Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Velesovo in Krain (Abb. 100, 103), für die Pfarrkirche in Melk und schließlich für die alte Ordenskirche in Gornjigrad (Oberburg) in Krain (Abb. 105) ausführte, zeigen nun jene reiche Abwandlung eines Schaffens prozesses, wie er unmittelbar nach diesem Höhepunkt möglich war. Die allzu umfangreiche Tätigkeit in den Jahren um 1773 bringt es mit sich, daß damals schon die ersten Ermüdungserscheinungen auf treten. Bei vorsichtiger Abschätzung der Quantität der Arbeiten kann gesagt werden, daß Martin Johann Schmidt etwa im Jahre 1773 in jedem Monat drei große Bilder zustande brachte. Diese übergroße Frucht barkeit brachte natürlich ein Schwanken in der Qualität der einzelnen Leistungen mit sich. Es ist um so erstaunlicher, wenn die in die Jahre 1771—1773 fallenden Werke für Velesovo zeigen, wie KremserSchmidt mit vollen Registern seine ihm eigene Kunst beherrschte. Es ist vielleicht verfehlt, die einzelnen Motive nach ihrer Herkunft zu verfolgen; dies ist freilich möglich, führt aber jedoch zu keiner Einsicht in den eigentlichen Schaffensprozeß. Wir wissen, daß Martin Johann Schmidt ein Archiv von eigenen und fremden Entwürfen hatte, aus welchen er jederzeit entlehnen konnte. Das Großartige in dem nun beginnenden Alterswerk des Meisters ist der Umstand, daß er Erlebnisse zu reproduzieren, abzuändern und zu bereichern vermochte, die z. T. weit zurücklagen, und daß hiebei die künstlerische Qualität des Werkes noch gesteigert wurde. Freilich, um 1771 sind viele Konzeptionen noch immer relativ jung und neu. Um diese Zeit beginnt in starkem Ausmaß die Einführung genrehafter Szenen in die religiösen Gemälde, wie etwa die Gruppe der Mutter mit dem toten Kind in die Darstellung des hl. Vinzenz Ferrerius (Abb. 100). Es handelt sich hiebei jedoch meist gar nicht um neue Inventionen, sondern um Erlebnis fragmente, die einerseits in den genrehaften Zeichnungen der Jahre um 1750 ihr Material fanden, anderseits sich auf ein wachbleibendes Erlebnis, den frühen Tod seiner vier ersten Kinder, beziehen, das schon in seiner Seiten Stetten er Periode und noch in seinem späten Familienporträt 1791 einen Niederschlag gefunden hat. Das Motiv ,,Mutter mit ihrem toten Kind" kommt in der Entwurfsskizze noch nicht vor, die zeigt, wie Kremser-Schmidt an seiner Komposition gearbeitet hat (Abb. 102). Den rechten Vordergrund beherrscht dort eine Gruppe von Armen; der zu Boden gebeugte männliche Akt ist ein altes Versatzstück, das bereits bei früheren Johannes Nepomuk-Darstellungen vorkommt und auch später oft verwertet wird. Das Vorzeigen des toten Kindes ist ein Motiv, das wohl um 1771 in einem Bild des hl. Johannes Nepomuk für Vac in Ungarn und später in dem Mariahilfbild von Waizenkirchen, Oberösterreich, vorkommt (Abb. 99), dort sich aber bereits in stark veränderter ,,gealteter" Malweise zeigt. Wie sich die Malweise in den Jahren nach 1780 wandelt, ist besonders an einer Ölskizze in München zu sehen, welche die seit 1749 völlig fertige Komposition mit dem hl. Johannes Nepomuk als Wohltäter in der völlig neuen Maltechnik des Alterswerkes zeigt, wobei sich das eben besprochene Versatzstüok des gebeugten Männeraktes im Vordergrunde wieder findet (Abb. 108). Es beginnt in diesen Jahren als Alterserscheinung auch die starke Isolierung der einzelnen Figuren, wie etwa im Hochaltarbild von Velesovo, in der Darstellung der Verkündigung, einer Komposition, die wohl ursprünglich dem Kunstbereich Sebastiano Riccis entnommen war, in ihren vielen Varianten jedoch einem Stimmungsbereich persönlicher Art angehört. Die ekstatische Note des Franziskusbildes aus der Minoritenkirche in Linz findet eine schmerzliche Entsprechung in dem zwei Jahre später entstandenen Bild mit der Steinigung des Stephanus für Velesovo, ein Thema, das den Künstler nahezu bis an sein Lebensende begleitete und in dem Hochaltarblatt der Pfarrkirche in Biberbach mit dem eigenartig verklärten Kopf des Stephanus einen Höhepunkt persön licher Ausdruckskraft fand. Die in sich als Werk geschlossene Serie von sechs Bildern für Velesovo findet ein in der Qualität nicht ganz gleichwertiges Gegenstück in den Bildern für Gornjigrad. Die Entlehnung aus dem eigenen Repertoire von Nachtstücken, in denen eine verdeckte oder sichtbare Lichtquelle die SilhouettenWirkung hervorruft, ist eine Reminiszenz an die früheren Refektorienbilder für das Stift Seitenstetten und an ein Trogersches Vorbild, das dem Künstler unvergessen blieb. Auch ist um diese Zeit schon anzunehmen, daß Martin Johann Schmidt die Werke Joachim Sandrarts in der Stiftskirche in Lambach kannte. Besondere Qualität in dieser Reüie hat die Darstellung der ,,Auferstehung Christi" mit Vordergrundfiguren, die dem Vorlagenbestand des Künstlers entnommen sind (Abb. 105). Die besonders ansprechende Ölskizze zu dieser Komposition befindet sich im Joanneum in Graz (Abb. 104).

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