Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

ÖSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE IM XL JAHRGANG • 1957 • HEFT 4 • HERAUSGEGEBEN VOM ÖSTERREICHISCHEN BUNDESDENKMALAMT VERLAG VON ANTON SCHROLL 6< CO • WIEN-MÜNCHEN

ÖSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE (Jahrgang 1/1947—V/1951 ist als „Österreichische Zeitschrift für Denkmalpflege" erschienen) In Nachfolge der einstigen „Mitteilungen der Zentralkommission für Denkmalpflege in Wien" Herausgeber: Österreichisches Bundesdenkmalamt Redakteure: Otto Demus und Walter Frodl XI. JAHRGANG 1957/HEFT 4 INHALT A. M. Zbndhalli: Graubündener Baumeister in Österreich / Gebhabd Bittneb: Eine mittelalterliche Darstellung der St. Pöltener Domkirche / Gerhard Schmidt: Das Marientympanon der Wiener Minoritenkirche / Gerhard Schmidt: Das Marientympanon der Wiener Minoritenkirche als mögliche Quelle für deren Baugeschichte / F. Fuhrmann: Zum Johann Bernhard Fischer von Erlach-Schrifttum im Jubiläum.sjahr 1956 — 1957 / W. Fbodl: Bericht über die Ausstellung „Unsterbliches Europa" / Aktuelle Denkmalpflege Die Zeitschrift erscheint jährlich in 4 Heften Es wird gebeten, Einsendungen an die Redaktion der Zeitschrift im Bundesdenkmalamt, Wien I, Hofburg, Schweizerhof, Säulenstiege, zu richten Bezugspreis: Jährlich 4 Hefte S 80.—. Anzeigenannahme durch den Verlag • Printed in Austria VERLAG VON ANTON SCHROLL & CO. IN WIEN V., SPENGEEGASSE 37

".^4 3sf(! ■ü'i'iifiSlil y*Jl, ,•• Ti mi 129. Castello Mesocoo und das Mesoloinatal GRAUBÜNDENER BAUMEISTER IN ÖSTERREICH Von A. M. Zendealli, Chui' Unter den zahlreiclien Baumeistern und Stukkatoren aus den Gebieten südlich der Alpen, die als Träger der Spätrenaissance, des Barock und Rokoko in Österreich wirkten, treten im Laufe der Entwicklung eine Reihe von Persönlichkeiten hervor, die zwar italienisch sprachen, italienische Namen trugen, aber nicht aus Italien kamen, sondern aus dem ehemaligen dreisprachigen Dreibünden staat Alt Ery Rätien, dem heutigen schweizerischen Kanton Graubünden. Fast alle stammen sie aus dem südlich am St. Bernardino gelegenen Tale Misox, dem italienischen Mesolcina (Abb. 129). Wenn sie zahlenmäßig auch nicht sehr stark sind, so erscheinen sie als Gruppe doch wichtig genug, daß sie nach den vorhandenen Unterlagen zusammengesehen werden sollten^. Wo die Alisoxer im 16. und 17. Jahrhundert ihre Meistertitel erwarben, ob im eigenen Tale oder im Tessin, ist nicht zu ermitteln. Eine Maurergilde, die Meisterbriefe in deutscher Sprache ausstellte, ist erst 1713 in Roveredo nachzuweisen. Dem Rechnungsbuch eines Wirtes entnimmt man allerdings, daß 1663 der Gemeindekanzler Roveredos von sich aus einen ,,lernobrief" einem Tessiner ausstellte, für 27 lire, d. i. genau der Betrag, den der Kanzler dem Wirt für seine Mahlzeit schuldete. 1 Am Ende dieses Aufsatzes ist eine Zusammenstellung der wichtigsten Literatur zur Kunstgeschichte des Misox gegeben. 12 Denkmalpflege

r/i.; s ii: 130. Stift St. Lambrecht, erbaut von Domenico Sciascia Wann die Auswanderung der Bündner einsetzt, läßt sich noch nicht genau festlegen. Am Ende des 15. Jahrhunderts arbeiteten in Graubünden noch auswärtige Meister; im Innern des Landes zwei Österreicher, Stephan Klain (Klaindl) aus Freistadt in Oberösterreich, tätig zwischen 1465 und 1492, und .sein Schüler Andreas Büchler (Bühler) aus Gmünd in Kärnten, tätig etwa von 1480 bis 1510. Im Misox arbeiteten Meister aus der italienischsprachigen Umgebung, Tessiner und Klävener, die wohl als Lehrer der einheimischen anzusehen sind. Gleich nach 1500 treten die einheimischen Maurer auf. Ihre Anzahl steigt schnell, wie sich aus Rechnungs- und Kirchenbüchern und Notariatsakten ergibt. Die ersten Meister, die einwandfrei aus dem bündnerischen Misox stammen, finden sich in der Steiermark: Bartolomeo Viscardi 1555/56 in Kopreinitz, 1558, 1561, 1563, 1569 in Fürstenfeld; Antonio de Rigiso (auch Rigeis, Rigaglia, Rigassa, Rigosso) 1556 in Radkersburg; Antonio de Riva (Piua) 1556 in Pettau; Antonio Capuzo (Cepusch, Giaputo) 1572, 1575 in Fürstenfeld; vielleicht auch Battista de Riva 1535 in Radkersburg. Sie arbeiten alle unter dem Baumeister Domenico d'Allio aus Lugano, und es ist wahrscheinlich, daß sie auch beim Bau des Landhauses in Graz, von 1555 an, mitgearbeitet haben. Eine größere Anzahl von Bündner Bauleuten ist in der zweiten Hälfte des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts in Prag anzutreffen: 1556—1559 Joseph Soldata (Soldati) aus Mesocco; 1566 bis 1583 Benedikt Karanca (Galanka) wohl aus Soazza; 1585 Hans Minus Yoss (Poss, Porsch) ,,aus Awerscher Gegend" (Aversertal); 1585—1587 Johann Kosta (Costa) aus ,,Ober Rhäthien"; 1587—1614 Johann Meli (Megli, Meuli) aus „Rynwald in Ob Grauenpunt"; 1587 Georg Moli; 1608—1618 Wolf Moli; 1592 Nikolaus Bardutt (Badrutt) aus Sent (Engadin); 1593—1627 Johann Pryn (Pyn, Pien, Pihon) aus Steinberg (Lavin); 1593—1622 Anton Poncella aus Sowacz, ,,Land Mesaks in Ob. Graupunt"; 1594 Anton Beuelacqua, jedenfalls auch aus Soazza. Einzelne Bündner findet man auch in Lemberg; 1581 H. Fidel ,,Italus, artis muratoriae socius"; 1582 Bernardus Fidel, wohl beide aus Roveredo; 1598—1649 den dort niedergelassenen Baumeister

mm '.Sa 131. Graz, Joanneum(ehem. St.LambrechterStiftshof),entworfen vonDomeniooSciascia Ambrosius fl. Simonis Nutclauss aus „Vaetanum (=-- Fetan, Ftan) apud Ingadinorum Rhetos liberos". Zu Beginn des 17. Jahrhunderts lassen sich Misoxer Meister auch in den heutigen österreichischen Gebieten nachweisen. Der Roveredaner Benedetto Prato (auch Prati, eingedeutscht Wise, Wiese) ist 1601—1603 in Bregenz, wo er am Martinsturm arbeitet. Domenico da Prato erbaut um 1610 die Klosterkirche in Bregenz. Julio (Giulio) Basso wird nach 1610 Baumeister des damals österreichischen Markgrafen von Günzburg in Burgau. In Oberösterreich sind es Antonio und Cassiano Ragathon aus Castaneda, die zusammen mit Nikiaus Zillier 1625/26 die Stukkaturen im Chorherrenstift Reichersberg ausführen. 1635—1640 erbaut wahrscheinlich Giov. Batt. Viscardi aus S. Vittore die Sebastianikirche in Schärding. Nach 1642 arbeiten Andrea und Giacomo Provin (Provini) aus Mesocco am Stiftsgebäude von Spital am Pyhrn; Giacomo baute auch noch einen Brunnen im Hof des Schlosses Altperstein. Seit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts ist Domenico Sciascia (Sciassia) in Österreich tätig. 1633 erscheint er in seinem Heimatort Roveredo in der Liste der Confraternitä del SS. Rosario, in Österreich zum ersten Male in einem Brief des Abtes Benedikt Pierin von St. Lambrecht 1639, der ihm im gleichen Jahre noch den Bau des Stiftsgebäudes überträgt (Abb. 130). Allem Anschein nach war Sciascia zu dieser Zeit schon ein bekannter Architekt. Im Auftrage von St. Lambrecht leitete er den Umbau der Wallfahrtskirche von Mariazell, von 1644 an. Ferner baute er Schloß und Kirche St. Gotthard bei Graz in den Jahren nach 1654. Und in Graz selbst entwarf er den St. Lambrechter Stiftshof mit der Kapelle, das jetzige Joanneum (Abb. 131). Wonisch möchte ihm auch das Stift Lilienfeld zuschreiben, wo er von 1666—1674 beschäftigt war. Noch 1675 kämpfte er um die ausstehenden Gelder, die ihm vorenthalten wurden. Nach dem großen Brand von Judenburg, 1670, wurde er beauftragt, aus den erhaltenen Resten der gotischen Pfarrkirche einen neuen Bau zu errichten. Auch dürfte das Kapuzinerkloster in Und, zwischen Stein und Krems in Niederösterreich, das 1656 abbrannte, von Sciascia wiederaufgebaut worden sein. Dagegen scheint es, daß die ihm zugeschriebene Pfarrkirche von Köflach (Weststeiermark) nicht von ihm, sondern von seinem bisher unbekannten Bruder Cipriano errichtet wurde, wie aus gefundenen Baurechnungen ersichtlich ist.

