Neue Revue vom 26. April 1956

28 Der Mediziner in REVUE ,,Nehmen Sie eine Niere Ein Zwilling rettete seinemBruder das leben /Zum erstenmal in der Geschichte der Medizin ist eine Nierenüberpflanzung geglückt/ Opfer einerMutter • II von mir... VON DR. ERNST H. G. LUTZ, M0NCHEN ~. A ls der vierundzwanzigjährige Walter S. in die Klinik aufgenommen wurde, konnte er dem jungen Arzt, der seine Krankengeschichte aufschreiben sollte, nicht viel erzählen. Nein, er hatte keine besonderen Krankheiten gehabt, weder als Kind noch als Erwachsener. Masern und Keuchhusten, soviel er wußte, und mit fünf oder sechs Jahren Scharlach. Nein, soweit er von der Mutter wußte, sei der Scharlach ohne besondere Zwi– schenfälle ausgeheilt. Auch jetzt fühle er sich keineswegs schlecht, und er ver– stehe nicht so recht, warum der Arzt darauf gedrungen hatte, ihn in klini– sche Behandlung zu schicken. Der große, gesund aussehende junge Mann beantwortete die Fragen des Arz– tes unbefongen. Seine blauen Augen blickten den Doktor, der nur wenige Jahre älter war als er selbst, unver– wandt an, und zuweilen leuchtete in ihnen ein Lächeln auf. Das Ganze kam ihm ein wenig komisch vor. Er war völ– lig gesund und verstand nicht, warum man soviel Aufhebens machte. •Und welches sind Ihre Beschwer– den?" fragte der Arzt und blickte von dem Notizbuch auf, in das er die letzten Angaben des Patienten eingetragen hatte. . Ich habe keine Beschwerden", ant– wortete der Patient ein wenig ungedul– dig, .ich fühle mich wohl, und das biß– chen Nasenbluten ...• .Aber Ihr Arzt hat Sie bei uns ein– gewiesen - warum das?" fragte der Arzt geduldig. •Ich kam zu ihm, weil ich öfters Na– senbluten habe, das aber immer nach einer Viertelstunde oder so wieder auf– hört. Dr. Benders maß mir den Blutdruck und sagte, er sei zu hoch, und außer– dem untersuchte e.r den Urin ...• Der Arzt notierte und sah wieder auf, als der Kranke nicht weitersprach.•Ja, und was weiter?• fragte er, den ande– ren zum Fortfahren ermunternd. •Er wollte wissen, ob ich etwas be– merkt hätte, vielleicht geschwollene Augenlider in der Früh. Und da fiel mir · ein, daß ich das gesehen hatte. Wenn ich aufstand und mich rasierte, sah ich im Spiegel, daß meine Augenlider etwas geschwollen waren. Abe.r das verging dann schnell wieder . . . Ich habe ge– dacht", setzte er nach einer Pause noch hinzu und grinste, .daß das daher kommt, daß ich am Abend vorher einen gehoben hatte.• Der Arzt nickte verständnisinnig und erhob sich. •Bleiben Sie ein paar Tage bei uns•, sagte er abschließend, •wir werden Sie untersuchen und behandeln, wenn es nötig ist.• .Aber mir fehlt doch nichts weiter", drang der Kranke in ihn, .ich kann doch nicht hiersitzen und meine Zeit verlie– ren.• . Etwas Geduld müssen Sie schon auf– bringen•, beruhigte ihn der Arzt, .zu unserem Vergnügen behalten wir Sie sicher nicht da. Wollen wir hoffen, daß die kleinen Unregelmäßigkeiten, über die Sie nicht einmal klagen, bedeutungs– los sind. Aber es kann schon etwas Ernsthaftes dahinterstecken, und wir dürfen nicht riskieren, es zu über– sehen ... • Die Untersuchung brachte nichts Be– merkenswertes an den Tag, außer daß der Blutdruck für einen jungen Mann reichlich hoch war. Der Appar.i.t stieg bei jeder Messung auf 170 für den oberen Wert und zeigte für den unteren, den diastolischen Wert, 100 Millimeter Queck– silbersäule. Im Harn fand sich etwas Ei– weiß, etwas Blut, was beides nicht hin– eingehörte, aber auch nicht unbedingt als bedenklich bezeichnet wei;den konnte. Herz, Lunge und die übrigen Organe wie– sen keinerlei Krankhei:tszeichen auf. Der Patient erhielt außer der bei Nierenent– zündungen üblichen Behandlung und Diät mehrere Bluttransfusionen und wurde als .gebessert• entlassen. Fünf Monate später erschien er wie– der im Krankenhaus. Diesmal sah er blaß und krank aus. Der Blutdruck schwankte zwischen 160 und 220. Bei der Augenuntersuchung waren die Adern im Augenhintergrund verändert, was kein günstiges Zeichen war. Er verließ die Klinik nach drei Ta– gen mit der Aufforderung, die einge– schlagene Behandlung fortzusetzen. .Den sehen wir bald wieder", sagte eine Schwester zu einer anderen, nach– dem sie 'sich von ihm verabschiedet hat– ten. Und sie fügte hinzu : .Eigentlich schade um den netten Kerl.• Die Schwester hatte nicht falsch pro– . phezeit. Nach weiteren sechs Wochen er– schien Walter wieder in der Klinik. Er klagte jetzt über Ubelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen im ganzen Körper. Der Blutdruck war hoch, die anderen Befunde aus dem Laborato– .rium alles andere als ermutigend. Drei Tage, nachdem er wiederaufgenommen worden war, erlitt er einen schweren Krampfanfall und wurde in der Folge zunehmend benommen, wußte nicht mehr, wo er war, und hatte öfters Krämpfe, die den ganzen Körper ergrif– fen. Sein Schicksal schien besiegelt zu sein. Er litt an Schrumpfnieren, der Folge einer nicht ausgeheilten Nieren– entzündung. In diesen Tagen erschien beim behan– delnden Arzt ein junger Mann. Er stellte sich als Bruder Walters, Bernd S., vor und wollte mit dem Arzt über den be– sorgniserregenden Zustand seines Bru– ders sprechen. Das Bild, das ihm der Arzt entwarf, war düster. Es wurden ihm kei– nerlei Hoffnungen gemacht. Als er sich verabschieden wollte, sagte der Arzt nebenbei: .Sie sehen Ihrem Bruder ja recht ähnlich, ich habe Sie gleich er– kannt ...• Der junge Mann lächelte trau– rig: .Walter und ich sind Zwillinge. Bis vor kurzem konnte niemand uns unter– scheiden ..., aber jetzt ...• Er stockte und -blickte erstaunt auf den Arzt, der von seinem Stuhl aufgesprun– gen war und freudig erregt rief: .Zwil– linge sind Sie? Mann, warum haben Sie DIE WELT IDELT DEN ATEM AN, als dem 16Jlhrlge.n franz6slsdlen Lehrling Marius Renard (redlts) In einer aufsehenerregenden OperaUon eine Niere seiller Mut– ter Obertragen worden war (Bild oben: Prau Renard mit ihrem zweiten K'ind Christian). Aber der Opfer– mut der Mutter war vergebens. Nada einem 33tlgl– gen erbitterten Kampf mit dem Tod starb der Junge.

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