OSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE IM XXL JAHRGANG • 1958 • HEFT 1/2 • HERAUSGEGEBEN VOM ÖSTERREICHISCHEN BUNDESDENKMALAMT VERLAG VON ANTON SCHROLL G< CO • WIEN-MÜNCHEN
ÖSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE (Jahrgang 1/1947—V/1951 ist als „Österreichische Zeitschrift für Denkmalpflege" erschienen) In Nachfolge der einstigen „Mitteilungen der Zentralkommission für Denkmalpflege in Wien" Herausgeber: Österreichisches Bundesdenkmalamt • Redakteure: Otto Demus und Walter Frodl XII. JAHRGANG 1958/HEFT 1/2 INHALT IVA PeröiC: Denkmalpflege in PoreC-Parenzo (Istrien) / Ernst Gurdan: Ausstrahlungen der Coinasken-Kunst in Europa / Josef Zykan :Instandsetzung mittelalterlicher Plastiken in der Werkstätte des Bundesdenkmalamtes / Oskar Raschauer: Die Orangerie zu Schönbrunn / Viktor Geramb f / Emil Ladewig f / Buchbesprechungen / Aktuelle Denkmalpflege Die Zeitschrift erscheint jährlich in 4 Heften Es wird gebeten, Einsendungen an die Redaktion der Zeitschrift im Bundesdenkmalamt, Wien I, Hofburg, Schweizerhof, Säulenstiege, zu richten Bezugspreis: Jährlich 4 Hefte S 80.—. Anzeigenannahme durch den Verlag • Printed in Austria VERLAG VON ANTON SCHROLL & CO. IN WIEN
Ii m 1. Porec, Flugaufnahme IVA Percic DENKMALPFLEGE IN POREC - PARENZO (ISTRIEN) Das kleine Porec liegt auf einer niedrigen Halbinsel an der Westküste Istriens. In den ersten Jahr zehnten unserer Zeitrechnung als römisches Munizipium entstanden, das den Namen Colonia Julia Parentinum trug, hat es seither fast zwei Jahrtausende hindurch nicht nur die Kontinuität seines städtischen Lebens, sondern auch seine ursprüngliche urbanistische Gestalt bewahrt. Im Verlaufe dieses weitgespannten Zeitraums hat jede Geschichtsepoche der Stadt ihren Stempel aufgedrückt, indem sie sie stets mit Baudenkmälern bereicherte, deren viele erhalten geblieben sind (Abb. I und 2). Die Grundform von Porec wird durch drei Faktoren bestimmt: durch seine Anlage auf einer kleinen, flachen Halbinsel, durch die der Randlinie der Halbinsel folgenden Stadtbefestigungen, die sich an deren schmälster Stelle vereinigen, und durch seine anfänglich römische städtebauliche Struktur. Diese Gestalt blieb bis in die neuere Zeit hinein im wesentlichen unverändert, sie hat sich nur jeweils den Lebensumständen angepaßt. Porec besaß den Charakter einer Hafenstadt; seine wirtschaftliche Grundlage aber bildete das agrarische Hinterland, und so waren es gerade diese beiden Voraussetzungen, die zu Blütezeiten führten oder schwere Krisen überbrücken halfen. Die kleine Halbinsel von 200 m Breite und 400 m Länge behielt ihre ursprüngliche Gestalt bis zum 19. Jahrhundert bei, bis ihre Nord- und Südufer durch Aufschüttungen erweitert wurden. Die mit Wehrtürmen besetzten Stadtmauern schützten sie nach der Seeseite hin und riegelten sie gegen das 1 Denkmalpflege
ß 2. Porec, Situationsskizze StricliliGi-tc Linien: im Krieg zerstörte Baublöcke Stark ausgezogene Linien: mittelalterliches Mauerwerk Schraffierte Flächen: schwer beschädigte Bauten Voll angelegte Flächen: Denkmalsbauten 1 Komplex der Basilikabauten 2 Ehemalige Franziskanerkirche 3 Beste des römischen Tempels Festland ab. Die ersten Befestigungen waren schon zu römischer Zeit entstanden; das Mittelalter verstärkte und erweiterte das römische Fortifikationssystem. Doch nimmt die mittelalterliche Stadt eine geringere Baufläche ein als die antike, da die nicht verbauten Bodenflächen zur Anlage von Gärten benutzt wurden. An den Befestigungswerken wurden im Mittelalter größere Bauvorhaben im 13., 14. und 15. Jahrhundert durchgeführt, mit dem 18. Jahrhundert beginnt ihr beschleunigter Verfall. Die Ergebnisse der archäologischen Forschung und die verhältnismäßige Unversehrtheit des Stadt grundrisses ermöglichen eine Rekonstruktion der ursprünglichen städtebaulichen Anlage. Noch heute wird die Halbinsel in Ost-West-Richtung vom Decumanus Maximus durchschnitten, der am Forum beginnt, um sich, das dem Festland zugekehrte Stadttor an der Ostseite durchziehend, auf dem einstigen ,,ager" der Römerstadt fortzusetzen. Nördlich und südlich vom Decumanus haben, abgesehen von geringfügigen mittelalterlichen Abänderungen, seine beiden Parallelen im Norden und Süden ihre Linienführung im allgemeinen beibehalten. Die Hauptverkehrsader in Nord-Süd-Richtung war der Cardo Maximus, der, am nördlichen Stadttor beginnend, in das dem Meere zugewandte südliche Haupttor einmündete. Die übrigen Straßen verliefen zu diesen Hauptverkehrsadern parallel, so daß hiedurch die Stadt in regelmäßige Blöcke — die ,,insulae" — aufgeteilt wurde. Diese ursprüngliche Struktur hat sich am besten in der Stadtmitte erhalten, wo sie nur durch einige mittelalterliche gekrümmte Gassen und Durchgänge gestört wird. Dies ist verständlich, wird doch die bauliche Konti nuität im Zentrum stets stärker bewahrt als an der Peripherie. In gleichem Schritt mit dem geschichtlichen Entwicklungsgang des Stadtlebens verschob sich im Laufe der Zeit das Stadtzentrum. Im Frühmittelalter siedelt der Stadtmittelpunkt, in Anbetracht der Vormachtstellung der Kirche, vom antiken Forum in die Nähe der Basilika und der bischöflichen Residenzüber, um in der Zeit der Stärkungder Kommuneauf den am südlichenStadttor entstandenen Marktplatz hinüberzuwechseln, wo im 13. Jahrhundert auch das Gemeindehaus errichtet wird.
