DIE SCHLUSS-STEINE DER BURGKAPELLE IN WIEN Von Josef Zykan Relativ spät gelang es der Kunstforschung, einen Überblick über die gotische Plastüc und Malerei Wiens zu gewinnen. Es fehlte vor allem an einer gesammelten Vorlage des Materials. Karl Ginbart bat nun in seinem Beitrag zur Geschichte der bildenden Kunst in Wien ,,Die gotische Plastik in Wien" behandelt und eine fast lückenlose Zusammenstellung der vorhandenen Werke gegeben^. Von dieser Bearbeitung konnten allerdings einzelne bauplastische Details, wie etwa Reliefs von Schluß steinen, nicht erfaßt werden. Viele dieser Plastiken sind schwer zugänglich, manche übertüncht, so daß ihre ursprüngliche Schönheit nicht zur Geltung kommt. Die Restaurierung der Burgkapelle hat nun die Möglichkeit gegeben, vier Plastiken dieser Art von hervorragender Qualität zu betrachten, die bisher kaum bekannt gewesen sind. Die Burgkapelle entstand in den Jahren von 1447—1449 und hat später eine Reihe von Verände rungen durchgemacht, welche die heutige Raumwirkung bestimmen^. Die Restaurierung des Innen raumes mußte sich darauf beschränken, die gegenwärtige Erscheinung zu konservieren und zu pflegen, so verlockend es auch gewesen wäre, die ursprüngliche Polychromierung der Steinteile (Rippen in Rot) freizulegen. Lediglich die Baldachine über den Figuren sollten freigelegt werden, da sich hier Vergoldun gen an einzelnen Steinteilen fanden. Es war dies nichts Überraschendes, da ja auch bei gotischen Stein teilen in der Burg von Wr. Neustadt Vergoldungen gefunden worden waren. Die Schlußsteine selbst waren wohl zu Anfang des vorigen Jahrhunderts mit einer Ölbemahmg in steingrauer Farbe versehen worden, eine Bemalung, die dem josephinischen Geschmack entsprach (Abb. 58). Sie sollten bei der Restaurierung wegen der Gesamtwirkung des Raumes auch so belassen werden, bis eine nähere üntersuchung ergab, daß unter einer vielfachen Übermalung eine besonders zarte und qualitätvolle ursprüng liche Polychromierung lag. So wurde unter Anleitung des Restaurators Prof. Oscar Lautischar durch die akad. Bildhauerin Erika Wollmann in mühevoller Arbeit mit dem Skalpell die Fassung der Plastiken freigelegt (vgl. Abb. 58 und 59). Die Schlußsteine zeigen in der Reihenfolge vom Altar zur Orgel in plastischer Ausführung Darstel lungen des Salvators (Abb. 54), der Madonna mit dem Kind (Abb. 56), des Evangelisten Johannes (Abb. 59) und des Erzengels Gabriel (Abb. 61). Die Übermalungen hatten die ungeahnte Feinheit der plastischen und malerischen Arbeit vergröbert. In allen Darstellungen sind Bezüge zu älteren Gestal tungen derselben Themen zu sehen. Ja, es wirken die einzelnen Darstellungen vielfach retrospektiv und sind für die Zeit um 1450, da sich eben der Geschmack Jakob Kaschauers in Wien durchzusetzen begann, geradezu unmodern. Es handelt sich anscheinend um höfische Arbeiten, die bei Zurückbleiben in älteren Formen eine besonders verfeinerte Ausführung zeigen. Manches erinnert noch an das 14. Jahrhundert und an die höfische Art einer längst vergangenen Epoche. Zur Beurteilung der Qualität dieser Plastiken wird es von Wichtigkeit sein, frühere Denkmale dieser Art in Wien zu betrachten, die Bauplastik des Albertinischen Chors in St. Stephan sowie die Schluß steine der Eligiuskapelle®. Etwas härter und abweichend in der Auffassung erscheinen die Schlußsteine in der Augustinerkirche in Wien, die wohl um 1340 anzusetzen sind. Genauer datieren lassen sich die Plastiken der Nikolauskapelle in der Michaeierkirche, deren Art vollkommen mit dem für die Kapelle bekannten Stiftungsdatum von 1350 zusammenstimmt. So steht auch der Schlußstein mit der Darstel lung des hl. Nikolaus in enger Relation zu der Figur desselben Heiligen an der Seitenwand. Die Schluß steine in der Eligiuskapelle der Stephanskirche (Abb. 57) dürfen wu wohl um 1360 ansetzen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Plastiken der Burgkapelle in Wien als außergewöhnliche Werke, die durch die vorhergehende Plastik im Wiener Raum und auch im Räume von Böhmen und ' Karl Ginhart, Die gotische Plastik in Wien. In: Richard Kurt Donin, Geschichte der bildenden Kunst in Wien, II. Band, Gotik, Wien 1955, S. 104. ^ Österreichische Kunsttopographie, Band XIV, Moriz Dreger, Baugeschichte der k. k. Hofburg in Wien, Wien 1914, S. 12fr. ® Österreichische Kunsttopographie, Band XXIII, Hans Tietze, Geschichte und Beschreibung des St. Stephans-Domes in Wien, 1931, S. 213. Denkmalpflege
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