Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

BERICHTE DAS MARIENTYMPANON DER WIENER MINORITENKIRCHE ALS MÖGLICHE QUELLE FÜR DEREN BAUGESCHICHTE Im Anschluß an unsere Untersuchung über das Nordportaltympanon der Wiener Minoritenkirche (auf S. 107ff. dieser Zeitschrift) scheint es geboten, eine Frage zu berühren, die zwar mit der kunsthistorischen Stellung dieses Werkes nur mittelbar zusammenhängt, die aber für die Baugeschichte der Kirche selbst von Bedeutung sein kann. Wir haben uns in dem erwähnten Aufsatz aus stilistischen und ikonographischen Gründen der Meinung angeschlossen, unser Bogenfeld habe ursprünglich zur Bauplastik der ehemaligen Ludwigskapelle gehört. Es erhebt sich nun die Frage, welche Funktion es an diesem Bau hatte und wann bzw. warum es an seinen heutigen Ort gelangte. Mit Sicherheit können wir folgendes aussagen: Als das Tympanon und mit ihm das ganze Nordportal 1908 wieder entdeckt wurde, war es mehr als hundert Jahre lang ver mauert gewesen. So entging unser Relief dem Schicksal der Skulpturen an der Westfassade, die unter Hohenbergs Bau leitung teilweise stark übergangen und ergänzt wurden, um dann — im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts — noch mehrere „Restaurierungen" zu erleiden. Die Vermauerung des Nordportals erfolgte offenbar gegen Ende des 18. Jahrhunderts: Bis dahin nämlich hat ein nördlicher Ausgang bestanden, wie uns sowohl der Grundriß der Kirche auf dem Stadtplan Steinhausens (1710)' wie die Außenansicht des Baues von Salomon Kleiner (1724)^ bezeugen. Dieser Zustand blieb offenbar bis zur Aussiedelung der Minoriten (1784) erhalten' und erst der Umbau der Kirche durch die italienische Nation führte zu der Vermauerung dieses Seitentores. Damals verlor die kleine barocke Vorhalle, die sich unterhalb des großen Kruziflxus befand (vgl. Anm. 2), ihre Funktion und wurde abgebrochen; an der sie ersetzenden flachen Außenwand wurde jene Marmortafel angebracht, die an die Übergabe der Kirche an die Italiener erinnert und deren Datum (1786) häufig für das Entstehungsjahr der Anbauten gehalten wird. Da die gotische Leibung des Portals, die 1908 zutage gefördert wurde, offenbar original ist, und da auch ihr Profil in die Mitte des 14. Jahrhunderts weist, haben wir keine Ursache, an der Ursprünglichkeit des ganzen Arrangements zu zweifehr; das Nordportal als solches gehört also offenbar zum originalen ' Vgl. M. Eisler, Histor. Atlas des Wiener Stadtbildes (Wien 1919), Taf. 17, 18. Die Nachzeichnung des Steinhauseuschen Planes, die in der ganzen neueren Literatur immer wieder abgebildet wird (vgl. Donin, S. 206), ist gegenüber dem Original stark verändert und weitgehend imzuverlässig; wir bringen deshalb eine Neuaufnahme nach dem Original in der Kartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (Abb. 1,67). ' Vgl. M. Eisler, Das barocke Wien (Wien-Leipzig 1925), Taf. 64. Hier sind auch schon die barocken Anbauten der Nordwestecke zu sehen, die vielfach irrig in die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts datiert werden (so in Dehio-Handbuch Wien, 1954, S. 35). Dem Nordportal entspricht hier eine kleine, aus der Flucht der sonstigen Anbauten vorspringende barocke Vorhalle, deren Grundriß auch auf Steinhausens Plan zu erkennen ist. ' Noch Daniel Hubers Vogelschau (1769—1776) stimmt diesbezüglich mit der Handzeiohnung Kleiners völlig überein (vgl. M. Eisler, Histor. Atlas, Taf. 30). Bestand des heutigen Kirchenbaues^. Anders