fl nliJii 3. Porec, Probstei von 1251, Fassade 4. Porec, ,,Haus der beiden Heiligen". Mitte 13. Jh., Fassade Der Eigenart und Arbeitsbehandlung der aus römischer Zeit erhaltenen Denkmäler nach zu schließen, war Porec eine typische kleine Provinzstadt. Außer der erhaltenen urbanistischen Grundstruktur sind aus jener Zeit am bedeutsamsten die Überreste eines Tempels, der sich an der Westseite des Forums erhob, welches unter der Bezeichnung Marafor fortlebt (vgl. Abb. 2). Aus antiker Spätzeit ist von der Vielzahl heute untergegangener Baudenkmäler, von denen wir durch Literatur und archäologische Schürfung Kunde haben, ein Komplex sakraler Bauten im Nordteil der Halbinsel erhalten, dessen Objekte zwischen dem Anfang des 4. und der Mitte des 6. Jahrhunderts entstanden sind. Nach der heute noch bestehenden Kirche aus dem 6. Jahrhundert, die der Bischof Euphrasius erbauen ließ, wird die gesamte Gebäudeanlage als Komplex der Euphrasius-Basilika bezeichnet (vgl. Abb. 2). Dieser allgemein bekannte Gebäudekomplex ist in der Fachliteratur häufig behandelt worden, stellt doch die mit der großen Basilika aus dem 6. Jahrhundert abschließende Folge von Sakralbauten ein Problemgefüge von allgemeinster Geltung für die spätantik-frühchristliche Kunst dar. Die EuphrasiusBasilika selbst, in der die bekannten Wandniosaiken erhalten sind, ist ein Monument von ganz außer ordentlicher Bedeutung sowohl im Hinblick auf ihre Bauform (eines der frühesten Beispiele einer abendländischen Kultstätte mit dreifacher Apsis) als auch hinsichtlich ihres plastischen Schmuckes und der hochwertigen Mosaiken. Für die Denkmalpflege stellt die Instandhaltung dieses Komplexes wegen einer Reihe besonderer Umstände, von denen noch die Rede sein wird, ein äußerst schwieriges Problem dar. Nach einem längeren, durch geschichtliche Umstände bedingten Stillstand vom 7. bis zum II. Jahr hundert kommt es im 13. Jahrhundert wieder zu einer regeren Bautätigkeit. In dieser Zeit wurden nicht nur umfangreiche Arbeiten an den Befestigungswerken vorgenommen, sondern es sind auch zahlreiche Wohnbauten typisch romanischer Bauart entstanden. Darunter tritt besonders der einfache Monumental bau der Probstei hervor, dessen Errichtung auf das Jahr 1251 angesetzt wird. Die ganz flache Stein fassade wird in Höhe des ersten Obergeschosses durch sechs charakteristische Biphoren aufgegliedert (Abb. 3). Aus etwa derselben Zeit stammt auch das ,,Haus der beiden Heiligen" mit breiter Öffnung im Erdgeschoß und Reliefs der beiden Heiligengestalten an einem Fenster im ersten Obergeschoß (Abb. 4). Außer diesen beiden charakteristischen Bauwerken rührt aus dem 13. Jahrhundert noch das später etwas umgebaute Eckhaus am Decumanus her sowie eine größere Anzahl von kleineren Objekten, die im 15. und in den folgenden Jahrhunderten umgebaut wurden. Von Denkmälern der sakralen Architektur hat sich die Kirche des hl. Franziskus erhalten. Sie ent spricht dem Tjrpus der einschiffigen Predigerkirche, wie er während des 14. Jahrhunderts von den Franziskanern in vielen Städten längs der Adriaküste verwendet worden ist. An der Stelle eines unter gegangenen spätantiken Sakralbaus wurde, wahrscheinlich im 13. Jahrhundert, ein kleineres Kirchen gebäude errichtet, das im 14. Jahrhundert in die in der Hauptsache heute noch bestehende Kirche umgebaut wurde. Der Turm stammt aus dem 18. Jahrhundert und etwa zur selben Zeit erhielt auch das Innere seine reich ornamentierte Stuckdecke. Nachdem die Franziskaner zu Beginn des 19. Jahrhunderts Porec und die Kirche aufgegeben hatten, wurde letztere in der zweiten Jahrhunderthälfte profanen
'I liili. FFFl 1 _ "i Tjrii: ' ■ I' I,- ri"--' ? i 'LÄiäiÄi gotiihen Häusem . _ j-it n."^ nrt;Sik*^^J 1S 7. Poi'ec, romanisches Eckhaus am Decumanus 6. Porec, Sitzungssaal des istrischen Landtages, ehem. Franziskanerkirohe, Zustand vor 1940 Zwecken zugeführt und der Innenraum durch eine Querdecke unterteilt; das untere Geschoß diente als Weinkeller, das obere wurde 1861 zum Sitzungssaal des istrischen Landtags ausgestaltet (Abb. 6). Bei dieser Gelegenheit kam es auch zu Änderungen am Äußeren des Baus. Vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges richtete man im Landtagssaal ein kleines Stadtmuseum ein; Zerstörungen durch Brand und durch Bombentreffer in der nächsten Umgebung haben bewirkt, daß sich das Problem einer Neugestaltung abermals stellt. Eine zweite Blüte erlebt die Bautätigkeit in Poreö im 15. Jahrhundert. Zu der Zeit wandelt sich in einem gewissen Ausmaß die wirtschaftliche Struktur der Einwohnerschaft, indem die führende Bürger schicht nicht mehr aus Gewerbetreibenden und kleinen Grundbesitzern besteht, sondern die Kaufleute die Oberhand gewinnen. Dieser Wandel äußert sich auch in der Architektur der Wohnhäuser. Sie sind nun keine kleinen Bauwerke mehr, mit einer Werkstatt im Erdgeschoß und den Wohnräumen im Obergeschoß, sondern stets größer werdende stattliche Gebäude mit Geschäftsläden und Vorrats kammern zu ebener Erde und einer oder mehreren Wohnungen in den darüberliegenden Stockwerken. Auch die vorhandenen älteren Gebäude werden den neuen Zwecken angepaßt, indem sie durch Auf oder Anbau erweitert oder mehrere Häuser unter gelegentlicher Einbeziehung einzelner Neubauten zu einem größeren Gebäude zusammengeschlossen werden. Auch die Hausfassaden sind jetzt anders gestaltet; sie werden aufgegliedert durch Öffnungen in Form spätgotischer Monophoren, Biphoren, Triphoren und Balkone. Die Rahmen dieser Öffnungen tragen nun den plastischen Schmuck der typisch spätgotischen Verzierungen. Der um diese Zeit vorgenommene Umbau vieler älterer Gebäude hat die Mehrzahl der Häuser am Decumanus und am Cardo erfaßt. Kennzeichnend dafür ist eine Häuserreihe von vier Gebäuden am Decumanus, die im vergangenen Kriege durch Bomben schweren Schaden erlitten hat (Abb. 5). Von den Neubauten aus jener Zeit am Decumanus ist das vom Jahre 1473 datierte Gebäude hervorzuheben, das im ersten und im zweiten Stock Triphoren aufweist. Noch die Spätrenaissance hat manch wertvolles Bauwerk geliefert, wie es z. B. das Haus mit der bemalten Fassade an der Südwestecke der vom Cardo und dem Decumanus gebildeten Straßenkreuzung
