariacher, Venedig; Meli, Palermo; Morisani, Neapel; Rasmo, Bozen; Someda de Marco, Udine; Zorzi, Triest; Zucchini, Bologna) sowie Gäste aus der Schweiz (Gilardoni, Bellinzona), aus Spanien (M. E. GomezMoreno, Madrid), Frankreich (Roques, Paris), Deutschland (d. Berichterst.), Österreich (Wagner-Rieger, Wien), Polen (Kozakiewicz, Warschau) und Rußland (Lasareff, Moskau) ihre Forschungsergebnisse über Werke und Wanderwege der artisti dei laghi bekanntgemacht. Erstaunlich und zugleich ermunternd, wie reichhaltig immer noch die Urkundenquellen fließen, nachdem Merzario, Cervetto und Valeri bereits um die Jahrhundertwende alle damals erreichbaren Nachrichten über die Familien Gaggini, Solari und andere maestri comacini auszuwerten begonnen hatten. Die Summe der Kongreß beiträge erbrachte nun manche überraschend neue Perspektive, vor allem aber erstmals ein klares Gesamtbild, dessen Hauptkonturen hier skizziert werden sollen. Schon im frühen Mittelalter einsetzend, hat sich die Tätigkeit dieser aus den Tälern des Ceresio und Dario im Nordwesten der Lombardei entstammenden Künstlerfamilien bald über das ganze Mutterland verzweigt. Als begehrte Architekten, Dekorationsbildhauer, Steinmetzen und Maurer wanderten sie einzeln und in Werkstattgemeinschaften über die Grenzen ihrer Heimatdiözese Como hinaus, so daß beispielsweise in Verona schon 1409 ein Viertel aller hier tätigen Bauhandwerker nachweislich im mailändischen Gebiet beheimatet waren. Ähnlich lagen die Verhältnisse in Vicenza, wie aus den seit 1407 erhaltenen Bruderschaftsbüchern der ,,fraglia dei muratori, scultori e lapicidi" ersichtlich ist; in diesen Mitgliederverzeichnissen taucht ab 1470 auch der aus Carona stammende Pietro Lombardo auf. Der junge Palladio, der 1524 unter dem Namen ,,Andrea di Piero da Padova" bei der Steinmetzen- und Maurerzunft von Vicenza eingetragen wurde, ist hier um 1530 in der Dombauwerkstatt des Luganesen Giacomo di Giacomo aus Porlezza als ,,Andrea di Pietro mugnaio" (Müllerssohn!) nachzuweisen. Vielfach haben die maestri comacini neben ihrer bauhandwerklichen Tätigkeit auch die Materialbeschaffung in eigener Regie übernommen und sind damit zu bedeutenden Großunternehmern aufgestiegen. Nach den Akten der Mailänder Domopera 1387—-1399 hatte Zenone da Campione als ,,ingegnere" 250 Stein metzen unter sich; Domenico Gaggini, der im Zunftbrief der Bildhauer und Schmiede von Palermo 1487 an der Spitze einer beträchtlichen Reihe lombardischer Namen steht (Abb. 15), begründete dort eine industriell organisierte Fertigungsstätte, die auf Vorrat arbeitete und ihre ,,Ware" dann exportierte; Giovanni Antonio Pilacorte aus Carona, der in Friaul um 1500 fast 70 Bauten leitete, versandte nebenbei aus Genua ornamentierte Werksteine nach Spanien (Schloß La Calahorra), und Pietro Aprile, ebenfalls aus Carona, lieferte etwa gleichzeitig Marmor an Michelangelo sowie Bau materialien nach Como (Dom) und Pavia (Certosa). Beispiele solcher Art ließen sich beliebig vermehren. Man gewinnt den Eindruck einer raffinierten Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Werkstätten, die wie Zweigniederlassungen einer großen Arbeitsgemeinschaft sich gegenseitig die Aufträge zuspielten. 2 Denkmalpflege q
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