ÖKO-L 1987/4

Das nächste Stadium der Verschmutzung können (bzw. seit der Basler Chemiekatastrophe konnten) wir am Rhein verfolgen: Oberhalb von Mainz dominiert H. contuberna/is ganz gewaltig, und daneben gibt es noch vier Arten, die einzeln gerade noch vorkommen, und unterhalb der Mainmündung wird sogar H. contubernalis schon seltener. Die empfindliche Hydropsyche tobiasi, die nach der Jahrhundertwende im Rhein offenbar häufig war, wie die alten Sammlungen belegen, ist seit 60 Jahren verschollen und höchstwahrscheinlich völlig ausgestorben . holt sich der Bach erstaunlich rasch wieder. So war ein kleiner Quellbach bei Lunz am See nach der Eröffnung eines Fremdenverkehrsbetriebes sehr bald nur mehr ein weithin stinkendes Rinnsal ohne jegliche Insektenbesiedlung. Drei Jahre nachdem dieser Betrieb wegen Unwirtschaftlichkeit geschlossen wurde, waren wieder alle, und zwar auch die empfindlichsten Quell-Köcherfliegen, anzutreffen. So etwas gilt allerdings nicht für a lle Sorten von Schmutz. Öle und andere unangenehme Substanzen können einen Bach auf Dauerdemolieren , und man wird vergeblich auf Tab . I: Lichtfa ll enfang von Potamal-Köcherfliegen an vier verschieden s tark verschmutzten Stellen großer Flüsse. Hydropsyche conlubernalis Alle anderen zusammen lndividien % der lnvididuen % der Individuen Untersuchungsstellen (abgerundet) vom Gesamtanflug Artenzahl vom Gesamtanflug Donau o berhalb von Linz 26:000 Don a u unterhalb von Wien 22.000 Rhein oberhalb von Ma-inz 108.000 Rhein unterha lb der Mainmündung 8.000 Kleinere Flüsse und Bäche sind in vielen Gegenden genauso extrem verschmutzt wie einige große Ströme, und auch in Österreich haben wir eine Menge solcher „Musterbeispiele": die Mur, die Ybbs, die Traun , die Traisen usw. , bezeichnenderweise meistens unterha lb von Papierfabriken . Bei der Mur kommt noch das Abwasser vieler weiterer Industriebetriebe sowie die Stadt Graz dazu , was für diesen kleinen Fluß bei weitem zuviel ist. Selbst vor entrückten Gebirgsregionen macht die Verschmutzung nicht halt. Die Fremdenverkehrsbetriebe auf der Turracherhöhe verwandeln einen kleinen Bach in ein Jaucherinnsal , und vielen schäumenden Tiroler Gebirgsachen geht es nicht besser_. Jedoch ist, im ganzen gesehen, Österreich als überwiegendes Gebirgsland günstig dran . Soviel Abwasser kann man in dünn besiede lten Berggegenden gar nicht produzieren, um alle Bäche zu verschmutzen. Tatsäch lich verfügt unser Land noch über beneidenswert viele saubere und naturbelassene Bäche überall im Gebirge und in Streus iedlungsgebieten. Dazu kommt noch, daß die Folgen einer lokalen organischen Verschmutzung häufig voll reversibel sind. Wenn die Zuleitung von Dünger oder Hausabwässern aufhört, er26 47.3 98,4 > 99.9 > 99.9 27 17 4 3 52.7 1.6 0.03 0.06 eine Wiederzunahme der Artenzahl warten. Selbstreinigungskraft Einige Worte sollen noch der Selbstreinigungskraft von Fließgewässern gewidmet sein. Im Or ient gibt es ein Sprichwort , das besagt, daß Wasser, das über sieben Steine geflossen ist, wieder rein ist. Das ist zwar leicht übertrieben, und auf die Zahl sieben würde ich mich keinesfalls festlegen , und auch die Steine haben damit nichts zu tun. Aber es ist eine Tatsache, daß unzerstörte Bäche und Flüsse erstaunliche Mengen von Abwässern verarbeiten können. Sonst wäre ja die Donau oberhalb von Linz nicht so relativ sauber, nach all dem Schmutz, mit dem sie im bayerischen Raum beladen wird. An einem Bach hat man ausgerechnet, daß er pro Kilometer eine jährliche Reinigungsleistung von einer Viertelmillion Schill ing erbringt , wenn man die Kosten für Bau und Betrieb einer gleichwertigen Kläranlage berücksichtigt. Es muß hervorgehoben werden, daß die Leistung des lebenden Baches ist, daß sie von den Lebewesen (Mikroben, Algen, Kleintieren) erbracht wird, und nicht von den Steinen oder vom Wasser selber, und wäre es noch so gut mit Sauerstoff angereichert (obwohl dieser natürlich eine grundlegende Voraussetzung bildet). Die organischen Stoffe im Abwasser werden von den Bakterien biologisch abgebaut und in einfache chemische Substanzen verwandelt. Aus der Umwandlung beziehen die Mikroben Energie und Stoffe, die zum Aufbau eigener Substanz dienen. Dazu kommen noch anorganische Nährstoffe wie Phosphate und Nitrate , die ebenfalls für den eigenen Stoffwechsel gebraucht werden. Algen sind bei der Aufnahme solcher Stoffe besonders leistungsfähig. Damit allein ist es aber nicht getan , denn die Mikroben und Algen würden sich bald so vermehren, daß sie alles überwuchern würden, so daß Absterben, Fäu lnis und Sauerstoffmangel d ie Folgen wären. Vielmehr setzt an diesem Punkt die Aufgabe der vielen Köcherfliegenund anderen Insektenlarven ein, Algen und Bakterien kurz zu halten. Sie ernähren sich von ihnen, bauen ihre eigene Körpersubstanz auf und tragen so zu einer weiteren Stufe in der Produktionspyramide bei, die letzten Endes bei den räuberischen Fischen endet (wobei aber noch komplizierte weitere Vorgänge, wie das Wachstum räuberischer Insektenlarven usw. dazwischengeschaltet sind). Das Ganze funktioniert natürlich nur, wenn der Bach nicht LiberiaAbb. 12 : Ein kleiner Bach , in dem durch Insektizid-Res te alle Insektenlarven getötet worden wa ren und in dem sich daraufhin die Fadena lgen vorübergehend massenhaft entwickelten , weil niemand da war, der ihren Wuchs durch dauerndes Wegfressen behindert hätte . ÖKO·L 9/4 (1987)

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2