gewesen ist, ehe es durch Bomben zerstört wurde. Dann aber hört mit dem 16. Jahrhundert die Bau tätigkeit in Poreö fast gänzlich auf. Die Gründe hiefür liegen in dem allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang, der ganz Istrien erfaßte, sowie im katastrophalen Zusammenschrumpfen der Einwohnerzahl infolge der Verheerungen, die zahlreiche Pest- und Malariaepidemien anrichteten. Gewiß zeitigten auch das 17. und das 18. Jahrhundert noch einige Neubauten; sie sind jedoch mit ihrem geringen Kunstwert nicht mehr als das bescheidene Produkt einer Provinzialisierung der damals herrschenden Barock formen. Darunter mag das ,,Haus Sincic" am Decumanus erwähnt werden, worin heute das Stadt museum untergebracht ist. Erwähnt sei auch, daß einige bauliche Neugestaltungen in jener Zeit das Antlitz der Stadt gewandelt haben. Die bis dahin durch die Stadtmauern bewirkte völlige Geschlossen heit der Südflanke der Stadt wird nun aufgelockert. Haben sich die Häuser schon vordem an die Innen seite der Stadtmauer angelehnt, so erhält diese, nachdem ihre Punktion als Stadtbefestigung aufgehört hat, nunmehr Aufbauten, die an der Außenseite unmittelbar über der Mauer durch Arkadenreihen durchbrochen werden. So gewann etwa die Südseite der Stadt den Reiz besonderer Lebendigkeit. Die so in Jahrtausenden gewachsene Einheit und Geschlossenheit des gesamten Stadtbildes wurde durch die Bautätigkeit des 19. und 20. Jahrhunderts empfindlich gestört. Es entstanden Objekte, deren Anlage die bestehende urbanistische Struktur nicht berücksichtigt und deren Abmessungen mit den vorhandenen Maßstäben nicht übereinstimmen. Die mehrstöckigen Wohngehäude, die nun in größerer Zahl innerhalb der alten Häuserblöcke errichtet werden, haben die Wohnverhältnisse in der Stadt nur verschlechtert. Außerdem wurde durch die Bautätigkeit außerhalb der südlichen Stadtmauer die Kontur des Stadtsaumes verunstaltet. Wie anderwärts, so hat die neuere Zeit auch in Porec die bestehenden historischen Wertobjekte ihren eigenen Lebenserfordernissen nicht angepaßt, sondern sie oft vernichtet und durch eigene, wertlose Erzeugnisse ersetzt. Gegen Kriegsende haben Bombenangriffe dem Städtchen und insbesondere seinem Zentrum schweren Schaden zugefügt. Am Südufer wurden einige unmittelbar sich auf der Stadtmauer erhebende Häuser zerstört, so daß diese einst geschlossene Stadtfront aufgerissen worden ist. Dieser Durchbruch setzt sich bis zu dem kleinen Platz Predol fort. Im Stadtzentrum haben Bomben einen ganzen Häuserblock niedergerissen, der zwischen dem Hauptplatz an der Innenseite des einstigen Südtores, der Westseite des südlichen Teils des Cardo und der Südseite des Decumanus lag. Dadurch hat sich ein sinnloser großer leerer Raum gebildet, und die ursprünglichen Linien des Decumanus und des Cardo sind gerade an der empfindlichsten Stelle, an ihrem Schnittpunkt, gestört worden. Auch die Häuser der Umgebung, in der sich eine größere Anzahl historischer Baudenkmäler befunden hatte, sind schwer beschädigt worden. An der Nordseite des Decumanus hat die völlige Zerstörung einiger Objekte eine Lücke geschaffen, und außerdem wurde die erwähnte Häuserreihe von vier gotischen Bauwerken so sehr beschädigt, daß nur noch die steinernen Passaden stehen (vgl. Abb. 5). Ferner sind ein gotisches und ein barockes Gebäude an der Ostseite des Cardo derartig mitgenommen worden, daß der Straßenverkehr unmittelbar gefährdet war. Die beiden Gebäude mußten daher abgetragen und aus eigenem Baumaterial neu aufgebaut werden. Bedroht war auch das einzige der Vernichtung des vorerwähnten Häuserblocks entgangene Haus. Es war dies das schon genannte romanische Eckhaus am Decumanus, das eine ganz neue östliche und südliche Außenmauer erhalten mußte (Abb. 7). Im nördlichen Stadtteil haben die Bomben eine größere Anzahl von Bauwerken am Cardo und in der Umgebung des einstigen Nordtores nächst der ehemaligen St. Pranziskus-Kirche völlig zerstört oder schwer beschädigt. Die Kirche selbst wurde, wie schon gesagt, von den Flammen und Bomben arg zugerichtet, während in ihrer Nähe an der Ostseite des Cardo ein ganzer mittelalterlicher Gebäudeblock der Vernichtung anheimfiel. Auch einige Einzelobjekte wurden in diesem Stadtteil zerstört, so daß in einigen Straßenzügen unhaltbare Lücken klaffen. Zählt man zu diesen durch den Krieg verursachten Zerstörungen die schweren Schäden hinzu, die das Erbe einer Vergangenheit sind, die das Städtchen für längere Zeit zum Absterben verurteilt zu haben schien, so wird man ermessen können, wie verwickelt die Probleme sind, die sich dabei der Denkmal pflege stellen. Eine der schwierigsten Aufgaben der Denkmalpflege aber ist die Instandsetzung des Komplexes der Euphrasius-Basilika (Abb. 8—10). In den Jahrhunderten seines Bestehens immer wieder instand-
gesetzt und durch Zubauten ergänzt, begannen regelmäßige Erbaltungsmaßnabmen im Sinne der modernen Denkmalpflege etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Gegenwärtig sind es zwei Umstände, die dieses wertvolle Baudenkmal von Grund auf bedrohen: Das unablässige Eindringen von Meerwasser in die einzelnen Teile des Gebäudekomplexes und die statische Labilität des Kircbengebäudes. Wegen des karstigen Baugrundes und der geringen Erbebung der ganzen Halbinsel über den Meeresspiegel, insbesondere aber wegen der nahen Uferlage der Baudenkmäler, dringt das Wasser auf unterb'discbem Wege in die tiefergelegenen Gebäudeteile und überschwemmt sie zeitweilig. Dies gilt besonders für das Gelände nördlich der Basilika, wo sich Mosaiken aus der Zeit vor dem Basilikabau beflnden. Ein Teil dieser Mosaiken wurde schon ehedem mit einer wasserundurchlässigen Unterlage verseben; die auf dem ursprünglichen Grunde verbliebenen Mosaikteile aber wurden dadurch dem Andringen des Meerwassers nur um so mehr ausgesetzt, ja von dem zwischen den Mosaiksteinen vordringenden Wasser überflutet. Überdies verbindert die über die Mosaiken gespannte schwere Betondecke eine ordentliche Lüftung und ein rasches Verdampfen des eindringenden Wassers, was wieder das Wuchern von schädlichen Algen und Flechten auf der Oberfläche der Mosaiken begünstigt. Es ist also dringend nötig, das Problem in seiner Gesamtheit in Angriff zu nehmen. Das zweite Problem entstand dadurch, daß nach Durchführung den Maßnahmen, die der Basilika ihre ursprüngliche Gestalt zurückgaben (Abnahme der schweren barocken Decke und Niederreißung einiger Anbauten), das Gebäude seine statische Festigkeit einbüßte. Infolgedessen, vielleicht aber auch wegen früherer Ursachen, entstanden an fast allen marmornen Stützsäulen starke Sprünge, insbesondere aber weist die zweite Säule der nördlichen Bogenführung einen so starken Sprung auf, daß die Sicherheit des ganzen Bauwerkes in Frage gestellt ist. Da der Denkmalpflegedienst Angaben über frühere Schutzmaßnahmen nur insoweit besitzt, als sie veröffentlicht sind, mußte zunächst eine eilige Sicherung des Objektes durchgeführt und dann an die Ausarbeitung der Unterlagen für das Gesamtvorhaben geschritten werden. Um die Mosaiken der früheren Sakralbauten vor dem Untergang zu bewahren, wurden die am stärksten gefährdeten