Die Stadt Steyr, Nachkriegszeit – Besatzung – Wiederaufbau 1945 - 1955

44 Die Abscheulichkeiten des unmenschlichen Regimes waren in den Dörfern und Städten des „Gaus Oberdonau“ angekommen: und ein Teil der Bevölkerung beteiligte sich aus Fanatismus und Kadavergehorsam daran. „Das ist mit ein Grund für den dichten Mantel des Schweigens“, stellt Ines Bernt-Koppensteiner fest, „der seit Jahrzehnten über die schrecklichen Vorkommnisse, genannt ‚Endphasenverbrechen‘, gebreitet ist“.50 Auch der Steyrer Bevölkerung zeigte sich das NS-Schreckensbild zum ersten Mal in ihrer unmittelbaren Umgebung. Hatten auch sie sich bisher von der Parteipropaganda „umgarnen“ lassen, so erlebten viele von ihnen das Sterben und Morden mit eigenen Augen – und viele der Protagonisten kannten sie persönlich. Die meisten Bewohner von Steyr, auch die eingefleischtesten Nationalsozialisten, konnten nicht mehr wegschauen und wurden von Entsetzen gepackt, als sie wandelnden Leichenzüge durch die Stadt taumeln sahen. Ausgedrückt hat das eine „linientreue“ Frau ihrem Sohn gegenüber, als sie ihm ihre Sorge über die Zukunft ausdrückte: „Gnade uns, wenn das alles über uns kommt“.51 Dieser Gedenkstein am Friedhof von Steyr erinnert an die ungarischen Juden, die 1945 an Todesmärschen durch Steyr verstorben sind oder ermordet worden und hier in einem Massengrab ihre letzte Ruhe fanden. Der Text lautet: „Hier ruhen 100 unserer Brüder, welche im Sturme der Verfolgung im April 1945 als Opfer ihres Glaubens von frevlerischen Mörderhänden den grausamen Tod gefunden haben. Mit Eurem heldenhaften Blute wurde ein Kapitel der unvergesslichen Jüdischen Leidensgeschichte geschrieben, welche wir nie vergessen werden“. 50 Ebd., S. 168 51 Ebd., S. 169. Otmar H. aus Steyr im Gespräch mit der Autorin Ines Bernt-Koppensteiner über die Todesmärsche durch die Stadt Steyr.

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