ÖKO-L 1987/4

Tiere die ganze Länge eines Fließgewässers, also etwa von einer Quelle im Mühlviertel bis zur Donaumündung ins Schwarze Meer, bewohnen , sondern daß im Normalfall eine Tierart nur eine für sie typische Strecke bewohnt, die im unteren Strombereich Hunderte Kilometer, im Bereich eines kleinen Baches hundert Meter, im unmittelbaren Quellbereich ein paar Zentimeter lang sein kann. Jede dieser Zonen beherbergt eine Vergesellschaftung von ganz bestimmten Tierarten, und ihre Abgrenzung zu den anderen Zonen ist ziemlich abrupt: das kann jeder an der Mündung eines kleinen Bächleins in einen größeren Bach recht deutlich beobachten. Die Besiedlung innerhalb einer Zone ist aber trotzdem bei weitem nicht einheitlich. Gerade im Bereich von Gebirgsbächen erweist sich schon auf den ersten Blick eine sehr abwechslungsreiche Struktur (siehe Abb. 8). Man sieht unmittelbar ein, daß die Lebensbedingungen für die Organismen ebenso vielfältig sein müssen wie die psysikalischen Strukturen. Und damit nicht genug: Im Millimeterbereich gibt es außerdem noch Unterschiede in den Kleinststrukturen und der Besiedlung auf kleinstem Raum, beispielsweise zwischen der Vorder- und der Hinterseite eines kleinen Steines. Die Stabilität dieser Gebilde ist höchst unterschiedlich . Die Zonen sind praktisch unveränderlich . Kein noch so arges Hochwasser verändert sie, höchstens großräumige Erdrutsche, Vulkanausbrüche und dergleichen können eine Änderung bewirken. Auch die kurzen Strecken im Meterbereich innerhalb der Zone, so heterogen sie auch sein mögen und so sehr sie sich von einem Hochwasser zum nächsten in ihrem Aussehen ändern mögen, sind im Vergleich über mehrere Jahre hin erstaunlich konstant. Die Kleinstrukturen im Bereich von Zentimetern und Millimetern sind hingegen sehr unstabil und ändern sich und ihre Besiedlung praktisch dauernd. Reichtum der Besiedlung Der Laie denkt, wenn von Tieren im Bach die Rede ist, an Fische. Die sind zwar wirtschaftlich wichtig und populär, aber in den F ließgewässern stehen sie in der biologischen Rangordnung ganz oben oder hinten, wie man will; ganz weit weg von der „Basis" des Pflanzenfutters und der Insektenlarven. Die Zahl der Fischar ten in den Bächen ist im Vergleich zu den Kleintieren verschwindend gering. In reich besiedelten größeren Bächen und kleinen Flüssen des Tieflandes kann man vielleicht 15 Fischarten finden, im Gebirge sind es häufig nur eine oder zwei oder gar keine. Im Vergleich dazu kann man auf einer Strecke von wenigen Metern eines normalen Baches mit 200 bis 300 Kleintierarten rechnen, davon 20 bis 30 Köcherfliegen, je 10 bis 15 Eintagsfliegen (Ephemeroptera) und Steinfliegen (Plecoptera), der Rest überwiegend Mücken und Fliegen (Diptera). Aber es sind in manchen Bächen achthundert Arten nachgewiesen worden! Noch viel bedeutender ist die Individuenzahl. In einem ,,normalen" Bach findet man größenordnungsmäßig 100.000 Tiere pro Quadratmeter, aber es können noch viel mehr sein. Auf überschaubaren Bachstrecken von ein paar hundert Metern leben also Tiere in der Größenordnung von Milliarden! Solche Zahlen machen zwar auf die geplagten Steuerzahler heute keinen großen Eindruck mehr, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß eine Milliarde eine sehr große Zahl ist. Wenn sich einer die Mühe machen wollte, von eins bis zu einer Milliarde zu zählen, würde er ungefähr 200 Jahre brauchen. Vergesellschaftungen Die vielen Arten der Kleintiere haben im einzelnen höchst unterschiedliche Ansprüche an ihre Umwelt, und daher suchen sie sich zum Aufenthalt die Plätze aus , die ihnen zusagen. Damit ist aber nicht gesagt, daß das immer ein und derselbe Platz sein muß. Im Verlauf der Entwicklung wächst die Larve und ändert dabei oft z. B. ihre Freßgewohnheiten ; zumindest kann sie mit zunehmender Größe auch größere Futterteilchen bzw. größere Beutetiere bewältigen. Sie wird sich auch, wenn Abb. 10: Verschiedene Arten von Köcherfliegen suchen zur Verpuppung Stellen mit verschiedener Strömung au~. In der rela tiv stärksten Strömung konzentrieren sich die Larven von O/igoplectrum maculatum mit den langen, spitzen Köchern ; die rundlichen Köcher von G/ossosoma conformis bevorzugen e twas ruhigere Stellen, und ganz geschützt verpuppen sich die Larven einer Limnephilide mit den stumpf-zylindrischen Köchern. Abb. 11 : Die Verwendung von Emergenzfallen verschiedener Konstruktion ha t in den letzten Jahren zu einer ve rtieften Kenntnis des Insektenreichtums der Bäche geführt. Unter Emergenz versteht man die Gesamtheit der aus einer bestimmten Fläche Bachbodens schlüpfenden adulten Insekten . Die Methode hat zwei große Vorteile: sie ist zerstörungsfrei , d. h . durch die Probenahme werden die Bodenstrukturen nicht zerstö rt und die mit ihr erbeuteten Adulten kann man leicht bestimmen. Die mei sten Larven von Wasse rinsekten sind ja leider nach wie vor unbestimmbar. Die in den Fallen gefangenen Insek ten werden regelmäßig abgesammelt. Foto-Nachweis: Fotos 2, 3, 4, 5, 6 von James C. Hodge s jr. , 13 und 15 von Hubert Bruckner, die restlichen vom Verfasser. 24 ÖKO·L 914 (1987)

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