Teile abgenommen. Im Kirchengebäude selbst wurde, in Anbetracht der horizontal wirkenden Kräfte, eine provisorische Sicherung durch Versteifung mittels eines Systems untereinander verbundener Holzstützen vor genommen, wodurch die Möglichkeit eines Zusammenbrechens ausgeschlossen wurde (Abb. 9). Von allen plastischen Architekturteilen wurden Gipsabgüsse gemacht (so auch von der erwähnten besonders gefährdeten Säule, die daraufhin bandagiert wurde), während die plastischen Verzierungen Schutzhüllen gegen etwaige Beschädigungen bei den weiteren Arbeiten erhielten (Abb. 10). Nachdem auf diese Weise die unmittelbare Gefahr für die Baudenkmäler abgewendet war, ging man zur Ausarbeitung der tech nischen Unterlagen über. Ein besonderer Fachausschuß verteilt die Aufgaben, die einzelnen Sach verständigen arbeiten an der Lösung der jeweils ihr Fachgebiet betreffenden Fragen. So wird u. a. an der Erforschung der geologischen Bodenbeschaffenheit, der Meerwasser- und Grundwasserbewegung, der Lebensbedingungen der Schmarotzerpflanzen auf den Bodenmosaiken gearbeitet; gesammelt werden mikroklimatische Daten für den Bereich der Mosaiken, durchgeführt wurden Analysen der Bausteine und des Originalmörtels, geprüft wird auch der frische Mörtel, auf dem die Mosaiken bis zu ihrer Rückversetzung an ihren ursprünglichen Ort aufliegen. Die einzelnen Bauteile werden ebensowohl auf ihre statische Tragfähigkeit geprüft, wie in der nächsten Umgebung archäologische Grabungen vorgenommen werden, um auch die letzten Einzelheiten des Gesamtkomplexes festlegen zu können. Die Endergebnisse aller dieser Untersuchungen sollen schließlich zu einem Elaborat zusammengefaßt werden, das die Grundlage zur statischen Assanation und sachgemäßen Instandsetzung dieses kunstgeschichtlich so wertvollen Gebäudekomplexes bilden wird. Außer diesen umfangreichen Vorarbeiten am Basilika-Komplex wurden Denkmalschutzmaßnahmen auch an jenen Baudenkmälern durchgeführt, deren Weiterbestand infolge ihrer schweren Beschädigung fraglich war. So wurde bei dem romanischen Eckhaus am Cardo eingegriffen, bei dessen Straßentassade eine Festigung genügte, während die übrigen Außenmauern neu airfgebaut werden mußten. Von den beiden Häusern, dem gotischen und dem barocken, an der Ostseite des südlichen Cardo, waren nur die schiefstehenden und schwer beschädigten Frontseiten übriggeblieben. Diese mußten ganz abgetragen und neu aufgebaut werden, wobei nur das unbrauchbar gewordene Baumaterial durch neues ersetzt
i W*] arar mi •'.&k 8. Porec, Iliuphrasms-Basilika, Innenansicht B 1 3* • 9. Porec, Euphrasius-Basilika, Gerüst zur Sicherung des Baues 10. Porec, Euphrasius-Basilika, Verkleidung der Kajiitelle durch Schutzhüllen
wurde. Außer diesen umfangreichen Schutzmaßnahmen wurde eine größere Anzahl von kleineren vorgenommen, die sich bei leichtbeschädigten Objekten auf Dachausbesserimgen, bei den schwer beschädigten auf eine provisorische Festigung bis zur endgültigen Instandsetzung beschränkten. Das zweifellos schwierigste Problem bietet die Verletzung der urbanistischen Grundstruktur der Stadt. Deshalb wurden umfassende Untersuchungen und Studien durchgeführt, die von der geodätischen Gesamtaufnahme der Stadt und architektonischen Aufnahmen der Einzelobjekte bis zu archäologischen Grabungen reichen, so daß das umfangreiche Belegmaterial eine zureichende Grundlage zum Studium des Problems und zu seiner Lösung bildet. Die Assanation ist durch eine Wiederbelebung des historischen Stadtkerns, durch Bereinigung und Säuberung innerhalb der ursprünglichen Häuserblöcke, der ,,insulae", und soweit möglich, durch deren Wiederherstellung vorgesehen. Dazu kommen Instandsetzung, Ausbesserung und Adaptierung der vorhandenen wertvollen Bauwerke und, wo nötig, auch der Ausbau neuer Häuserblöcke. Auf alle Fälle ist die neuerliche Schließung des südlichen Weichbildes der Stadt durch ein geeignetes Objekt erforderlich, das zwar modern sein, sich aber in seinen Größenverhältnissen und in seiner Gesamtstruktur dem Charakter des historisch gewachsenen Stadtbildes harmonisch einfügen muß. Größere Schwierigkeiten bietet das Problem, das der durch den Einsturz eines ganzen Häuserblocks entstandene große Leerraum an der Kreuzung des Cardo und des Decumanus aufwirft. Die Lösung wird wohl in einer Wiederherstellung des Laufes des Cardo und des Decumanus sowie in einer Ausgestaltung des Leerraums zu einem Stadtplatz durch Verringerung seines Umfangs bestehen. Für die Wiedergutmachung des Schadens im nördlichen Stadtteil im Bereich der St. Franziskus-Kirche besteht bereits eine Lösung. Hier soll der Bau neuer Objekte den ursprünglichen Verlauf der Straßenzüge wiederherstellen. Geplant sind Wohnbauten moderner Bauart, die jedoch durch ihre Linienführung das alte Straßenbild herstellen und in ihre Umgebung hineinpassen. Das Gelände nördlich der Kirche soll nicht ausgebaut, sondern mit Grünflächen ausgestattet werden, was auch historisch gerechtfertigt ist. Für das beschädigte neuere Objekt, dessen Abmessungen den bestehenden Maßstäben nicht ent sprechen, ist eine Verringerung des Umfangs vorgesehen. Der ehemalige Sitzungssaal des Landtags in der Franziskus-Kirche soll zu einem Festsaal für kleinere Veranstaltungen umgestaltet werden. So sieht der neue urbanistische Plan, der sich in Ausarbeitung befindet, eine Gesamterneuerung der Stadt vor. Der große hiezu erforderliche Aufwand an Zeit und Mitteln wird weniger ins Gewicht fallen, wenn die Durchführung nach Maßgabe des allmählichen Auflebens der Stadt schrittweise erfolgt, wozu alle Voraussetzungen gegeben sind. Ein Vorgehen, das zudem den echten historischen und künstlerischen Werten volle Beachtung schenkt, ohne dabei von einer modernen Formgebung bei seinen eigenen Bauvorhaben abzusehen, wird zur Heilung der schweren, der Stadt zugefügten Wunden beitragen und die Voraussetzung dafür schaffen, daß unsere Zeit weiterbauen kann an dem, woran ungezählte Jahrhunderte in ununterbrochener Folge gewirkt haben^. ^ Die grundlegende Dokumentation zum Studium des städtebaulichen Problems von Porec, die auch für diesen Aufsatz benutzt ■wurde, befindet sich in der auf Veranlassung des jugoslawischen Denkmalpflegeamtes verfaßten Studie von Dr. Milan Prelog: Porec — grad i spomenici (Porec —■ die Stadt und ihre Denkmäler), Belgrad 1957 (im Verlag der Bundesanstalt für Denkmal schutz). Außer anderem Belegmaterial enthält diese Publikation auch eine umfassende Bibliographie der sich auf die Geschichte der Stadt und auf ihre Denkmäler beziehenden Literatur. Ahhildungsnachweis: Bildarchiv der österr. Nationalbibliothek: Abb. 8; alle übrigen Aufnahmen Denkmalamt Rijeka, Jugoslawien.