rkirche, erba feil ä .m -ti. -. ■ ■: . : .^tr äfe.lÄ-- *•> » ■ .V 133. Schloß Aurolzmünster, entworfen von Gaspare Zuccalli

ÖSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE XI. JAHRGANG 1957 VERLAG ANTON SCHROLL & CG IN WIEN

ÖSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE (Jahrgang 1/1947 — V/1951 ist als „Österreichische Zeitschrift für Denkmalpflege" erschienen) In Nachfolge der einstigen „Mitteilungen der Zentralkommission für Denkmalpflege in Wien" Herausgeber; Österreichisches Bundesdenkmalamt • Redakteure: Otto Demus und Walter Frodl XL JAHRGANG 1957 Alle Rechte vorbehalten • Printed in Austria Eigentümer und Verleger: Anton SchroII & Co., Wien Druck : Christoph Reisser's Söhne, Wien Klischees : A. Krampolek, Wien

INHALT Aufsätze Bittner, Gerhard: Eine mittelalterliche Darstellung der St. Pöltener Domkirche .... 105 Demus, Otto: Eine wiedergefundene Madonnenfigur Michael Pachers 1 — Arbeiten der Denkmalpflege an Bauten Johann Bernhard Fischers von Erlach .... 13 Guldan, Ernst: Ein protestantischer Bildzyklus in der Steiermark 8 Ocherbauer, Ulrich und Walliser, Franz: Die Abnahme der Fresken aus dem Pfarr gartenpavillon in Radkersburg 25 Ocherbauer, Ulrich: Der Freskenzyklus in der Knappenkirche zu Oberzeiring 62 Schmidt, Gerhard: Das Marientympanon der Wiener Minoritenkirche 107 Zendralli, A. M.: Graubündener Baumeister in Österreich 97 Zykan, Josef: Schloß Laxenburg und seine Zukunft 30 — Barocke Steinplastiken und ihre Restaurierung 53 — Das Alterswerk des Kremser-Schmidt 69 Berichte Blauensteiner, Waltraud: Wien, Profane Denkmäler (Aktuelle Denkmalpflege) . . . 131 Demus, Otto und Frodl, Walter: Hofrat Dr. Walter von Semetkowski zum 70. Geburtstag 49 — Dr. Josef Maria Ritz zum 65. Geburtstag 50 Frodl, Walter: Tagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundes republik Deutschland 88 — Ausstellung, veranstaltet vom Österreichischen Bauzentrum, 30. August bis 10. öktober 1957, Unsterbliches Europa. Wiederaufbau zerstörter Kunstdenkmäler 128 Fuhrmann, F.: Zum Johann Bernhard Fischer von Erlach-Schrifttum im Jubiläums jahr 1956—1957 121 Gritsch, Johanna: Die Restaurierung der Michaelskapelle in Imst 44 — Denkmalpflege in Tirol im Jahre 1956 77 Hartwagner, Siegfried: Die Restaurierung der Fihalkirche St. Katharina im Bade 86 Hoppe, Th.: Salzburg (Aktuelle Denkmalpflege) 141 Kort an, H.: Aus den Restaurierwerkstätten des Bundesdenkmalamtes 149 Krauss, Egon: Bericht über die internationale Orgelwoche in Kopenhagen 28. Mai bis 1. Juni 1956. Schmidt, Gerhard: Das Marientympanon der Wiener Minoritenkirche als mögliche Quelle für deren Baugeschichte 119

Trapp, Oswald: Restaurierung von Tiroler Schützenfahnen 41 — Joseph Weingartner f 92 Tripp, T.: Der internationale Denkmalpflegekongreß in Paris 1957 91 Buchbesprechungen Egg, Erich: Aus der Geschichte des Bauhandwerks in Tirol (Baumann) Eeuchtmüller, Rupert: Ein Wunder gotischer Schnitzkunst (Zykan) Frank, Karl: Die Barockfassade des Institutsgebäudes der Englischen Fräulein in St. Pölten und der Prandtauer-Kreis (Zykan) Grass, Nikolaus: Das Haller Damenstift und seine Kunstdenkmäler (Frodl-Kraft) Halmer, Felix: Niederösterreichs Burgen (Bittner) Hempel, Eberhard: Aufgaben der Technischen Hochschulen auf dem Gebiet der Denkmalpflege (Frodl) — Gaetano Chiaveri, der Architekt der Hofkirche zu Dresden (Baumann) Horvat, Andjela: Spomenici arhitekture i likovnih umjetnosti u Medjmurje (Frodl) Isler-Hungerbühler, Ursula: Johann Rndolf Rahn, Begründer der schweizerischen Kunstgeschichte (Doberer) Kollreider, Franz: Katalog zum Museum bäuerlicher Arbeitsgeräte in Schloß Bruck, Lienz (Frodl) Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Landkreises Pirmasens (Frodl) Löffler, Fritz: Das Christliche Denkmal (Bittner) Macku, Anton: Wien (Frodl) Marchetti, Giuseppe — Nicoletti, Guido: La scultura lignea nel Friuli — Silvana (Someda de Marco) Österreich, Kunst und Kunstschätze, gestaltet und erläutert von Maria NeusserHromatka (Frodl) Schneditz, Wolfgang: Alfred Kubin (Baumann) Semetkowski, Walter von: Graz, ein Führer durch die Stadt und ihre Umgebung (Frodl) Unterkircher, Franz: Inventar der illuminierten Handschriften, Inkunabeln und Frühdrucke der Österreichischen Nationalbibliothek, Teil I, Die abendländischen Handschriften (Frodl)

