ÖKO-L 1987/4

sie größer und schwerer ist, gegen stärkere Wasserströmung durchsetze n können, und sie wird dann nicht mehr so !eicht abgedriftet (d. h. von der Strömung erfaßt und abgetrieben). Viele Arten kommen nur in der Dunkelheit an die Oberfläche und gehen dann ihrer Nahrungssuche nach , bei anderen ist es umgekehrt. So ist jede Art und damit jedes Individuum in ein verwickeltes Netzwerk von individuellen realen Umweltbeziehungen verwoben, und ein Tier kann sich nur dort halten, wo alle seine Bedingungen in einem bestimmten zeitlich-räumlichen qualitativen Gefüge realjsiert sind. Und diese Kombination von Beziehungsgefügen ist bei jeder Art anders. Arten, die das genau gleiche Beziehungsgefüge haben, würden einander Konkurrenz machen und sich gegenseitig zu verdrängen versuchen. In der Regel wird man daher keine völligen „Konkurrenten" zusammen antreffen , denn sie gehen einander räumlich und zeitlich aus dem Weg. Deshalb ist die Zahl der tatsächlich in einer bestimmten Bachstrecke aufzufindenden Arten nicht beliebig hoch , sondern sie ist irgendwie begrenzt, obwohl von den physikalischen Bedingungen her überall viel mehr Arten leben könnten. Wir treffen also ganz bestimmte Vergesellschaftungen von Arten immer wieder an. Indikatoren Wie können wir bestimmte Arten oder Arten-Vergesellschaftungen für unsere praktische Arbeit als Indikatoren ( = Anzeiger) verwenden? Im günstigsten Fall wissen wir, daß eine bestimmte Art einen einfachen Faktor anzeigt. So zeigt, um ein Beispiel aus einer populären Insektengruppe (weit weg von Bächen!) zu nennen, der Apollofalter das Vorkommen von Fetthenne (Sedum album oder Sedum telephium) an, denn seine Raupe ernährt sich nur von dieser Pflanze und von sonst nichts. Die Raupe des nahverwandten Schwarzen Apollo hingegen zeigt das Vorkommen von Lerchensporn (Coryda!is) in der näheren Umgebung an , da sie nichts anderes frißt. So einfache Fälle sind aber eher Ausnahmen . Gerade bei den Bachtieren sind kaum solche Beispiele zu nennen , weil sie nicht so streng auf bestimmtes Futter spezialisiert sind. Immerhin wäre eine kleine Schlupfwespe ÖKO·L 914 ( 1987) namens Agriotypus armatus zu nennen , deren Larve ausschließlich in Köcherfliegen-Larven der Familien Goeridae und Odontoceridae parasitiert. Sieht man also am Ufer eines Baches einen fliegenden Agriotypus, dann muß es dort Goeriden oder Odontoceriden geben, denn von etwas anderem lebt er nicht. Viele Forscher haben sich bemüht, ähnliche spezifische Beziehungen zwischen bestimmten Arten herauszufinden, aber das Ergebniswarmeistens bescheiden. In einem Fall konnte man herausfinden, daß von mehreren nahverwandten Arten der Köcherfliegen-Gattung Rhyacophi!a, deren Arten räuberisch leben, die eine vorwiegend Kriebelmückenl arven (Simualiidae), die zweite hauptsächlich Eintagsfliegenlarven und eine dritte andere Köcherfliegenla rven frißt , aber eben nur vorwiegend und hauptsächlich und nicht abso lut 1 So nebenbei nahm jede auch andere Beute an , was bedeutet, daß für den Kriebelmückenfresser das Vorkommen vo n Kriebelmücken zwa r wichtig, aber nicht entscheidend ist , denn er kann auch etwas anderes fressen. Zur Trauer jener Forscher, die alles ganz gena u messen und wägen wollen , lassen sich nur ausnahmsweise klare , scharf umschriebene Faktoren hera usschä len, für die eine Art a ls Indikator steht. Meistens geht es aber um ein Mehr-oder-Weniger mit ve rschwommenen Grenzen. Ganz zu schwe igen davon, daß wir die Lebensansprüche der weitaus mei sten Ar ten im Detail überhaupt noch nicht kennen. Dennoch si nd wir berechtigt, von Indikatoren zu sprechen. Von der Überlegung ausgehend , daß eine Art nur dort vorkommt, wo sie leben kann , schließen wir , daß der Nachweis eines Exemplares einer bestimmten Art an einem Bach beweist , daß ihre Lebensbedingungen dort erfüllt sind , auch wenn wir diese im einzelnen nicht kennen . In noch viel höherem Ausmaß trifft das a uf die typischen Vergesellschaftungen zu. Es ist ja nicht so, daß a lle in der Umgebung vorkommenden Köcherfli egenarten beliebig durcheinander vorkämen , sondern man kann 20 bis 30 Arten (von insgesamt vielleicht 80), die man an einer Stelle vergesell schaftet findet , immer wieder in der gleichen Kombination finden. Der Nachweis einer Liste von etwa 10 bis 15 Arten an einer Probestelle bedeutet in der Praxis, daß die betreffende Vergesellschaftung (die natürlich mehr als 15 Arte n umfaßt, die man aber bei Stichproben nicht immer alle findet) zusammen mit ihren bestimmten Umweltbedingungen realisiert ist. Und das auch dann, wenn wir über diese Bedingungen im Detail nichts wissen. Störungen durch Abwässer Wir haben hier bisher gewissermaßen ideale, ungestörte Bäche vorausgese tzt. Meist ge ht es aber in der Praxis nicht darum, einen unges tö rten Bach herauszu find en (obwohl das in manchen Ländern heutzutage schon schwierig ist) , sondern um den Nachweis der Auswirkungen einer konkreten Störung, zum Beispiel der Einleitung von Abwässern; oder ob Sanierungsmaßnahmen eine Besserung gebracht haben. In ihren Grundzügen sind diese Auswirkungen seit langem bekannt, im Detail weiß man aber bemerkenswert wenig. Bei einer Belastung eines sehr sauberen Baches mit einer geringen Menge (organischer) Abwässer wird man zunächst merken , daß die vorhandene Artenzahl ziemlich unverändert hoch bleibt, die lndividuenzahl aber steigt. Das liegt dara n, daß mehr „Nahrung" in Form von organischer Substanz zugeführt wird. Bei weiter zunehmender Menge organischer Verunreinigung bleibt die Zahl der Individuen noch hoch , aber die Artenzahl geht allmählich zurück, denn die empfindlicheren Arten verschwinden schrittweise. Bei noch stärkerer Verschmutzung bleiben nur mehr wenige Arten übrig, von denen einzelne sogar noch zunehmen können, bis schließlich auch diese überfordert werden und verschwinden. Auf diesen Tatsachen beruht die bekannte Saprobitätsskala mit ihren Gewässer-Güteklassen I (beste) bis JV . (schlechteste Qualität) , die überall in die Praxis der Gewässerbeurteilung Eingang gefunden haben. So wissen wir aus Erfahrung, daß in den großen mitteleuropäischen Strömen wie Donau oder Rhein zirka 20 bis 30 Köcherfliegenarten vorkommen, unter denen bei geringer Verschmutzung (z. B. oberhalb von Linz) einige nur wenig über die anderen dominieren (d. h. die anderen mengenmäßig übertreffen) . Unterhalb von Wien sieht es dann schon anders aus ; es sind zwa r fast alle Arten noch vorhanden, aber Hy dropsyche contubernalis tritt mengenmäßig schon sehr hervor. 25

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