Ernst Güldan AUSSTRAHLUNGEN DER COMASKEN-KUNST IN EUROPA „L'opera del genio italiano all'estero" — unter diesem Reihentitel hat die italienische Kunstgeschichts schreibung vor zwei Jahrzehnten einen europäischen Querschnitt durch das Wirken südländischer Architekten, Bauhandwerker und Bildhauer auf fremdem Boden vom Mittelalter bis zum Klassizismus des 19. Jahrhunderts vorgelegt. Dieser auf einen weitschweifenden Überblick abzielende Versuch hat mehr Fragen aufgeworfen, als im ersten Anlauf beantwortet werden konnten. Um so dankbarer ist die Initiative der italienischen Fachkollegen zu begrüßen, in einer vom Präsidium der Societä Archeologica Comense (Prof. Calderini) veranstalteten Zusammenkunft in der Villa Monastero di Varenna am Corner See (2.—9. Juni 1957) einen Ausschnitt aus diesem Problemkreis erneut zur Diskussion zu stellen. Mit sicherem Griff hat Prof. Arslan, dem die wissenschaftliche Leitung des Kongresses oblag, aus der Fülle der sich anbietenden Themen eines hervorgehoben, dem schon seit je grundsä,tzliche Bedeutung zugebilligt worden ist, ohne daß bis heute eine erschöpfende Darstellung der geschichtlichen Zusammen hänge greifbar wäre: die Frage nach Wesen und Wirkung der Comasken-Kunst zu Beginn der Neuzeit (1400—1520). In 20 Kurzreferaten haben Fachvertreter aus allen Teilen Italiens (Arslan, Pavia; Bertolini, Pisa: Bottari, Bologna; Brenzoni, Verona; Cecchini, Siena; Gavazza, Genua; Mariacher, Venedig; Meli, Palermo; Morisani, Neapel; Rasmo, Bozen; Someda de Marco, Udine; Zorzi, Triest; Zucchini, Bologna) sowie Gäste aus der Schweiz (Gilardoni, Bellinzona), aus Spanien (M. E. GomezMoreno, Madrid), Frankreich (Roques, Paris), Deutschland (d. Berichterst.), Österreich (Wagner-Rieger, Wien), Polen (Kozakiewicz, Warschau) und Rußland (Lasareff, Moskau) ihre Forschungsergebnisse über Werke und Wanderwege der artisti dei laghi bekanntgemacht. Erstaunlich und zugleich ermunternd, wie reichhaltig immer noch die Urkundenquellen fließen, nachdem Merzario, Cervetto und Valeri bereits um die Jahrhundertwende alle damals erreichbaren Nachrichten über die Familien Gaggini, Solari und andere maestri comacini auszuwerten begonnen hatten. Die Summe der Kongreß beiträge erbrachte nun manche überraschend neue Perspektive, vor allem aber erstmals ein klares Gesamtbild, dessen Hauptkonturen hier skizziert werden sollen. Schon im frühen Mittelalter einsetzend, hat sich die Tätigkeit dieser aus den Tälern des Ceresio und Dario im Nordwesten der Lombardei entstammenden Künstlerfamilien bald über das ganze Mutterland verzweigt. Als begehrte Architekten, Dekorationsbildhauer, Steinmetzen und Maurer wanderten sie einzeln und in Werkstattgemeinschaften über die Grenzen ihrer Heimatdiözese Como hinaus, so daß beispielsweise in Verona schon 1409 ein Viertel aller hier tätigen Bauhandwerker nachweislich im mailändischen Gebiet beheimatet waren. Ähnlich lagen die Verhältnisse in Vicenza, wie aus den seit 1407 erhaltenen Bruderschaftsbüchern der ,,fraglia dei muratori, scultori e lapicidi" ersichtlich ist; in diesen Mitgliederverzeichnissen taucht ab 1470 auch der aus Carona stammende Pietro Lombardo auf. Der junge Palladio, der 1524 unter dem Namen ,,Andrea di Piero da Padova" bei der Steinmetzen- und Maurerzunft von Vicenza eingetragen wurde, ist hier um 1530 in der Dombauwerkstatt des Luganesen Giacomo di Giacomo aus Porlezza als ,,Andrea di Pietro mugnaio" (Müllerssohn!) nachzuweisen. Vielfach haben die maestri comacini neben ihrer bauhandwerklichen Tätigkeit auch die Materialbeschaffung in eigener Regie übernommen und sind damit zu bedeutenden Großunternehmern aufgestiegen. Nach den Akten der Mailänder Domopera 1387—-1399 hatte Zenone da Campione als ,,ingegnere" 250 Stein metzen unter sich; Domenico Gaggini, der im Zunftbrief der Bildhauer und Schmiede von Palermo 1487 an der Spitze einer beträchtlichen Reihe lombardischer Namen steht (Abb. 15), begründete dort eine industriell organisierte Fertigungsstätte, die auf Vorrat arbeitete und ihre ,,Ware" dann exportierte; Giovanni Antonio Pilacorte aus Carona, der in Friaul um 1500 fast 70 Bauten leitete, versandte nebenbei aus Genua ornamentierte Werksteine nach Spanien (Schloß La Calahorra), und Pietro Aprile, ebenfalls aus Carona, lieferte etwa gleichzeitig Marmor an Michelangelo sowie Bau materialien nach Como (Dom) und Pavia (Certosa). Beispiele solcher Art ließen sich beliebig vermehren. Man gewinnt den Eindruck einer raffinierten Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Werkstätten, die wie Zweigniederlassungen einer großen Arbeitsgemeinschaft sich gegenseitig die Aufträge zuspielten. 2 Denkmalpflege q
_322»- trf 11. Sanzeno (Südtirol), Pfarrkircbe, 1472 beg., Westfassade und Portal 1486—1493 f ' A 12. Sanzeno (Südtirol), Pfarrkircbe, Westportal, Detail "'j Knotenpunkte dieses Netzes bildeten die oft eng benachbarten Herkunftsorte im lombardischen Seen gebiet ; allein in Carona, einem damals kleinen Dorf bei Melide gegenüber von Bissone am Lago di Lugano, waren neben den soeben genannten Familien Aprile und Pilacorte auch die Lombardi, Molinari, Solari und della Scala beheimatet. Ab etwa 1460 sind ganze Gruppen lombardischer Bildhauer in Rom anzutreffen, schon seit den ersten Dezennien des Quattrocento arbeiteten zahlreiche Comasken neben toskanischen Steinmetzen in Venedig. Die entscheidende Verschmelzung oberitalienischer und toskanischer Formelemente, die 1470—1490 zur Ausprägung der als typisch venezianisch geltenden Frührenaissance-Architektur in der Lagunenstadt führte, geschah unter maßgeblicher Beteiligung des gebürtigen Luganesen Pietro Lombardo. Alle diese Beobachtungen drängen die Frage nach dem Vorhandensein eines ,,ComaskenStiles" in den Vordergrund. Ausgehend von der toskanischen Plastik des Duecento hat Schmarsow bereits 1890 dasselbe Problem angerührt (St. Martm von Lucca, Ital. Forschgn. z. Kunstg. I) und seine Hypothese einer ,,Schule" von Como gegen die Einwände v. Tschudis und Swarzenskis vergeblich durchzufechten versucht (Rep. f. Kunstw. XIV, SlOff.; XV, 170ff.; XXVIII, 168). Die Kongreßbeiträge von Varenna haben nun eindeutig erwiesen, daß sich auch in der beginnenden Neuzeit die Situation nicht grundlegend verändert hat. Die weitgereisten maestri comacini waren keineswegs Träger einer eigenen, stilistisch faßbaren Schultradition, selbst wenn man den engeren Begriff der Lokalschule auf ein allgemein lombardisches Gepräge ausweiten wollte. Im Gegenteil: Handwerkliche Fertigkeit bis zur technischen Virtuosität und formale Anpassungsfähigkeit bis zur völligen Verleugnung des eigenen ambiente kennzeichnen die Werke dieser artisti dei laghi, deren stets kompromißbereite und einfühlsame Hingabe an den genius loci oder Auftraggeber sie zu ebenso geschmeidigen wie gefürchteten Konkurrenten im Baugewerbe hat werden lassen. Daß ,,comaskisch" nur die Provenienz des Ausführenden, nicht das künstlerische Profil seines Schaffens bezeichnen kann, wird symptomatisch deutlich in den Werken des Antonio Medaglia ,,lapicida de Pelo superiori Vallis Intelvi Cumensis", der 1524 für den renaissance freudigen Kardinal Bernardo Clesio in Trient S. Maria Maggiore nach dem Mantuaner Alberti-Vorbild S. Andrea erbaute und ein Jahrzehnt später in der unweit Trient errichteten Kirche von Civezzano ,,gotische" Rippen unter die Wölbschale stukkierte. Mag solche Disponibilität auch durch die Wünsche der Bauherren erzwungen worden sein, so setzt sie doch eine Wandlungsfähigkeit voraus, die geradezu als Charakteristikum der maestri comacini angesprochen werden darf. Es befremdet daher nicht, daß