t i ,.„k . - > : 4 A. • .■■■' f-ii' 4^s;Ä;^j5 ''---^1^ r-y w 'fli® 134. Wien, Karlskirche, Chorkuppel, Stuck von Alberto Camessina 1655 hat sich allem Anschein nach der Maler Johann von Cadusch (Decadusch) aus Obervaz (Innerbünden) in Maria Saal, Kärnten, aufgehalten, da er dort heiratete; doch 1662 taucht er in Donauwörth (Schwaben) auf, wo er das Bürgerrecht erwarb. Noch Mitte des 17. Jahrhunderts arbeitet der Baumeister Johann de Gapaul aus Lumbrein (Bündner Oberland) am Palais Czernin in Prag. Er wird neben Francesco Caratti als Erbauer der Maria Magdalenen-Kirche in Prag genannt. In Prag ließ er, der ,,Capo Meistro de sua Maista" ein Erbauungsbuch in rätoromanischer Sprache erscheinen, ,,Ina Uizeiula a dava tiusa fuorma da udir gli offici della S. Messa". Nach dem Dreißigjährigen Kriege trifft man auf eine ganze Reihe von italienischen Maurern und Architekten in Leitmeritz in Böhmen. Vor allem findet man die Namen Bianko, Spineta, Verza, Sultan und die weitverzweigte Familie Broggio. Von den angegebenen Namen stammen zumindest drei aus dem Misox, nämlich die Bianko (Bianco, Blanco) aus Soazza, die Verza (Versa) aus Verdabbio, und die Broggio aus Roveredo. Giulio Broggio — wohl Sohn oder Neffe eines Stukkators gleichen Namens, der 1672 in der von den Roveredanern Giulio und Pietro Barbieri erbauten Abteikirche St. Georg der Benediktiner in Isny arbeitet — kommt um 1670 nach Leitmeritz, erhält 1673 das Bürgerrecht, wird 1680 Gemeinde ältester und ist 1675 und 1680 Ältester der Maurer- und Steinmetzzunft. Eine beträchtliche Zahl von Bauten in und um Leitmeritz ist seiner Hand zuzuschreiben: 1670—1681 baut er die Domkirche der Stadt, 1695 die Kirchen von Tschischkowitz und Derschkowitz und arbeitet an der Roslawschen und Rochus-Kapelle (hl. Barbara) und an der Gruft der Leitmeritzer Stadtkirche. Er errichtet 1687, 1692 und 1693 je einen Pfeiler der Elbbrücke und legt 1700 die Grundmauern für einen vierten. 1698 baut er die Politzer Wallfahrtskirche, 1698—1701 die Residenz und wohl auch das bischöfliche Consistorium in Leitmeritz. Er entwarf dort auch die Pläne für die neue St. Adalbertskirche, deren Bau er 1689 begann, aber wohl nicht vollendete. Sein Sohn Octavian (1668—1742) wird gar Ratsherr und baut auch in der Stadt und ihrer Umgebung. Auch noch die dritte Generation mit Octavian Anton, gest. 1761, ist als Baumeister in der Stadt ansässig. In Salzburg baut 1684 der Stadtbaumeister Bartolome Bergamin aus Obervaz die PhilippusNeri-Kapelle an die Sebastianskirche. Ferner scheint er auch am Marktbrunnen tätig gewesen zu sein.

f 135. Tamsweg, Schloß Kuenburg, Stuck von Giovanni Gaetano Androi 136. Stift St. Lambrecht, Prälatur, Saal, Stuck von Giovanni Gaetano Androi 137. Murau, Renatisaal (Sparkasse), Stuck von Giovanni Gaetano Androi

Im folgenden Jahr ruft Fürsterzbischof Max Gandolph den in Bayern tätigen Giovanni Gaspare Zuccalli, aus Roveredo gebürtig, nach Salzburg, um über den Bau der Theatinerkirche mit Kloster und Seminar zu verhandeln. Der Bau wurde in Auftrag gegeben (Abb. 132). Durch kirchenpolitische Schwierigkeiten zieht sich die Fertigstellung der Theatinerkirche bis ins 18. Jahrhundert. Gleichzeitig beschäftigte das Domkapitel Zuccalli mit dem Neubau der St. Erhardkirche im Nonntal (vgl. Abb. 191 in diesem Heft). 1685 baut er die Antonius-Kapelle in Söllheim und ist in den Jahren nach 1691 mit den Plänen für Schloß Aurolzmünster, Oberösterreich, beschäftigt, das von seinem Dorfgenossen Antonio Riva, dem Mitarbeiter von Gaspare Zuccalli und Lorenzo Sciascia in Bayern, und Enrico Zuccalli ausgeführt wurde (Abb. 133). Der Vater des Giov. Gaspare Zuccalli, Domenico Cristoforo Zuccalli, wirkte in Niederbayern. Von dort aus erneuerte er 1696/97 die Pfarrkirche zu Feldkirchen, Oberösterreich, und baute um 1700 die Sakristei der Pfarrkirche von Bodenkirchen. Der schon genannte Antonio Riva war von 1691—1694 unter der Leitung von D. Martineiii am Bau des Palais Kaunitz, dem jetzigen Liechtensteinischen Stadtpalais in Wien tätig. Er schied aber aus, als die Bauleitung 1694 an seinen Landsmann Gabriel de Gabrieli überging, der diesen und andere Bauten im Auftrag der Liechtenstein ausführte. Im folgenden Jahr tritt er auch in die Dienste des Markgrafen von Ansbach und wurde 1716 Baudirektor des Fürstbischofs von Eichstätt. Während seiner Wiener Tätigkeit hatte Gabrieli auch die Aufsicht über den Bau des Schlosses von Landskron in Mähren, das D. Martineiii im Auftrage der Liechtenstein entworfen hatte. Den Bau führte ein Schwager des Gabrieli, der Roveredaner Antonio Sala (Sale), 1699—1712 aus. Sala leitete auch den Wiederaufbau der Kirche von Posotschitz bei Olmütz. Nach einer Bauunterbrechung kehrte er nicht zurück; das Angebot eines anderen Baumeisters aus Roveredo, Pietro Giulietti, der in Austerlitz lebte, wurde abgelehnt. R. Corwegh führt im Thieme-Becker, Bd. 5, p. 439, einen Camessini an, der 1720—1740 Schloß Stattenberg bei Windisch-Feistritz (ehem. Südsteiermark) baut. Er stammt vielleicht aus S. Vittore und ist möglicherweise ein Verwandter des Giovanni Batt. Camessina aus Roveredo/S. Vittore, der in Bayern arbeitete, und des Stukkators Alberto Camessina aus dem gleichen Orte. Dieser Alberto ist am 15. Februar 1675 geboren und starb am 19. November 1756 als Bürger der Stadt Wien. Er arbeitete in Salzburg unter Santini, in den Ritter- und Ratsstuben der Residenz und im Schloß Mirabell, ist vor allem aber auch in Wien selbst tätig, so im Alten Rathaus, in der Peters kirche, in der Elisabethkirche des deutschen Ritterordens und in der Karlskirche (Abb. 134). Ein Urenkel des Alberto ist der Conservator der Stadt Wien, Alberto Enrico Giuseppe, der 1886 zum Ritter von S. Vittore geschlagen wird. Unter den Gesellen Camessinas war Domenico Androi aus Roveredo, der für 1710 in Wien bezeugt ist. Aus einer Quittung geht hervor, daß sein Vater Giovanni am 3. März 406 Lire an Alberto Camessina in Wien für die Pension seines Sohnes Domenico bezahlt hat. Der Vater Giovanni war verheiratet mit Paola Zuccalli, einer Verwandten des Enrico Zuccalli. Die Beziehungen der Misoxer im Ausland scheinen sehr eng gewesen zu sein, wie aus einer Notiz hervorgeht, daß der Vater Giovanni des Gabriel de Gabrieli 81 Lire ausgab zum Kauf eines Kleides für die Mutter des Domenico Androi, Paola geb. Zuccalli, im Auftrag seines Sohnes ,,Architetto Gabrielli". Domenico Androi arbeitete 1718 in Maria Taferl, 1731 in der Bibliothek des Klosters Voran (Abb. 138), zusammen mit seinem Verwandten Giovanni Gaetano. Gaetano arbeitete hauptsächlich in der Steiermark: 1739 stukkierte er den Prälatensaal des Stiftes St. Lambrecht (Abb. 136), 1746 arbeitete er an der Fassade und in neun Zimmern des Schlosses Kuenburg in Tamsweg (Abb. 135), 1745—1750 im Renatisaal, in der heutigen Sparkasse, von Murau (Abb. 137), in der Pfarrkirche von Tamsweg, später dann in den Pfarrkirchen von Scheifling, St. Marein i. M. und Allenz und im Pfarrhaus von Veitsch. 1726 starb in Graz der Stukkatur Pietro Zarro aus Soazza, der 1717 sich bereits in Graz als Mitglied der Bruderschaft S. Francesco di Paolo nachweisen läßt. Er führte Stukkos aus in der Pfarr kirche von Maria-Rast bei Maribor, 1722—1725 in der Welschen Kirche, darauf vielleicht im Palais Attems in Graz und auch im Palais Herbersdorf in Radkersburg.

