Neue Revue vom 26. April 1956

32 Seifenblasen, die nie vergehen • • • Üas ist das Herrliche an der Photo– graphie, und dieses Photo beweist es: Wie sehr du auch versuchst, dich zu entfalten: Vergänglich ist dein Streben, alles Glück. Allein, was du im Photo festgehalten, Das bleibt von deinem Leben dir zurück. Ubrigens: Photographieren ist leicht und gar nicht teuer. Sprechen Sie ein– mal mit Ihrem Photohändler darüber, bei dem Sie jede moderne Kamera mit einer kleinen Anzahlung erhalten. Es stimmt schon, wenn man sagt: Ihr Photohändler hält eine große Anzahl interessanter Prospek– te kostenlos /rir Siebe– reit und berät Sie un- 11erbindlidi bei der Auswahl ·einer geeig– neten Kamera. FAll CHESNEY. Fortsetzung von Se.ite 17 Gerda beobachtete diese Veränderung an ihm mit ungläubigem Staunen u?d leisem Unbehagen, und sie wollte sich vom Fenster abwenden, als sie eine Frau bemerkte, die auf die Baracke zu. schritt. Sie war groß, schlank und trug ein dunkles Schneiderkostüm. Ihre lan– gen, makellosen Beine steckten in prachtvollen SeideJ?,str~mpfen, an de!l Füßen prunkten zierliche Schuhe mit hohen Hacken, mit so dünnen hohen Hacken, wie Gerda sie noch niemals ge– sehen hatte. Mit kleinen, schnellen Schritten ging die Frau auf Chesney zu. Sie lachte ihn von weitem an, und er lachte zurück. Er war schon wieder verwandelt, sein Ge– sicht hatte den alten fröhlichen und ge– winnenden Ausdruck angenommen. Nun standen sie sich gegenüber, und Gerda sah daß die Frau blond war. Unter dem flotten schwarzen Hütchen quoll ein hell– blondes Gewoge hervor. Gerda sah auch, daß die Frau schön und überaus ge– pflegt war. Sie hob das Gesicht zu Ches– ney auf, die Lippen ein wenig g~öffnet. Die Lippen, der Mund boten sich an. Chesney nickte, lachte, hakte die Fr~u ein, und sie gingen vor der Baracke hin und her, fröhlich und verliebt scherzend. Gerda verfolgte das P_aar mit den Augen und fragte schließlidJ. Barbara: ;,Bitte, i-st das seine Frau?" Barbara hantierte am Tisch und sah kurz auf. .Ach, ist die große Blonde da? Seine Frau? Nein, die ist in London. Das ist Sascha, jedenfalls nennt er sie so." •Seine... seine Geliebte?" fragte Gerda zögernd. .Natürlich.• •Wohnt sie hier?" .Nein, in Hamburg. Da haust sie in seiner Wohnung.• .Ich denke, er wohnt hier?" .Er wohnt audJ. in Hamburg. Da hal er auch so'n Nest.• •Woanders audl noch?" fragte Gerda, die scharf aufgepaßt hatte. .Glaub's schon•, seufzte Barbara mit leiser Ungeduld.• In Paris, Berlin, Brüs– sel Lüttich in Tanger und Algier; er hat überall' seinen Unterschlupf.• .Und? Und?" •Was und?" .Auch da - Frauen?• fragte Gerda leise. Barbara ladJ.te wütend auf. •Mit Si- cherheit." .Aber, was sagt Sascha dazu?" .Lieber Gott - wozu?" Wenn sie erfährt, daß er noch wo– anders Frauen hat - was sagt sie dazu?" Barbara starrte Gerda an, ob sie richtig gehört habe. Dann husdJ.te ein flüchtiges Lächeln über ihr Gesicht. Wie jung und wie unerfahren ihre kleine Schwester noch war, wie naiv! Was hatte sie denn in ihrem kleinen Leben auch schon er– lebt? Als der Krieg ausbradJ., war sie ein Schulmädel gewesen. Die Kriegsjahre brachten Entbehrungen und wachsende Nöte, jede ungezwungene, heitere Fröh– lichkeit und jede Unbekümmertheit, das, was Kindheit und Jugend vergoldete, . versank hinter der Verdunkelung der Städte. Mit der Russenbesetzung war das erträgliche Maß des Hungers und der seelisdJ.en und 1eiblichen Not überschrit– ten. Gerda war geflohen. Aber mit wel– chen Gedanken, Hoffnungen war sie ge– kommen? Glaubte sie, daß es das in die– ser Zone nicht auch gab, daß Rechtsan– wälte, Richter, Ärzte schoben , um ihre Familie vor dem Verhungern zu retten, und daß ehemals würdige Herren sich nadJ. Kippen bückten? Daß Frauen käuf– lich waren wie noch nie zuvor? Barbara forschte angestrengt in Gerdas Gesicht. Es war ihr bekannt und