N X'.'- 13, Moskau, Hauptportal der Uspenskij -Kathedrale (Maria Himmelfahrt) im Kreml, erbaut 1475—1479 von Aristotele Fieravanti 14. Moskau, Kreml, Spasskaja Baschnia (,,Erlöser-Tor" oder ,,Heilige Pforte"), erbaut 1491 von Pietro Antonio Solari; Glockenturm-Aufbau 1626 saS Ii ■ I es nach Ausweis der Akten wiederum Comasken waren, die um 1490 für die spätgotische Pfarrkirche von Sanzeno in Ital.-Südtirol (erb. seit 1472) auf Verlangen der Gemeinde ein pseudoromanisches Westportal im Typus des rundbogigen Stufenportals mit drei eingestellten Säulen errichteten (Abb. 11 und 12) — ein bemerkenswertes Beispiel auch für die bisher vorwiegend in bildlichen Architekturdarstelhmgen verfolgte Wiederaufnahme romanischer Bauformen um 1500 (vgl. darüber zuletzt P. Halm, Münchner Jb. d. bild. Kunst 1951, S. 127ff., bes. S. 153f. Abb. 5 und 8). Hat die Erfassung des einschlägigen Denkmälerbestandes in Italien Klarheit über das Wesen der comaskischen Kunsttätigkeit gebracht, so blieb es den ausländischen Referenten vorbehalten, durch das Aufdecken der Wanderwege dieser Meister den Wirkungsradius der zu Beginn der Neuzeit weit über die Grenzen des Heimatlandes hinausdrängenden Strahlkraft auszumessen. Unversehens war damit zugleich die übergeordnete Frage nach den Aufnahmebedingungen südlicher Bau- und Deko rationsformen gestellt. Denn es zeigte sich, daß einerseits nicht überall in Europa Comasken es waren, die als erste Herolde der neuen Form erschienen sind, und daß andererseits der terminus a quo für die einzelnen Territorien recht unterschiedlich anzusetzen ist. Vorweggenommen: Der deutsche Sprachraum, obgleich dem Mutterland der italienischen Wander künstler unmittelbar benachbart, hat ihnen zuletzt die Tore geöffnet. Zwar ist der Einfluß südlicher Bau- und Schmuckformen bereits um 1500 festzustellen und im Bereich der höfischen Porträtkunst werden zur gleichen Zeit schon die ersten Italiener über die Alpen gerufen (Adriano Fiorentino, Jacopo de' Barbari), aber ein breiterer Einstrom der anderwärts längst beschäftigten Baukompanien aus dem Süden ist in Deutschland nicht vor dem vierten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts nachzuweisen (Dresden, Landshut). Desgleichen in Österreich, das nach den Türkenwirren erst mit der Erhebung Wiens zur Residenz (1533) wieder Boden gewinnt für neue repräsentative Bauvorhaben; kaum früher tauchen Comasken in Böhmen und Schlesien auf (Belvedere in Prag, Schloß Brieg). Schlagartig verändert sich jedoch diese geschichtliche Situation, sobald man den Blick ost- oder westwärts wendet. Die erste aus dem Quattrocento überhaupt bisher bekanntgewordene Berufung eines italienischen Architekten ins Ausland erfolgte 1409 nach Ungarn: Manetto Ammannatini, gen. Manetto da Firenze. Die von ihm erbauten Kirchen und Paläste, die der Florentiner Diplomat Rinaldo degli Albizzi 1426 bewunderte, sind nicht erhalten; man weiß aber, daß unter König Sigismund weitgehende künstlerische Beziehungen zur Toskana gepflegt wurden. Matthias Corvinus, der mit den Sforza in lebhafter Verbindung stand,
15. Palermo. Cappella Palatina, Detail aus dem Mosaik ..Petrus erweckt Tabitha", überarbeitet von Domenico Gaggini, 1460^ hat um 1480 dann auch lombardisch geschulte Krätte nach Ungarn berufen, wie die im Osttrakt des Schlosses zu Buda ausgegrabenen Reliefplatten erweisen (vgl. Acta Historiae Artium Acad. Scient. Hungaricae I, 1954). Der besterhaltene Renaissancebau Ungarns, die Baköcz-Kapelle an der Kathedrale von Esztergom (1506—1507) zeigt schon die reifen Formen des frühen Cinquecento, wobei sich wieder Toskanisches mit Lombardischem verbindet (vgl. Acta Hist. Art. Ac. Sc. Hung. III, 1956). In Polen durchläuft die Entwicklung ganz ähnliche Stadien, setzt jedoch erst um 1500 ein. Wieder ist ein Florentiner, der sich ,,Franciscus Italus murator" nannte, Wegbereiter des italienischen Kunstimportes (Wawelschloß in Krakau, ab 1502), während in der dekorativen Ausstattung der Jagellonen-Kapelle beim Krakauer Dom (erb. 1519—1530 unter Leitung des Bartholomeo Berecci aus Florenz) bereits die charakteristischen Stilmerkmale des Lombardi-Kreises überwiegen (vgl. Belvedere V, 1924, S. 166ff.). Zum fortifikatorischen und künstlerischen Ausbau des Kreml berief Großfürst Ivan III. in rascher Folse oberitalienische — meist mailändische — Architekten nach Rußland: 1474 Aristotele Fieravanti o (Abb. 13), 1481 Marco Ruffo, 1490 Pietro Antonio Solari (Abb. 14) und 1494 Aloisio da Milano, gen. Frjasin (= Italiener, Abendländer). Der ,,frjaskische Stil" der von diesen Meistern und ihren Werkleuten in Moskau errichteten Kathedralkirchen, Paläste und Torbauten bezeichnet eine aus altrussischbyzantinischen und lombardisch-renaissancistischen Elementen zusammengesetzte Formensprache. Gleichzeitig haben auch im westlichen Europa Comasken Fuß fassen können. Der Aufenthalt des vorher in Neapel tätigen Francesco Laurana am Hofe Renes I. von Anjou (gesichert 1461, 1466) ebnete ihnen die Wege nach Frankreich, wo sie im letzten Quattrocento-Drittel in vielen Städten zwischen Rhone und Alpen nachzuweisen sind, ohne jedoch eine allgemeine Vorherrschaft zu erlangen. Im beginnenden 16. Jahrhundert wanderten sie in Spanien ein (1510—1512 Dekorationen im Schloß La Calahorra unter Leitung von Michaele Carlone); Sevilla und Granada waren die Brennpunkte dieses lombardischen Kunstimportes, dessen Hauptanteil die Luganesen Pace und Bernardino Gaggini, Giovanni Antonio, Pietro und Antonio Maria di Aprile sowie Pier Angelo della Scala bestritten haben. Zahlreiche Kontrakte über die Lieferung von Prunkepitaphien für den Sevillaner Adel sind in Genua unterzeichnet worden, wobei die großen Bankhäuser der Cattaneo und Grimaldi als Vermittler fungierten. Der in Varenna gewonnene Überblick führt zwangsläufig zur Frage nach den Ursachen des so auffallend späten Eindringens italienischer Wanderkünstler nach Österreich und Deutschland. Ein erklärendes Argument liegt nahe: Hier, im örtlichen Zentrum der Spätgotik, war der Pulsschlag einer boden ständigen Entwicklungnoch ungebrochenund kräftiger als im östlichen RandgebietEuropas an oder 1 Prof. Meli erkannte in der Kuppelarchitektur des Hintergrundes motivische Anlehnungen an Brunelleschis Florentiner Dom kuppel (1420—1436; Zustand vor Aufbau der Laterne 1444—1467, Inkrustierung des Tambour-Oktogons 1451—1460 und Errichtung des Umganges über dem Kranzgesims 1508—1515). Die noch umstrittene Identität dieses Gaggini mit dem Brunelleschi-Schüler ,,Domenioo del Lagho di Logano" gewinnt damit ein neues Argument.