138. Stift Vorau, Bibliothek, Stuokdekoration von Domenico und Giovanni Gaetano Androi LITERATUR ZUR KUNSTGESCHICHTE DES MISOX der vorbereitet wird, ausgewertet werden. Manche Angaben gründen sich auf Mitteilungen, dse dem "Verf. freundlicherweise von Forschern aus Polen, der C. S. R., aus Österreich und aus anderen Ländern zur Verfügung gestellt wurden. — Die Nachricht über Köflach, Stmk., verdankt der Verf. einer freundlichen Mitteilung von Msg. Dr. R. Kohlbach. Fr. D. Vieli, Storia della Mesolcina, Bellinzona 1939. Die wichtigste Zusammenfassung findet sich in einem IVerk des Verf.: A. M. Zendralli, Graubündner Baumeister und Stukkatoren in deutschen Landen zur Barock- und Rokkokozeit, Zürich 1930. Ausgenutzt wurde diese Arbeit in der Reihe: Opera del genio italiano all'estero, Roma. F. Hermanin, Gli architetti, vol. I, 1934. — Gli scultori, gli stuccatori, i ceramisti, vol. II, 1935. E. Morpurgo, Gli artisti in Austria, vol. III, 1937. Schon in der älteren Literatur wurde auf die Baumeister des Misox als eine geschlossene Gruppe hingewiesen; B. Pfeiffer, Kultur und Kunst in Oberschwaben im Barock- und Rokokozeitalter, p. 24, Stuttgart 1896. C. Gurlitt, Geschichte der Kunst, Bd. II, p. 523, Stuttgart 1902. Hinweise auf einzchie Künstler finden sich immer wieder in den schweizerischen, deutschen und österreichischen Handbüchern: E. Poeschel, Die Kunstdenkmäler des Kantons Graubünden, Bd. VI: Puschlav, Misox und Calanca, Basel 1945. H. Tietze, Die Kunstdenkmäler der Stadt Salzburg, "Wien I9I2, ÖKT. Bd. IX. O. "Woniseh, Die Kunstdenkmäler des Benediktinorstiftes St. Lambrecht in der Steiermark, Wien 1951, ÖKT., Bd. XXXI. Dehio-Handbuch, Die Kunstdenkmäler Österreichs: Steiermark, 3. Aufl. 1956. — Die Kunstdenkmäler Österreichs: Niederösterreich, 4. Aufl. 1953. Dehio-Handbuch der deutschen Kunstdenlunäler in der Ostmark: Oberdonau, 1941. Ankert, Die Baumoisterfamilie Broggio, in: Mittigen. d. Ver. f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen, Prag, 40, 1902, 393ff. H. Tietze, D. Martineiii und seine Tätigkeit für Österreich, in: Jahrb. d. Kunsthist. Inst. d. Staatsdenkmalamtes, Wien, 13, 1919, 29ff. P. Pobe, Die Domkirche zu Arlesheim (Giacomo Angelini), Basel 1941. D. Kessler, Der Dillinger Baumeister Hans Alberthal (Giovanni Albertalli), in: Jahrb. d. Hist. Ver. Dillingen a. d. D., 1945 bis 1949, p. 154. 0. Wonisch, Zur Baugeschichte von Stift Lilienfeld, in: Festschrift zum Achthundertjahrgedächtnis des Todes Bernhards v. Clairvaux, ed. Österr. Zisterzienser Kongregation vom Heiligsten Herzen Jesu, 1950. A. Bayer, Die Ansbacher Hofbaumeister beim Aufbau einer fränkischen Residenz (Gabriele de Gabrieli), in: 22. Heft Neujahrs blätter d. Gesellschaft f. fränk. Gesch., Würzburg 1951. Th. Neuhofer bereitet eine Monographie über Gabriele de Gabrieli vor. Abbildungsnachweis: Foto Feuerstein, Schuls: Abb. 129; Bildarchiv der Österr. Nationalbibliothek: Abb. 130,131,133, 135, 136; E. Frodl-Kraft, Wien; Abb. 132, 134; Bundesdenkmalamt (E. Mejar): Abb. 137; Bundesdenkmalamt (Archivfoto): -4.bb. 138.

EINE MITTELALTERLICHE DARSTELLUNG DER ST. PÖLTENER DOMKIRCHE Von Gerhard Bittner Auf einem Blatt einer österreichischen Handschrift der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts aus dem Besitze der Pierpont Morgan Library in New York (M. 884) befindet sich am unteren Rande ein breiter Bildstreifen mit der Darstellung einer Mönchsprozession, die sieh auf eine (am rechten unteren Bildrand dargestellte) Kirche zu bewegt (Abb. 140). Schon seitens der Leitung der Morgan Library wurde die abgebildete Kirche auf Grund einer genauen Untersuchung des Textes als die ehemalige Stiftskirche (heute Domkirche) von St. Pölten angesprochen. Ein Vergleich mit dem heutigen Baubestand der Domkirche soll diese Identifizierung festigen. Der Direktion der Pierpont Morgan Library, inshesonders Miss M. Harrsen, sei hier für die freundlichen Mitteilungen und für die Überlassung von Photos aufrichtig gedankt. Es handelt sich um zwei Blätter eines Responsoriums, wahrscheinlich für den Gebrauch in einem Zisterzienserkloster. Die auf einer Seite in einer Initiale dargestellte Figur des hl. Hippolytus macht die vorgeschlagene Identifizierung fast zur Gewißheit. Die ehemalige (Augustiner Chorherren-) Stiftskirche von St. Pölten stellt eine dreischiffige querschifflose (barockisierte) Säulenhasilika dar, deren mittelalterliche Bausubstanz aus dem 12. und 13. Jahrhundert stammt^. Dem 12. Jahrhundert gehört vor allem das Westwerk an, allerdings in der durch den Wiederaufbau des 16. Jahrhunderts veränderten Form (Abb. 139). Langhaus und Chor entstammen der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, mit Ausnahme der nördlichen Seitenschiffmauer und Teilen des Südchors (vornehmlich der Apside; heute als Rosenkranzkapelle mit zwei Jochen des südlichen Seitenschiffes ein selbständiger Raumkörper). Ein Vergleich des Westwerkes mit der auf der Abbildung der Handschrift dargestellten Kirche mit dem heutigen Baubestand zeigt eine weitgehende Übereinstimmung der Bauteile. Der abgebildete Portalvorbau kann die bisher offene Frage der ehemaligen Portalanlage klären. Die enge Stellung der beiden Türme hat bisher an einem offenen Zwischenraum mit erst dahinter liegender Vorhalle mit Portal denken lassen. Der dargestellte Portalvorbau, welcher beiderseits die Turmkörper übergreift und sohin vor die eigentliche Fassade vorgezogen erscheint, gewinnt nunmehr die entsprechenden Dimensionen und ist durch ein anscheinend sehr reich ausgestattetes Trichterportal ausgezeichnet. Was die beiden Türme selbst betrifft, so werden diese ziemlich übereinstimmend^ als dem Bau von 1150 angehörend datiert. Donin legt® ausführlich dar, daß die beiden Nachrichten, welche sich auf Baudaten der Türme für das 16. Jahrhundert beziehen, nur scheinbar einen Widerspruch mit dem Baubefund bilden. In der Stiftschronik wird von Propst Johann III. Marquard (1515—1530) berichtet, daß er ,,einen großen Kirchturm gebaut, den anderen aber bloß zur Hälfte". In der gleichen Stiftschronik wird mitgeteilt, daß Leopold II. Hagen (1539—1563) ,,zur Erbauung und Erhöhung des Kloster kirchturmes und einer Lateinisch Schul" 650 Gulden verbraucht habe^. Schon Donin bemerkt®, daß gegen die Auffassung der Chronik, daß es sich um Neubauten handle, der Baubefund des Westwerkes und die Lage des Südturmes, wie dieser vom später erbauten Langhaus umfaßt wird, spricht. Die ganze Erscheinung des Turmes selbst zeigt einen ausgesprochen romanischen Charakter. Der Nordturm hingegen wurde vermutlich nach dem Brande von 1512 in alten Formen wiedererrichtet, allerdings nicht mehr über Dach geführt. Auf diese Bautätigkeit weisen die beiden Jahreszahlen 1520 und 152.3 an der Westfassade der Kirche hin. An der Südseite des Südturmes ist auch noch ein romanisches Fenster erhalten, welches in späterer Zeit zu einem Eingang verlängert wurde (Abb. 141). Dieses ^ Dehio, Handbuch der Österr. Kunstdenkmäler, Niederösterreich, 4. Auflage, S. 297ff.; R. K. Doiiin, Der mittelalterliche Bau des Domes zu St. Pölten, SD aus den Mitteilungen d. Ver. f. Geschichte der Stadt Wien, Band XII, Wien 1932; R. Pühringer, Denkmäler der früh- und hochromanischen Baukunst in Österreich, Abh. d. Akad. d. Wiss., phil. hist. Kl. 70. Bd., 1. Abhandlung, Wien 1931. 2 Donin, a. a. O., S. 6. ^ Donin, a. a, O., S. 7. ^ Donin, a. a. O., S. 7, Fahrngruber, Aus St. Pölten 1885, S. 224. 5 Donin, a. a. O., S. 8. 13 Denkmalpflege