verhält es sich mit dem Bogenfeld, das ja, wie wir glauben, vorher an der Ludwigskapelle angebracht war und das — aus Gründen, die noch zu überlegen sein werden — gerade um diese Zeit für eine Wiederverwendung zur Verfügung gestanden sein muß. Es läge nun nahe, unser Relief (schon seines ikonographischen Themas wegen) für den Haupteingang, also das Westportal, der Ludwigskapelle zu beanspruchen. Und es liegt ebenso nahe, einen Abbruch dieses Westportales in dem Augenblick an zunehmen, da der neue Kirchenbau in seinem südöstlichen Teil der Vollendung entgegenging, und da man beschloß, die Ludwigskapelle als Chor in diesen Neubau einzubeziehen®. Nun wird aber in der Literatur vielfach die Meinung ver treten, die Ludwigskapelle habe schon der ,,alten", um 1250 erbauten Kirche als Chor gedient, da deren ursprünglicher Chor zu Anfang des 14. Jahrhunderts für die gestiegene Brüderzahl nicht mehr ausreichte®. Diese Annahme würde die Existenz einer ,,Fassade" und damit eines ,,Westportals" ausschließen, da ja in diesem Falle die Kapelle im Westen mit der alten Kirche kommunizieren mußte. So bliebe noch die Möglichkeit, unser Bogenfeld einem (nördlichen oder südlichen) Seiten eingang der Ludwigskapelle zuzuweisen, woiür man vielleicht auch seine nicht gerade monumentalen Ausmaße (150:126 cm) anführen könnte. Doch weisen ja Kapellenbauten allgemein keine großen Portale auf; vor allem aber bliebe dann die Frage offen, warum man das Tympanon gerade in jenem kritischen Moment seiner m'sprünglichen Bestimmung entzog, da der Neubau mit der Ludwigskapelle zusammenstieß — ein Vorgang, durch den deren Flanken ja in keiner Weise berührt wurden. Unsere Vermutung, das Bogenfeld habe einem (westlichen) Haupteingang der fraglichen Kapelle angehört, sei dort um die ® Über die Baugeschichte der Minoritenkirche informiert am besten R. K. Donin, Die Bettelordenskirchen in Österreich (Baden bei Wien 1935), S. 238ff. ® Der Kirchenbau begann vermutlich 1339 mit dem nord östlichen (Antonius-) Chor und etwa gleichzeitig an der West fassade (mit der Baurichtung Nord-Süd). Die Nordwand dürfte um 1350 fertig gewesen sein; nach 1353 begann die Abtragung des Langhauses der alten Kirche (deren Südwand in den Neubau übernommen wurde) und um 1370 ist ein ,,gewisser Abschluß der Bautätigkeit" anzunehmen. (Diese Darstellung der Bau geschichte findet sich ziemlich übereinstimmend bei F. Kieslinger in Belvedere 11, 1927/11, S. 103ff., bei Donin, a. a. O., sowie bei W. Buchowiecki, Die gotischen Kirchen Österreichs, Wien 1952, S. 240, 251.) Die Verbindung mit der schon seit 1328 bestehenden Ludwigskapelle muß also etwa in den Fünfzigerjahren erfolgt sein und war wohl schon früher beabsichtigt. — Donin nimmt an, daß ursprünglich eine dreichörige Ostpartie mit vorspringendem Mittelchor geplant war (begonnen im Antoniuschor), deren Ausführung aber unter blieb, weshalb man den alten Ludwigschor bestehen ließ, obwohl dieser mit keinem der Schiffe des Neubaues fluchtete, sondern in die Achse der südlichen Pfeilerreihe zu liegen kam. ® Erstmalig bei Lind-Neumann in Geschichte der Stadt Wien, Bd. III/II (1907), S. 506ff. Demgegenüber scheint die Vermutung, die Kapelle sei dem Chor nur ,,angebaut" gewesen und habe mit ihm ,,ein einziges Gebäude" gebildet, vorsichtiger und vielleicht zutreffender. Vgl. G. Salvadori, Die Minoriten kirche und ihre älteste Umgebung (Wien 1894), S. 38.

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