M'»n \l\ i|lj , lU I ' m -V-AiIiii-l gar jenseits der Kirchengrenze. Formtraditionen des abendländischen Mittelalters konnten in Ungarn und Rußland schneller überlagert und abgelöst werden. Es ist sehr bezeichnend, daß sich die deutsche Baukunst gegenüber den zunächst nur durch graphische Vorlagen vermittelten ,,fremden" Schmuck motiven erst dann aufnahmewillig zeigte, als Italien die kurz vor der Wende zum Cinquecento wieder entdeckte Groteske anzubieten hatte: ein aus dem anti-klassischen Geist der Antike geborenes Ornament, das der absterbenden Drolerie des Nordens wesensverwandt erscheinen mußte. Und ebenso bezeichnend bleibt die Feststellung, daß die von der deutschen Architektur aufgenommenen Impulse aus dem Süden überall dort entsprungen sind, wo die Errungenschaften der toskanischen Renaissance bereits eine dem Norden entgegenkommende Umbildung erfahren hatten. In der Lombardei waren das vor allem die Bauten und Dekorationen des Amadeo-Kreises, in Venedig die Werke der Lombardi. Man wird aber auch außerkünstlerische Faktoren mit in Betracht ziehen müssen. Schon Binder hat davor gewarnt, den Humanismus als unmittelbaren Antrieb für die Aufnahme südlicher Formen in der deutschen Kunst zu überschätzen (Holbein d.d., 1951, S. 20); der Stil der Ulmer Boccaccio-, Aesop- und Terenz-Illustrationen erweist die Berechtigung solcher Zweifel zur Genüge. Die religions politische innere Aufspaltung Deutschlands und Österreichs im 16. Jahrhundert hat es dann auch nur zu einer betont einseitigen Förderung des italienischen Einflusses kommen lassen. Denn während der katholische Auftraggeber mit der bewußten Entscheidung zum ,,römischen" Stil den päpstlichen Machtanspruch repräsentativ zum Ausdruck bringen konnte (z.B. die äußere Umgestaltung des Domes in Halle/Saale durch Kardinal Albrecht von Brandenburg 1524 als Reaktion auf die Vorgänge im nahen Wittenberg; Abb. 16), wurde auf protestantischer Seite zusammen mit der italienischen Form zunächst auch der italienische Künstler abgelehnt. Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte — etwa gleichzeitig mit verstärkten Einstrahlungen aus den Niederlanden — überflutete eine erste breitere Comaskenwelle deutschen Boden. Das geschah, nachdem der Augsburger Religionsfriede eine kurze Ära gegenseitiger Duldung zwischen den Glaubensparteien herbeigenötigt und die Nürnberger Rivius-Vitruv-Ausgabe (1548) das Signal zum Durchbruch des nordischen Manierismus gegeben hatte. Ahhildwigsnachweis: Dr. Nicolo Rasmo, Bozen: Abb. 11, 12; Prof. Dr. Victor Lasareff, Moskau: Abb. 13,14; Prof.F, Mali,Palermo: Abb. 15; Walter Danz, Halle a. d. Saale: Abb. 16.
Josef Zykan INSTANDSETZUNG MITTELALTERLICHER PLASTIKEN IN DER WERKSTÄTTE DES BUNDESDENKMALAMTES Kunstwerke aus dem Waldviertel In der ersten Nummer des ersten Jahrganges der Österreichischen Zeitschrift für Kunst- und Denkmal pflege 1947 wurde über die Instandsetzung mittelalterlicher Plastiken in der Werkstätte des Bundesdenkmalamtes kurz berichtet. Inzwischen ist es gelungen, die Werkstätten entsprechend auszubauen und ihnen eine neue Heimstätte zu geben. Mehr als 100 gotische Bildwerke wurden seither behandelt. Die Fülle der geleisteten Arbeit hat nicht nur Einblick in die Probleme der Restaurierung gegeben, sondern brachte auch eine Bereicherung der kunstgeschichtlichen Kenntnis mit sich. Es besteht ntin die Absieht, in gewissen Zeitabständen über die Ergebnisse zu berichten. Anknüpfend an den ersten Bericht des Jahres 1947 muß gesagt werden, daß nicht jede Behandlung von Kunstwerken zu dem anfangs gestellten Ziel geführt hat. Die schöne frühgotische Steinplastik aus dem Stift Heiligenkreuz, bei der angenommen wurde, daß sie von G. Giuliani durch Hinzufügung einer Figur des Jesusknaben aus Terrakotta zu einer Madonnenfigur adaptiert worden sei, schien für die kultische Verwendung so wichtig, daß eine neuerliche Adaptierung zugelassen werden mußte, bei der die kostbare mittelalterliche Fassung auf Stein beibehalten wurde, während die Figur des Jesusknaben den Proportionen der Plastik entsprechend von akad. Bildhauer Franz Barwig neu komponiert und dem alten Bestand zugefügt wurde. Dieser Kompromiß, welcher nicht ganz im Sinne der Denkmalpflege gelegen war, hat den Vorteil, daß das Kunstwerk allgemein zugänglich bleibt und findet sein Analogen in der Pacherschen Madonna in der Franziskanerkirche in Salzburg, deren heutige Verwendung am Hochaltar der Kirche gewiß den Vorzug vor einer musealen Verwahrung verdient. Auch ist die Ver mutung nicht von der Hand zu weisen, daß die Heiligenkreuzer Figur von Anfang an doch eine Madonna gewesen ist, vielleicht die einzige Marienfigur der Stiftskirche in Heiligenkreuz, ein bedeutendes plastisches Kunstwerk, welches in den Türkenstürmen seine Beschädigung erfahren haben und später durch G. Giuliani ,,rekonstruiert" worden sein könnte. Eine ähnliche Lösung wurde auch für das Problem der Madonnenstatue von Loosdorf gefunden. So schön die plastische Arbeit nach Entfernung aller Zutaten des 17. und 19. Jahrhunderts erschien, so war sie doch weder für museale noch für kultische Zwecke verwendbar. Durch das Abbeizen der mittel alterlichen Fassung war das Holz bei der Restaurierung des Jahres 1854 oder früher stark hergenommen worden, wodurch der museale Wert beträchtlich herabgemindert war. Die Rekonstruktion einer ikonographisch umschriebenen Gestalt durch Anfügung eines Attributes und Gestaltung einer neuen rechten Hand verbat sich von selbst. Der Denkmalpfleger kam zur Überzeugung, daß es das Beste wäre, dem gewachsenen Zustand zum Rechte zu verhelfen; die Figur war eben einem Schicksal unterworfen, das nicht mehr widerrufen werden kann. Die vorhandenen Teile wurden zusammengefügt, an Stelle der entfernten neugotischen Fassung eine schlichte farbige Behandlung in handwerklicher Art vor genommen. Die dem heutigen Geschmack wenig zusagende Krone des Jesusknaben wurde entfernt und für die Madonna eine Krone geschaffen, die nach Gutdünken der Pfarre mit der an und für sich gut wirkenden neubarocken Krone ausgewechselt werden kann. Im ganzen genommen hatte sich gezeigt, daß die durch das Schicksal bedingte Umwandlung der Figur eine Restaurierung nicht zuließ und daß der Konservierung des gewordenen Bestandes der Vorzug zu geben war. Diese beiden Fälle, welche als Ausnahmen gewertet sein wollen, zeigen, daß es wohl überlegt sein muß, wenn der überlieferte Zustand eines Kunstwerkes verändert werden soll. Die Erwähnung des endgültigen Ausganges dieser beiden Restaurierungsvorhaben war notwendig, da in dem seinerzeitigen Bericht noch an die Möglichkeit einer Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes gedacht worden ist.