- sJtttänau. ''"»Pvk iü ü fi 9 if J Ii4-II II ii,,ui t ^ iRi m l«s ]|j?-fervi h-LiUl l%\ : ■' I l.;f;ili i:.ij Oben: 139. St. Pölten, Dom, Fassade nach der Restau rierung von 1931 Rechts oben: 140. Pierpont Morgan Library, Responsorium mit Darstellung des Domes in St. Pölten Rechts: 141. St. Pölten, Dom, Südseite nach der Restau rierung von 1931 Fenster ist auf der Zeichnung (Abb. 140) deutlich sichtbar, wenn es auch der Höhe nach unrichtig eingezeichnet ist. Zusammenfassend über die beiden Westtürme schreibt Donin; ,,So können wir mit ziemlicher Sicherheit feststellen, daß das romanische Westwerk um 1150, ähnlich wie in Millstatt, aus zwei mächtigen Türmen bestand, die damals vielleicht beide mit zwei Stockwerken über das Dach gesims sich erhoben, wie der Südturm mit seinem über dasselbe reichenden Quadern ahnen läßt"«. Die vorliegende Zeichnung scheint ebenfalls darzutun, daß die Türme sich zwei Geschoße über das Dachgesims erhoben. Der Nachsatz bei Donin ,,Zwischen den Türmen lag die Portalvorhalle mit dem nicht mehr erhaltenen Westportal' ist durch die aufgefundene Abbildung dahin zu korrigieren, daß es sich um einen mit einem Pultdach versehenen Portalvorbau handelt, mit einem sehr reich gestalteten Trichterportal. Eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen der Zeichnung und dem heutigen Bau bildet auch das an den Südturm anschließende Langhausjoch, welches über die Höhe des Seitenschiffes hinausragt und mit einem Pultdach abgedeckt ist. Dieser Bauteil, zur Westempore gehörig, weist in seiner heutigen und damaligen Erscheinung, soweit die summarische Darstellungsweise der Zeichnung einen dies bezüglichen Schluß zuläßt, die gleichen Architekturdetails auf (vgl. Abb. 140 und 141). Von dem roma- ® ebendort, S. 9f.

nischen Fenster, welches auf der Zeichnung zu sehen ist, ist noch ein Teil des Gewändes bei der Restau rierung von 1931 freigelegt worden. Etwas darunter befindet sich heute das neue barocke Fenster. Das gotische Chörlein im Erdgeschoß ist allerdings nicht mehr vorhanden. An dieser Stelle befindet sich nunmehr ein Rundfenster. Auch beim Langhausbau lassen sich weitgehende Ubereinstimmungen feststellen. So entspricht die Anzahl der Joche auf der Zeichnung denen des heutigen Baues, und die Form der Streben an dem von der Barockisierung wenig berührten Äußeren des Langhauses stimmen in Zahl und Form überein. Der am südlichenSeitenschiffauf der ZeichnungangedeuteteFries ist heute noch an der Apsideerhalten, wie auch die Dienste mit den charakteristischen Kapitellen an dem nicht zum Domplatz hin offenen Teil der Südfront erhalten geblieben sind. Schließlich wäre noch kurz auf die Lage des Klostergebäudes hinzuweisen, welches auf der Zeichnung, wenn auch nur angedeutet, so doch in der Anlage richtig wiedergegeben ist. Wenn man hieraus auch keinen gültigen Schluß ziehen darf, so mag, bei allen übrigen Übereinstimmungen am Kirchenbau selbst, es sich auch hier nicht um eine reine Zufälligkeit handeln. Man muß hierbei auch beachten, daß die bestehenden Bauteile, wenn auch im Kern sicher mittelalterlich, so doch in ihrer heutigen Erscheinung auf den Umbau aus der Mitte des 17. Jahrhunderts zurückgehen. Wenn man nun abschließend alle angestellten Vergleiche zusammenfaßt, darf man wohl mit einer gewissen Berechtigung sagen, daß eine derartige Fülle von Übereinstimmungen sowohl in Groß- und Kleinformen wie auch in der Lage der einzelnen Bauteile zueinander nicht zufällig sein kann. Bei aller gebotenen Vorsicht, welcher man sich bei einem derartigen nur auf ein einziges Beweisstück beschränkten Vergleich befleißigen muß, will es doch scheinen, daß mit diesem wertvollen Fund tatsächlich eine Abbildung des St. Pöltener Domes aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entdeckt wurde. Abbililungsnachweis: Bildarchiv der Österr. Nationalbibliothek: Abb. 139; Pierpont Morgan Library, New \ork: Abb. 140; Bunclesdenkmalaint: Abb. 141. DAS MARIENTYMPANON DER WIENER MINORITENKIRCHE Von Geehabd Schmibt Schon vor mehr als dreißig Jahren hat Hans Tietze die ungünstige Forschungslage beklagt, die der Gewinnung eines klaren Bildes vom ,,Entwicklungsgang der gotischen Skulptur in Wien entgegensteht^. Das Material sei lückenhaft überliefert. Erhaltenes durch Restaurierungen entstellt, und schließlich stünden hier ,,der kulturellen Struktur Wiens entsprechend, . . . sehr verschiedene, fast gegensätzliche Werke nebeneinander". Trotz einiger Einzeluntersuchungen und mancher Versuche einer Zusammen fassung, die seither erschienen sind, hat sich an dieser Lage nur wenig geändert. Um so wertvoller muß uns die Wiedergewinnung eines zwar bescheidenen, durch seine vorzügliche Erhaltung aber verläßlichen Zeugnisses aus dieser Epoche sein; eines Zeugnisses zudem, das sowohl mit einiger Sicherheit datiert, als auch in gewisse stilistische Zusammenhänge eingeordnet werden kann. Als man im Jahre 1908 im zweiten Joch der Nordmauer der Minoritenkirche einen Durchgang in den hier anstoßenden barocken Anbau schuf, wurde ein kleines gotisches Portal mit dem in Frage stehenden Bogenfeldrelief entdeckt^. Eine dicke Schicht von Ubermahmgen ließ zunächst Einzelheiten kaum erkennen, so daß die figürliche Darstellung vielfach falsch interpretiert wurde: Neumann sah in den Stifterfiguren zwei Königinnen, und H. Waschgier® hielt den Vogel in der Hand Mariae für das ^ H. Tietze, Wien (Berühmte Kunststätten 67, 3. Aufl., Leipzig 1928), S. 72f. 2 Vgl. die Notiz von Neumann im Monatsblatt d. Altertums-Vereines zu Wien, IX, 1908—1910, S. 53f. 2 Die Minoritenkirche in Wien, ungedrucktes Referatmanuskript im Kunsthistor. Institut der Univ. Wien, 1917, &. 47f.

m: 142. Wien, Minoritenkirche, Nordportal. Bogenfeld nach der Restaurierung Fragment eines Szepters, den Leuchterfuß in der Hand des rechten Engels für einen Reichsapfel. Waschgier hat jedoch als erster vorgeschlagen, die Stifterfiguren mit Friedrich dem Schönen und Isabella von Aragon zu identifizieren; ferner verdanken wir ihm eine verläßliche Schilderung der Polychromierung. Diese offenbar nachmittelalterliche Bemalung ließ den Grund blau und den Thron braun erscheinen, die Gewänder waren rosa, hellblau oder geblümt, die Kronen vergoldet und die Flügel der Engel dunkelgrün (Abb. 143). Die Unzugänglichkeit des Werkes in einem stets versperrt gehaltenen Nebenraum der Kirche und seine starke Beeinträchtigung durch die Übermalung haben es der Aufmerksamkeit der Forschung bisher entzogen. Nur K. Ginhart hat es besprochen, ohne aber — angesichts des damaligen Zustandes — zu abschließenden Ergebnissen zu gelangeiP. Erst die kürzlich erfolgte Reinigung des Reliefs gab uns Gelegenheit zu einer eingehenden Unter suchung, deren Ergebnisse im folgenden mitgeteilt seien*. * Geschichte der bildenden Kunst in Wien, II: Gotik, herausgegeben von R. K. Donin (Wien 19.55), S. 71 f. und Abb. 46. * Uber die im Auftrag des Bundesdenkraalamtes durch akad. Bildhauer Franz Oelzant durchgeführte Freilegung teilt Landeskomservator Dr. Zykan mit; Es unterlag keinem Zweifel, daß die bisherige Oberflächenwirkung die plastischen Formen verunklarte und nichts mit dem ursprünglichen Erscheinungsbild des Kunstwerkes zu tun hatte. Schwieriger war es freilich den Zeitpunkt der letzten Veränderung zu bestimmen. Die Reste von blauer Farbe im Fond machten einen durchaus neuzeitlichen Eindruck. Ebenso die bräunlichen Klecken an Kronen usw., die sich als eine Präparation recht junger Art für eine Vergoldung zu erkennen gaben. Das Vorhandensein eines relativ starken Kreidegrundes würde auf eine Behandlung in barocker Zeit schließen lassen, doch war die handwerkliche Qualität der Arbeit so gering, die Kreideschichte plump aufgebracht und kaum ,,repariert", die Farbgebung so unsolid vorgenommen, wie dies für die Barockzeit kaum denkbar ist. Da sich auch am Portalgewände plumpeste Kalkubermalungen, Verkittungen in Gips und Beton fanden, ist anzunehmen, daß das Tympanon im Jahre 1908, vielleicht unter

