Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Bis dahin müssen wir uns auf die Feststellung beschränken, daß der Schöpfer des Marientympanons an der Wiener Minoritenkirche aus dem Atelier der Regensburger Domskulpturen hervorging und damit jene Beziehungen zwischen der plastischen Produktion beider Städte eindeutig belegt, die bisher nur vermutet werden konnten. Die von uns aus baugeschichtlichen Gründen vorgeschlagene Ansetzung des Bogenfeldes ,,um 1325 1328" wird also auch stilkritisch bestätigt; sie entspricht der vermutlichen Entstehungszeit der älteren Regensburger Schicht, die sich um das Ulrichsgrab (vor 1326) als chronologischen Fixpunkt gruppiert. Es ist kaum zu entscheiden, ob unser Meister schon längere Zeit in Regensburg tätig war, bevor er stromabwärts zog, oder ob er seine Regensburger Haupttätigkeit nicht vielmehr erst nach seinem Wiener Aufenthalt begann. Jedenfalls scheint sein Wirken in Wien nur von kurzer Dauer gewesen zu sein, da sich sonst kein Werk von seiner Hand in unserer Stadt erhalten hat. Es dürfte deshalb kaum angehen, die vereinzelten typenmäßigen Übereinstimmungen zwischen den Plastiken im Chor von St. Stephan und jenen des Regensburger Domes mit seinem Besuch in unmittelbare Beziehung zu bringen, doch ist die prinzipielle Möglichkeit derartiger Kontakte nunmehr erwiesen^^. Und schließlich lassen sich gerade aus dem offenbar nur vorübergehenden Wirken unseres Meisters Schlüsse auf die allgemeine Wiener Situation in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjalire ziehen. Große Aufgaben scheinen damals nicht in Arbeit gewesen zu sein, da in diesem Falle entweder heimische Kräfte für die Anfertigung unseres Reliefs zur Verfügung gestanden wären oder aber ein bestehendes Atelier auch unseren Künstler, hätte ihn nur der Zufall nach Wien geführt, für einige Zeit festgehalten hätte. Ein ähnlich isoliertes Bildwerk, die wahrscheinlich ebenfalls dem dritten Jahrzehnt ent stammende ,,Dienstbotenmadonna" von St. Stephan, bekräftigt unsere Vermutung, man habe damals in Wien nur Gelegenheitsarbeiten an durchziehende Meister vergeben. Das große Atelier, dem wir die Statuen des Nord- und Mittelchors von St. Stephan verdanken, dürfte also seine Tätigkeit entweder um 1325 schon abgeschlossen oder erst im vierten Jahrzehnt aufgenommen haben®^. Eine endgültige Datierung dieses für die Wiener Kunstgeschichte besonders wichtigen Figurenzyklus wird allerdings ohne vorangehende Klärung der Baugeschichte des Domchors und ohne Berücksichtigung des Ver hältnisses zwischen den Statuen und ihren Konsolen nicht möglich sein. Sobald aber diese Vor bedingungen geschaffen sind und eine Stilanalyse mit Aussicht auf konkreten Erfolg einsetzen kann, wird man sich nicht zuletzt auf die etwa gleichzeitigen Leistungen der Regensburger Bildhauer beziehen dürfen, deren einen wir in Wien tätig gesehen haben. Besonders auffallend ist die Ähnlichkeit des erwähnten Regensburger Chi-istophorus (Kunstdenkmäler, Abb. 54) mit seinem Wiener Bruder (Ernst/Garger, Taf. 21) sowie die der beiden Verkündigungsengel (Müller, Taf. 21, und Ernst/Garger, Taf. 3). Für die letztgenannten Figuren liefert der Gabriel des Überlinger Münsters (um 1310, vgl. Binder, zit. Anm. 22, Taf.lO) den gemeinsamen Grundtypus und belegt damit ein auch sonst zu vermutendes West-Ost-Gefälle innerhalb SüddeutscWands während des frühen 14. Jahi-hunderts. In diesem Zusammenhang sei auch auf oberrheinische Vorstufen der Regensburger Nord querschiffmadonna hingewiesen (vgl. W. Kleiminger in Oberrheinische Kunst 8, 1939, S. 37ff., besonders Abb. 7, 8). Bemerkens wert ist schließlich die Übereinstimmung der Figurenkonsolen in Regensburg (am Sockel der Martinsgruppe und an den Blenclarkaden^des Dominneren) und Wien (unter den Statuen des Chors) hinsichtlich der Gestaltung des Konsolkernes als „felsiges Terrain und hinsichtlich der Applikation der Figur auf diesen. Direkte stilistische Beziehungen bestehen hier freilich ebenso wenig wie zwischen den großen Statuen der beiden Dome. Von Ginhart (zit. Anm. 4) wurde neuerdings wieder eine Frühdatierung der fraglichen Skulpturen schon um 1310—1320 vorgeschlagen. Abhildungsnachweis: Bundesdenkmalamt: Abb. 142 (I. Strempel), Abb. 143, 144, 146, 149, 151, 154, 156 (W. Wellek); Dr. Schlegel, München: Abb. 145, 153; Oskar Boss, Regensburg: Abb. 147, 148, 152, 155; Bayrisches Landesamt für Denkmal pflege: Abb. 1.50.

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