17. Flachau bei Döllersheim, Pfarrkirche, Madonna von 1500, R ücken an s i cht, nach der Restaurierung 18. Flachau bei Döllersheim, Pfarrkirche, Madonna von loOO, Seitenansicht, nach der Restaurierung 11). Flachau bei Döllersheim, Pfarrkirche, Reliquienbehälter der Madonna von 1500 .i "4. 20. Flachau bei Döllersheim, Pfarrkirche, Madonna von 1500, Frontalansicht, nach der Restaurierung
% 'V-v. N - 21. Neukirchen am Ostrong, Pfarrkirche, spätgotischer Altarschreiii aus Fragmenten zweier Altäre zusammengesetzt Anknüpfend an den ersten Bericht sollen nun von einigen Plastiken aus dem Waldviertel alle jene Einzelheiten mitgeteilt werden, welche im Zuge der Restaurierung festgestellt werden konnten. Die Madonnenfigur aus Flachau bei Döllersheim (Abb. 17, 18, 20) brachte die Überraschung, daß sie ein deutig mit dem Jahr 1500 datiert war, und es erscheint nicht ausgeschlossen, daß sie aus derselben Werkstatt hervorgegangen ist, der die schönen Figuren der Pfarrkirche Neukirchen am Ostrong entstammen. Die etwa 170 cm hohe Figur fällt durch die freie und großzügige Behandlung des Falten wurfes auf, zu der die ein wenig derbe Ausbildung des nackten Kindes in Kontrast steht. Die Draperie der schlanken Madonnenfigur ist tief unterschnitten; im Kleid zeigt sich das Motiv parallellaufender Falten, die sich über der Standfläche knicken, der Mantel weist jene großen lappigen Formen auf, welche einerseits eine tiefe Unterschneidung notwendig machen, anderseits durch dieselbe bedingt sind. Der Schleier ist nur ein schmales Tuch, das lose über dem herabfallenden Haar liegt und dessen rechtes Ende unter dem Kind hervorkommt, das danach mit seiner linken Hand greift. Bei der Freilegung der gotischen Fassung zeigte sich der Mantel in Gold mit bergblauer Innenseite, am Rande mit goldenen Ranken. Die Restaurierung bot insofern Schwierigkeiten, als nach der Abdeckung be sonders im Inkarnat immer wieder Blasenbildung auftrat. Die Figur ist teilweise hohl; wie so oft läßt sich an derRückseite ein Deckel abheben, der in das offene fallende Haar genau eingearbeitet ist (Abb. 17). Im Hohlraum befand sich eine kleine Spanschachtel, die neben Reliquien ein Papier mit der Datierung enthielt. Aus dem Text geht hervor, daß Abt Wolfgang von Zwettl die Figur am 6. Juni 1500 geweiht hat (Abb. 19). Es ist immerhin bedeutsam zu wissen, daß die Figur gerade zur Jahrhundertwende ent-
•^h 22. Weiten, Pfarrkirche, spätgotischer Altarschrein, Detail, hl. Christophorus, nach der Restaurierung 23. Neukirchen am Ostrong, Pfarrkirche, spätgotischer Altarschrein, Detail, hl. Panlo-atius standen ist, wenn auch der Name des Künstlers und der Herstellungsort verschwiegen wird^. Auffallend ist die stark barocke Auffassung des Kindeskörpers im Gegensatz zu den anderen Merkmalen der Figur, die durchaus einer zeithchen Einreihung um 1490 bis 1500 entsprechen würden. Die gute Schulung des Meisters verrät sich durch die Beherrschung der damals im Waldviertel gewiß noch neu wirkenden tiefen Schattung in der plastischen Behandlung. ^ Die Figur und das Dokument befinden sich heute im Niederösterreichischen Landesmuseum. Der Text des Dokumentes lautet: ,,Hanc ymaginem virginis Marie fieri fecit domis Bolffgangus Abbas monasterii Zwettl cognomento Oertel anno Domini millesimo quingcntesimo XI° die mensis junii . . Unter den Reliquien werden Milch, Kleid, Haare usw. besonders aufgezählt. Es bleibt die Frage offen, ob Abt Wolfgang die Figur für die Pfarre Döllersheim, in deren Umkreis sich Flachau befand, gestiftet hat, oder ob, wie dies Dr. Rupert Feuchtmüller vermutet, die Marienstatue für Stift Zwettl bestimmt war. Es ist wohl auffallend, daß nach dem Registrum computationum domini Volffgangi abbatis 1496—1505 im Jahre 1502 eine Zahlung an einen Maler in Krems ,,pictori ex Khrembs pro ymagine beate virginis et tabula in ara sancti Wernardi" nachgewiesen ist. Nachdem aber die Bernhardikapelle in Stift Zwettl bereits am 4. Mai 1500 durch Herrn Bernhard Weihbischof von Libanon geweiht worden ist, die Figur aus Flachau mit 11. Juni 1500 datiert ist, was wohl heißen soll, daß sie an diesem Tage vom Abt geweiht wurde, und schließlich kaum angenommen werden darf, daß der Abt eine im Juni 1500 schon gelieferte Figur zwei Jahre schuldig blieb, muß es sich doch um zwei verschie dene Figuren handeln. Auch weist der Schi'ein der Bernhardikapelle von 1500 ja selbst eine Madonna als Hauptfigur auf, die freilich keine stilistische Ähnlichkeit mit der Figur aus Flachau hat. Aus dem Registrum computationum {siehe Ö. K. T.Bd. 29, S. 268ff.) undauchdeniDokumentinunsererFigurersehen wir, daß ymago eine Plastik bedeutet, während ein Bild mit tabula bezeichnet wird. Wir erfuhren weiterhin, daß der Maler aus Krems sowohl Plastiken wie Malereien liefern konnte. Das Wort Pictor umfaßt demnach Holzschnittkunst und Malerei. Freilich kennen manche Dokumente auch die Bezeichnung Schnitzer. Da Abt Wolfgang Oertel mehrfach Maler aus Krems erwähnt, könnte die Figur aus Flachau demnach auch aus einer Werkstatt in Krems stammen. Daß es dort nicht nur eine Werkstatt gab, ersehen wir aus den Kremser Ratsprotokollen (siehe Fritz Dworschak: Krems-Stein und Göttweig in der Kunst des ausgehenden Mittelalters, in Festschrift zum 950jährigen Stadtjubiläum von Krems an der Donau 1948, S. 26ff.). Die Anwesenheit von Angehörigen der Passauer Werkstatt Kriechbaum in Zwettl im gleichen Jahr 1500 beweist durch aus nicht, daß die Figur aus Passau gekommen sein muß. Denkmalpflege
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