Das aus Sandstein gefertigte, an der Basis 150, in der Scheitelhöhe 126 cm messende Bogenfeld stellt eine thronende Madonna dar, die von zwei Stifterfiguren (König und I^önigin) sowie von zwei Engeln, die ehemals Leuchter trugen, verehrt wird (Abb. 142). Ein dritter, aus dem Bogenscheitel herabstoßender Engel krönt die Madonna, auf deren linkem KInie das bekleidete Kind steht, und deren ^^^81 Rechte einen Vogel hält. Die Figuren sind fast vollplastisch gebildet; p stark abstehende Teile — wie etwa die Hände der Stifterin — L werden mittels stehengelassener Stege im Reliefgrund gesichert. ^ ,5 (Deutlich sichtbar sind die Ansatzstellen jener vier Stege, die zu , den verlorenen Leuchtern der beiden Engel führten.) Da stilistisch . J 'jy ,jl|df^^K^Ms9Qk3 eine zeitliche Einordnung in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts gegeben ist, liegt es nahe, das Stifterpaar mit König Friedrich III. 143. Ausschnitt aus Abb. 142, nach und seiner Gemehlin babelln en identifizieren - kein anderen österreichisches Herrscherpaar dieser Epoche hätte Anspruch auf die königlichen Kronen erheben dürfen. Da zudem Isabella als Stifterin für die Minoritenkirche belegt ist®, wird man aus ikonographischen Gründen die Entstehungs zeit des Reliefs auf die Jahre zwischen 1314 (Vermählung Isabellas mit Friedrich) und 1330 (Tod des Herrscherpaares) einengen können®. Da unser Tympanon somit keinesfalls für seinen heutigen Anbringungsort, die erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts aufgeführte Nordwand der Kirche, bestimmt gewesen sein kann, muß es zunächst anderen Zwecken gedient haben. Donin (a. a. 0., S. 237) deutet an, es habe ursprünglich zur Ausstattung der Ludwigskapelle gehört ; der Wiener Dehio nimmt diese Theorie bereits als bewiesen an'. Tatsächlich spricht der Stil der Plastik für eine Entstehung während der Bauzeit der fraglichen Kapelle, die nach der Kanonisierung des hl. Ludwig von Toulouse (1317) begonnen wurde und im Jahre 1328 weitgehend fertiggestellt war®. Vor allein aber ist die Ludwigskapelle jener Teil des Minoritenklosters gewesen, dessen Förderung der Königin Isabella besonders am Herzen lag und an dessen Errichtung sie so großen Anteil nahm, daß es nahelag, sie als Stifterin an prominenter Stelle zu verewigen. Daß sie hier in Begleitung ihres Gatten auftritt, der seinerseits zu diesem Bau nichts beitrug und auch nicht hier, sondern in der von ihm bevorzugten Karthause Mauerbach begraben werden sollte, hat demgegenüber wenig zu besagen; auch bei praktisch selbständigen Handlungen der Frau wird im Mittelalter stets Wert darauf gelegt, das Einverständnis und die wenigstens moralische Beteiligung des Gatten zu betonen. Die offenbar mehr durch das Schicksal als durch individuelles Verschulden zerrüttete Ehe Isabellas® ließ vielleicht eine solche Demonstration auch unmittelbar nützlich erscheinen. Das Bogenfeld dürfte also tatsächlich den Eingang der Ludwigskapelle geziert haben; seine Entstehung fiele somit Belassung alter Übermalungen, sehr unsachgemäß behandelt worden ist. Auch der Umstand, daß sich unter der neuzeitlichen Präparation für die Vergoldung kein Kreidegrund fand, läßt auf eine rezente Behandlung schließen. Es wa.r demnach klar, daß alles entfernt werden mußte, was den mittelalterlichen Bestand verunklärte. So kommt nun der feine Schnitt des Steines wieder zur Geltung, wenn auch nicht gesagt werden kann, daß damit die ursprüngliche Oberflächenwirkung erzielt werden konnte. Die feinste ,,Glätte", das ist die mittelalterliche Auskittung der Oberfläche und die ursprüngliche Polychromierung, ist eben früh zeitig verlorengegangen. Schwache Reste der ursprünglichen ,,Fassung" zeigen sich anscheinend noch am linken Fuß der Königin. Die Arbeit wurde in vorsichtiger Weise mechanisch vorgenommen. Solventien erwiesen sich nicht nützlich. Am Reliefgrund mußten störende Flecken, welche auf Verwendung von Firnis vor der Aufbringung der Kreide zurückzuführen sein düiften, durch leichtes Überschleifen gemildert werden. Der Vergleich der Lichtbilder vor und nach der Freilegung zeigt, wie sehr das Kunstwerk gewonnen hat (Abb. 143 und 146). .. ■ . td , u \xr- ® Die entsprechenden Angaben am übersichtlichsten bei R. K. Donin, Die Bettelordenskircheii in Osterreich (Baden b. W leii, 193.5), besonders S. 236f. . -i r, ■ , ■ 8 In der Literatur findet sich oft der 11. Mai 1316 als Vermählungstag (vgl. Donin, S. 236). Siehe demgegenüber Zeissberg in Sitz. her. d. phil. bist. Kl. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien, 137, 1898, S. 64, wo das richtige Datum (31. 1. 1314) belegt wird. Im gleichen Jahre (19. 10. 1314) wird Friedrich zum König gewählt. ' Dehio-Handbiich Wien, 3. Aufl., 19.54, S. 35: „Tympanonrelief . . . nach 1328, vom Eingang des Ludwigschores. 8 Die Kapelle wird in dem Testament Isabellas vom 24. 4. 1328 mehrfach erwähnt. Die Königin wünscht, in dieser Kapelle, „die wir gehauen haben", bestattet zu werden. 400 Mark stiftet sie für die Fertigstellung des Baues „an mauern, an fach und an gläsern" weitere 4 Mark jährlich für Ausbesseruiigsarbeiten. Das Testament abgedruckt bei Maurer in M. A. V. 26, 1890, S. 43f., ferner (zit. nach Pez, Thesaur. anecdot. VI, III, 12) bei Lind in M. A. V. 5, 1861, S. 134. Der Wortlaut läßt keineswegs den Schluß zu, das Tympanon sei erst nach 1328 verfertigt worden, da zu dieser Zeit offenbar nur noch an den oberen Teilen der Kapelle gebaut bzw. die Fensterverglasung beschafft wurde. ® Vgl. Zeissberg, a. a. O.