vertraut, aber sie entdeckte auch Züge darin, die neu waren, Züge von .Härte, EntsdJ.los– senheit von frühreifem Wissen, von Argwohn und scheuer Verschla~enheit. Sie war halb Kind und halb wissende, reife Frau, und alles Neue, Ungewohnte und Unbekannt e„ dem sie hier ohne Ubergang gegenübertrat, mußte m~t der Gewalt eines Sturzbaches auf sie meder– stürzen. Es mußte sie verwirren, betäu– ben, raUos mach en. Ein unendlich zärt- liches, mütterliches Gefühl für ihre junge SdJ.wester ergriff Barbara. Sie woll~e Gerda in ihren Schutz nehmen und fur sie sorgen wie eine Mutter. Sie trat wieder an den Tisch, um fort– zufahren, ihn zu decken, und Gerda ver– ließ ihren Platz am Fenster. Sie blickte an sich nieder und.verglich sich mit jener eleganten und gepflegten Sascha. Was sie am Leibe hatte, war ein billiges und altmodisdJ. geschneidertes Kleidchen, sie trug gestopfte Baumwollstrümpfe, und ihre SdJ.uhe waren wie grobe Klötze. Ihre Haare waren strähnig, und ihre Frisur war keine Frisur. Als es in ihrem Rücken· still blieb, als habe Gerda heimlich das Zimmer ver– lassen, sah Barbara auf. Gerda stand mit hängenden Armen, zwei große Tränen rollten über ihre Backen. •Was ist? Was hast du?" fragte Bar– bara erschreckt. Gerda murmelte: .Es ist hier alles so anders.• .Darüber reden wir noch.• Gerda murmelte: . Und wie sehe ich aus?" .NatürlidJ., so kannst du hier nicht rumlaufen. Aber das kriegen wir schon, laß mich nur machen.• .Hast du denn etwas anzuziehen für mich?" fragte Gerda im Tone tiefsten Unglaubens. .Natürl.ich. Laß mich nur machen. Jetzt essen wir ein bißchen, dann wäschst du dich - ein Bad habe ich nicht, auch dein Haar mußt du wasdJ.en, versteht sich, und dann sdJ.läfst du dich richtig aus. Morgen sehen wir weiter.• Der Schatten eines Toten Sie aßen. Dann wusch Gerda sich von oben bis unten, daß das ganze Zimmer schwamm, dann bekam sie ein hübsches Nachthemd von Barbara, und dann lag sie im Bett, di.e Augen sinnend zur Decke aufgeschlagen. Sie war müde, aber ihre innere Erregung war noch stärker als das Schlafbedürfnis. Der tote Russe trat ihr vor die Seele, sie war wieder an der Grenze, im Dschungel, im Niemandsland, und sie beg.riff nidJ.t, daß sie allen Ge– fahren entronnen war - jetzt, da sie ge– borgen war, begriff sie es nicht mehr. Aber sie war dankbar und fromm erzo– gen und dankte Gott aus ehrlichem Her– zen für die Rettung. Die Gedanken, die sie beim Abschied von den Bauersleuten gehabt hatte, kamen wieder : das Dunkle und Wüste lag hinter ihr, das Gute und Helle lag vor ihr. Sie schloß die Augen. Hinter ihre ge– sdJ.lossenen Lider trat - Chesney. Es wurde ihr bewußt, daß er von allen neuen und verwirrenden Eindrücken den stärksten auf sie ausgeübt hatte. In sei– ner ganzen Art ersdJ.ien er ihr wie die Verlförperung des Neuen, Unbekannten und Ungewissen. Sie sah Sascha neben ihm und grub die Zähne in die Unter– lippe, ihre Hände kreisten unruhig auf der Decke. Sie öffnete die Augen wieder. Barbara hantierte mit Wäsche, und Gerda fragte : •Was also werden wir morgen tun?" Barbara blickte kurz auf. ..Schläfst du noch nidJ.t? Ich werde ver– suchen. daß du Aufenthalt im Lager be– kommst. • Wer entscheidet darüber?" : chesney ", sagte Barbara durch die Zähne.•Das ist es ja. Es ist kein leichter Weg für mich." . Ist er so unzugänglich? Danach sieht er nicht aus.• . Hm•, machte Barbara, .hm, hm. .. • Nach einer Weile begann Gerda wieder: •WirklidJ., er sieht aus, als hätte e r viel hinter sich.• Barbara lachte auf, kurz und trocken. . Das kann man wohl sage n, me in Kind ." Was hat er denn bis jetzt gemadJ.t?" : All erlei. Allerlei, kanns t du glauben . Jm Krieg ha t er sich durch Husarenstücke ausgezeichnet, in ~er Hau pts~che ~n Afrika , wie ich weiß. Das pfeifen die Spatzen vom Dach, dafür sor gt er.•

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