Die Stadt Steyr, Nachkriegszeit – Besatzung – Wiederaufbau 1945 - 1955

54 Deserteure und Denunzianten In diesem Durcheinander der letzten Kriegswochen gelang es auch Soldaten immer wieder aus ihren Wehrmachtsverbänden zu desertieren, was aber ein hochriskantes Unterfangen darstellte. Wurden sie gefasst, was immer wieder vorkam, dann war das das sichere Todesurteil für sie: Viele wurden verraten, aufgegriffen und auch noch in den letzten Kriegstagen hingerichtet. Seit dem 30. März 1945 galt in Oberösterreich das Standrecht, das bedeutete, dass Menschen ohne ordentliches Gerichtsverfahren sofort hingerichtet werden konnten. Ein ganz besonders berührendes Beispiel betraf einen jungen Steyrer, der als Ober-Gefreiter in Mönchdorf bei Freistadt eingesetzt war. Er telefonierte am 24. April 1945 mit seinen besorgten Eltern, die in einer kleinen Wohnung auf der Ennsleite lebten und erwähnte dabei, dass er davon ausgehe, demnächst heimzukommen, weil „sowieso bald Schluss sei“, wie er sich ausdrückte. Die Telefonistin Marianne Meindl hörte das Gespräch mit und zeigte den Zwanzigjährigen an: Zwei Tage darauf wurde Johann Schinnerl hingerichtet. Die betroffenen Eltern haben folgenden Text auf der Trauerparte veröffentlicht59: „Tiefbetrübt geben wir hiermit die traurige Nachricht des Todes unseres unvergesslichen Sohnes Ober-Gefreiten Johann Schinnerl. Unser lieber unvergesslicher Sohn wurde am 26. April 1945 auf Grund verdrehter Angaben einer Postangestellten aus Mönchdorf, Krs. Freistadt, eines fanatischen Naziweibes, wegen angeblicher Zerstörung der Wehrmacht vor das Standgericht gestellt, zum Tode verurteilt und zwei Stunden nach der Urteilsverkündung um 17 Uhr, auf dem Schießplatz Walchshof bei Freistadt, erschossen. Zwanzig Jahre hat ihn uns der Herrgott geschenkt. Er war unser Stolz, unsere Hoffnung und unsere größte Freude. In der Blüte der Jahre hat ihn uns der Herr über Leben und Tod genommen. [….] Rosa und Isidor Schinnerl, Eltern Rosi Haslinger, Schwester“ Diese sinnlose Denunziation riss einen jungen Menschen aus seinem Leben, stürzte eine Familie in tiefe Trauer. Er stammte aus einer Arbeiterfamilie, die auf der Ennsleite lebte. Die Tat hatte allerdings für die Postbeamtin Folgen: Marianne Meindl wurde angeklagt und am 29. September 1946 zu zwölf Jahren schweren Kerker verurteilt. 59 Angerer, Christian, Maria Ecker: Nationalsozialismus in Oberösterreich. Opfer – Täter – Gegner. Erinnern.at, Band 6. Innsbruck 2014. S. 173 f.

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