Links: 144. Ausschnitt aus Abb. 142, linke Hälfte des Bogenfeldes Unten: 145. Regensburg, Dom, Verküiidigungsaltar. Gabriel (Detail) 4 in das dritte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts, vielleicht dürfte man sogar — aus den erwähnten Baudaten — auf eine Anfertigung um 1325—1328 schließen. Ikonographisch sind an diesem Tympanon zwei Motive bemerkenswert: einmal die im Mittelpunkt thronende und von Engeln verehrte Madonna, dann aber auch das an dieser Verehrung teilnehmende Stifterpaar. Hinsichtlich der Madonna wird man an den analogen Typus vollplastischer Kultbilder denken müssen, der gerade zu Beginn des 14. Jahrhunderts in unseren Gebieten Eingang fand und dessen bemerkenswertestes erhaltenes Beispiel die um etwa zwanzig Jahre ältere ,,Iilosterneuburger Madonna darstellt. Die Vorstufen dieses Typus in Frankreich und Südwestdeutschland sind bekannt, und auch sein Nachleben in einigen der Chorplastiken von St. Stephan zu Wien wurde schon aus führlich untersucht^". Die Spezifizierung des Typus als ,,Vogelmadonna" entspricht der Tendenz des späten 13. und des frühen 14. Jahrhunderts, die psychologische Beziehung zwischen der Mutter und dem göttlichen Kind durch Einführung eines symbolisch-bedeutungsvollen ,,Spielzeuges" (Apfel, Blume, Vogel) zu motivieren. Das Vogelmotiv als solches weist nach dem Westen, besonders nach Nordfrankreich und England, wo es seit etwa 1300 nachweisbar ist^'^. Ob schon die Klosterneuburger Figur das Vogelmotiv aufgriff, ist nicht mit Sicherheit zu sagen; jedenfalls tritt es uns auf einem Siegel des dortigen Propstes Stephan von Sierndorf (1317—1335) entgegen^^. Wenig später begegnet es uns neuerlich an der sitzenden Mutter Anna im Nordchor von St. Stephan, wobei hier (wie an unserem Bei spiel) die Mutter den Vogel hält, während das Sierndorf-Siegel den flatternden Vogel rechts neben dem stehenden Kind auf der Kante des Thronsitzes zeigte. Vgl. R. Emst, Die Klosterneuburger Madonna (Belvedere 5, 1924/1, S. 97ff., sowie als Sonderdruck, Wien o. J.). die (unpublizierte) Statuette im Musee lapidaire zu Reims, die sehr ähnliche Miniatur im Psalter des Robert de Lisle (Bntish Museum, Arundel Ms. 83; abgebildet bei Millar, La miniature Anglaise du 14® et du 15® siede, Paris-Bruxelles 1928, pl. 10), sowie die Elfenbeinstatuetten Koechlin Nr. 86 und 125 (R. Koechlin, Les ivoires gothiques Frangais, Paris 1924). Sämt liche Beispiele vom Anfang des 14. Jahrhunderts. Abgebildet bei Ernst, a. a. O. Ernst glaubt in dem Siegelbild eine Kopie der Statue erkennen zu dürfen, was angesichts der Häufigkeit von Madonnen-Siegeln und ihrer typologischen Variationsbreite kaum zulässig erscheint. Auch seiner Datierung der Statue in das 2. Jahrzehnt wird man sich kaum mehr anschließen können, seitdem das (nur in Abbildungen erhaltene) Grabmal der Herzogin Bianca (flSGä) als Werk des gleichen Meisters erkannt wurde (vgl. K. Oettinger, Das Wienerische in der bildenden Kunst, Salzburg 1948, S. 43).

# 146. Ausschnitt aus Abb. 142, Engel im Bogensoheitel 147. Regensburg, Domkreuzgang. Grabplatte des Ulrich v. Au (Detail) 148. Regensburg, Dom, Südwand. Hl. Christophorus (Detail) Eigenartiger als dieses zweifellos weitverbreitete und in seiner diskreten Genrehaftigkeit durchaus zeitgemäße Detail ist die Tatsache, daß unsere Madonna von Engeln verehrt und gekrönt wird. Die Entwicklung dieses Tjrpus ging wohl von der byzantinischen Nikopoia aus, die frontal thronend und gelegentlich auch von Engeln angebetet dargestellt wird^^. Die Krönung als solche darf in unserem Falle nicht mit der gleichsam ,,historischen" Auffassung dieses Themas verwechselt werden, welche die Ehrung Mariae durch Christus als End- und Höhepunkt eines Bilderzyklus betrachtet, der sich um die ,,Hinfahrt" der Gottesmutter rankt und der Marientod, Seelenübernahme, Begräbnis und leibliche Himmelfahrt als kausale und chronologische Vorstufen dieser letzten Verherrlichung voraussetzt. Sie erfolgt hier ja durch einen Engel und hat offenbar einen anderen, überzeitlichen und symbolischen Sinn. Bezeichnenderweise wird die Engelskrönung stets einer stehenden oder thronenden Madonna mit Kind zuteil, einer Figur also, die weniger als Abbild der historischen Person Mariae, sondern eher als Vgl. das Elfenbeinrelief (11. Jahrhundert) der Sammlung Stroganoff in Rom (Korevaar-Hesseling, Die Entwicklung des Madonnentj'pus in der bildenden Kunst, Berlin 1938, Abb. 4).

Links; 149. Ausschnitt aus Abb. 142, Mittelteil des Bogenfeldes Unten; ];)0. Kogensburg. Dom. Nordquei-schiff. Madonnenstatue t y ,; ,3' ,^']C HH 'r-' Replik bestimmter Kultbilder der „majestätischen" Gottesmutter erscheint. Gemeinsam mit seinen leuchterhaltenden Gefährten deutet der krönende Engel lediglich die Erhabenheit des betreffenden Bildes und der in ihm repräsentierten Person an. Das Motiv ist seit dem II. Jahrhundert nachzuweisen, bleibt zunächst aber selten. Als ältestes Beispiel führt Künstle^* das Hildesheimer Evangeliar Nr. 18 an, das übrigens auf der gegenüberstehenden Verso-Seite den hl. Bernward mit dem Buch in der Hand zeigt, also eine Dedikationsszene wiedergibt^". Das von Künstle erwähnte Bogenfeld in Pontaubert (Yonne) aus dem 13. Jahrhundert gehört nur lose in diesen Zusammenhang; hier sind — um das Zentral motiv einer ,,Vierge en majestc" — Epiphanie, Himmelfahrt und Krönung mit wenigen Figuren angedeutet^®. In französischen Elfenbeinen der Zeit um 1300 wird dieses Motiv der Engelskrönung jedoch schlagartig populär und findet während des ganzen 14. Jahrhunderts häufig Nachahmung^'. Hier treten zugleich auch des öfteren jene Leuchterengel auf, die ja in der französischen Monumental plastik ebenso belegbar sind. Französische Bogenfeldreliefs mit analoger Thematik sind offenbar seltener; mir ist als nächstverwandtes Beispiel lediglich das Tympanon von Crans (Ain) bekannt geworden, wo eine thronende Madonna von drei Engeln gekrönt und von acht weiteren, die teils knien, teils schweben, angebetet wird^®. In Österreich zeigt ein Siegel der Wiener Schottenabtei^® eine thronende Madonna, über der — ob wohl sie schon eine Krone trägt — ein kronenhaltender Engel erscheint; hier wird auch schon der Stifter (mit Kirchenmodell) in die Verehrungsszene einbezogen. Das formale Arrangement unseres Ikonographie der christlichen Kunst I, S. 570. F. J. Tschan, Saint Bernward of Hildesheim, vol. III (Notre Dame, Indiana, 1952), pl. 57, 58. M. Aubert, La Bourgogne, La sculpture (Paris 1930), vol. II, pl. 79. Die Hand des kronenbringenden Engels scheint über dies ergänzt, so daß es keineswegs sicher ist, daß er auf die Himmelfahrt bezogen war. Er könnte auch als ,,iStern-Enger' zur Epiphanie gehört haben. So Koechlin Nr. 116, 120, 125, 131, 154, 155, 165 etc. Mon. Hist., Neg. Nr. 17793, wohl um 1320—1330 anzusetzen. Später ließ Karl V. ein ähnliches Tympanon über der Türe u ui- . . . puur le rempur ou lamorequiner a une image ae iNotre-.uame, ae cleux anges tenant deux encensoires et de < jouant des instruments et portant les armes de Charles V et de Joanne de Bourbon." Wohl Ende des 13. Jahrhunderts; vgl. P. Kletler, Die Kunst im österreichischen Siegel (Wien 1927), Abb. 81.

Wi 151. Ausschnitt aus Abb. 142, Kopf der Stifterin Tympanonreliefs mit dem senkrecht aus dem Bogenscheitel herabstoßenden Kronenengel und den beiden flankierenden Leuchterengeln aber ist zu offenkundig von französischen Vorbildern in der Art des Tympanon von Crans und vor allem der genannten Elfenbeine inspiriert, als daß hier an eine lokale Entwicklung des Motivs gedacht werden könnte. Die Einbeziehung von Stiftern in derartige Verehrungsszenen lag seit jeher nahe; schon das Bernward-EAmngeliar und das erwähnte Siegel des Wiener Schottenklosters verwirklichten diese Kombination, die zudem noch mit zahlreichen Beispielen der Buchmalerei belegt werden könnte. In den Bogenfeldreliefs von Kirchen- und Klosterbauten hat die Stifterdarstellung ebenfalls eine alte Tradition, wenn auch hier zunächst meist Gott selbst als Objekt der Anbetung und als Empfänger der Stiftung erscheint. Das älteste österreichische Beispiel dieser Art ist uns im Tympanon der Millstätter Stiftskirche mit der Darstellung Abt Heinrichs II. (1166—1177) erhalteiV®. Die unserem Stück zugrunde liegende Vorstellung erscheint demgegenüber komplexer, weil hier nicht nur die tatkräftige Frömmig keit des königlichen Paares bezeugt werden soll, sondern zugleich auch ein gemütvoller Zug persönlicher Andacht zum Ausdruck kommt. So wird etwa ganz darauf verzichtet, die verdienstvolle Tat der Kapellengründung durch Darbringen eines Baumodelles anzudeuten; dafür nimmt das Stifterpaar hier in effigie gleichsam seine Belohnung vorweg, indem es — den Engeln gleichgestellt an der Verehrung der Gottesmutter teilhat. Vor allem aber muß die anekdotische Auffassung des ganzen Vorganges als ein neuer und sehr zeitgemäßer Zug angesprochen werden; Das Vogelattribut und das Umsorgtwerden durch Engel mildern die strenge Erhabenheit der frontal thronenden Madonna und lassen so die räumliche Annäherung der Stifter zugleich auch als eine geistige erscheinen. Das Hauptportalbogenfeld der Dominikanerkirche zu Retz etwa^i, das in manchem als Vorstufe unseres Wiener Beispieles gelten darf, trägt demgegenüber noch eine strengere Auffassung vor; hier ist die Madonna auf einem reich ausgestalteten Thron F. Novotny, Romanische Bauplastik in Österreich (Wien 1930), Abb. 47. Um 1300; vgl. R. Resch, Retzer Heimatbuch, Bd. I {Retz 1936), S. 196, Abb. 56. 14 Denkmalpflege 113

Salomonis gegeben und das Stifterpaar (mit Kirchenmodell) höchst unscheinbar in der rechten unteren Ecke dargestellt. Trotz gemüthafter Züge, die auch hier nicht fehlen (das Lächeln der Tugenden oder die Kostümierung des Christkindes mit einem Dominikanerhabit), bleibt doch die große Distanz fühlbar, welche zwischen den Stiftern und der Gottesmutter liegt. Es ist charakteristisch für die Lösungen des späteren 14. Jahrhunderts, daß sie diese Distanz immer mehr vermindern; zunächst wird im Rahmen andachtsbildartiger Darstellungen eine immer stärkere Annäherung erreicht^^, bis schließlich die anachronistische Einbeziehung der Stifter auch in historische Szenen aus dem Leben Christi, Mariae oder der Heiligen möglich sein wird. Zugleich fällt auf, daß die Stifter aus dem Bogenfeld heraus und auf den Betrachter blicken; ihre Kopfwendung ist entschiedener als die der im Halbprofil gegebenen Engel. Dadurch wird der Eindruck intimer Anbetung, der doch hier im übrigen ganz offenbar angestrebt wurde, wieder bis zu einem gewissen Grade aufgehoben. Dieser Widerspruch erklärt sich aus dem Sinn der Kopfwendung, die eine Beziehung zwischen den Stiftern und den Besuchern ,,ihrer" Kirche herstellt; diese werden gleichsam von jenen empfangen und zugleich zur Nachahmung ihres Beispieles, nämlich zur Anbetung Mariae, aufgefordert. Die Wurzel einer derartigen, dem zentralen ,,Andachts-Motiv" behutsam integrierten Selbstverherrlichung der Stifter liegt zweifellos im erwachenden individuellen und dynastischen Selbst bewußtsein des späten Hochmittelalters. Dieses manifestiert sich zunächst in den vollplastischen Figuren der Gründer und Donatoren, die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts an den Portalgewänden und in der Binnenplastik (Naumburg) gleichberechtigt neben die Heiligen treten, wird aber im 14. Jahrhundert häu fig ™ jener Form ausgedrückt, die — wie unser Beispiel — Repräsentation und Devotion verbindet^®. Die in unserem Bogenfeld vorliegende Lösung verbindet also traditionelle und zukunftweisende Elemente: Die kultbildartige, von Engeln gekrönte Madonna ist aus älteren westlichen Vorstufen abzuleiten und weist zugleich auf jene Tympana des mittleren 14. Jahrhunderts voraus, die ein reines Andachtsbild in den Mittelpunkt stellen werden (vgl. Anm. 22); das Stiftermotiv seinerseits wird zwar in einer sehr modernen, verinnerlichten Form vorgetragen, bewahrt aber doch noch Spuren jener repräsentativen Haltung, die dem monumentalen Stifterportal des 13. Jahrhunderts eigen war. Die verschiedenen französischen Anregungen, auf die wir im einzelnen hingewiesen haben, können in einer Epoche, da die Habsburger besonders enge dynastische Beziehungen zum Westen pflegten, nicht weiter wundernehmen. Hingegen dürfen wir den gemüthaften Gesamtcharakter des Bogenfeldes wohl als spezifisch süddeutsch ansprechen; er entspricht in hohem Maße den ganz ebenso auf zarte Verinnerlichung gerichteten Stiltendenzen, die sich hier im frühen 14. Jahrhundert beobachten lassen. Ausgangspunkt dieser ganzen Richtung scheint zunächst der Oberrhein gewesen zu sein, wo man (in Freiburg und Basel) das betont ,,asketische", den Ausdruck übersteigernde Vorbild der Straßburger Propheten, Tugenden und Jungfrauen nach und nach ins Anheimelnde und Liebliche übersetzt hatte. Das an unserem Relief so fühlbare Nachlassen der plastischen Energie schließlich, das trotz unleugbarer Fülle doch keine räumliche Ausstrahlung mehr zuläßt, sondern nur noch die Ausbildung einer flach profilierten Schauseite anstrebt, läßt sich im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts allenthalben belegen. Allerdings wird man zögern, unser Beispiel einer spezifisch wienerischen Stilentwicklung ein zuordnen. Weder zu der Klosterneuburger Madonna und ihrer Nachfolge^« noch zu der Chorplastik von St. Stephan^® bestehen unmittelbare und überzeugende Beziehungen. Die nächsten Verwandten des " Vgl. den Türstein des Würzburger Bürgerspitals (Mitte des 14. Jahrhunderts), wo eine Gnadenstuhl-Trinität sowohl von den Figuren der Deesis (Maria und Johannes d. T.) als auch von einem Stifterpaar angebetet wird (W. Finder, Die deutsche Plastik des 14. Jahi'hunderts, München 1925, Taf. 4.5), oder die eigenartige Darstellung über dem Friedhofsportal von Maria-Schnee in Prag (um 1360, Abb. bei J. Opitz, Die Plastik in Böhmen zur Zeit der Luxemburger, I, Prag 1936, S. 8). Hier nehmen die Stifter an einer Marienkrönung teil, aus der ein Gnadenstuhl gleichsam herauswächst. Vgl. ferner zwei schlesische Beispiele um 1350: das Tympanon der Breslauer Kreuzkirche (Gnadenstuhl und Stifter) und jenes der Schloßkapelle zu Lüben (Schmerzensmann und Stifter), beide bei A. Grisebach u. a., Die Kunst in Schlesien (Berlin 1927), Abb. 21, 96. So die in Anm. 22 angeführten Beispiele oder das in den Gewänden knieende und die zentrale Pfeilermadonna anbetende Herzogspaar an Sinters Portal der Karthause von Champmol. Daneben lebt freilich auch die stehende Stifterfigur weiter: vgl. die ,,Herzogsportale zu St. Stephan in Wien oder die Statuen Karls V. und seiner Gemahlin im Louvre, die aus dem Hospice des Quinze-Vingts stammen. Zu dieser zählt man namentlich einige Statuen aus Wiener Neustadt (vgl. K. Garzarolli, Mittelalterliche Plastik in Steier mark, Graz 1941, S. 24f., Taf. 12—14). Siehe Österr. Kunsttopogr. Bd. 23 (Wien 1931), S. 235ff., und Ernst/Garger, Die früh-und hochgotischo Plastik des Stephans doms (München o. J.).

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