Die Stadt Steyr, Nachkriegszeit – Besatzung – Wiederaufbau 1945 - 1955

43 völlig unverständlich, wenn man die Schilderungen der wachsamen Steyrer Bevölkerung nachvollzieht. Hier nur eine Auswahl der persönlichen Erlebnisse: „Bei der Textilfärberei im Wehrgraben kam eine graue wankende Masse auf eine junge Frau zu, die gerade Fenster putzte. Hinter dem Haus gab einen Obstgarten und man hatte noch viel Obst. Mutter und Tochter warfen den halb verhungerten Menschen durch ein ebenerdiges, vergittertes Fenster Obst auf die Straße zu. Eine Frau ist auf die Knie gefallen, dann auf die Hände und kroch auf allen vieren zum Rinnsal, um sich einen Apfel zu holen – schrecklich anzuschauen – und begann ihn zu essen. Das sah ein Bewacher, kam zum Fenster und schrie die Hausbewohnerinnen an, dieses sofort zu schließen. Als der Trupp am Direktionsberg war, hörte die Frau einen Schuss“47 „….Eine Mutter nahm die Kasserolle mit den halbrohen Kartoffeln vom Herd und schmiss die Kartoffeln beim Fenster runter. Die Erdäpfel fielen in den Vorgarten und die Hungrigen rauften um das Essen. Einem Häftling, der sich um einen Erdapfel bückte, schlug ein Aufseher mit dem Gewehrkolben auf den Kopf, so dass er liegen blieb. Wie lange, weiß der Zeitzeuge nicht, denn als ein Uniformierter das Gerangel sah, schoss er sofort auf das Fenster, sodass das Glas zerbrach und Mutter und Sohn in Deckung gingen.“48 „An der Ecke Mittere Gasse/Wieserfeldplatz ereignete sich ein tragischer Zwischenfall, der entweder die Brutalität der Wachmannschaft aus Laussa oder das Eingreifen fanatischer Nationalsozialisten belegt. Als der Elendszug an dem Taschnergeschäft an der Ecke vorbeikam, eilte Anna W. aus dem Haus gegenüber mit Erdäpfeln, die sie spontan vom Herd genommen hatte. Die Juden liefen sogleich zu ihr, wurden aber Wachpersonal brutal zurückgeprügelt, und die Frau, die wegen ihrer Wassersucht nur sehr schwer gehen konnte, nahmen sie – so wie sie war – in der Kleiderschürze und Pantoffeln sofort mit. Sie schleiften sie bis Gleink mit, obwohl sie kaum noch gehen konnte und schon am Schnallentorberg dem Zusammenbruch nahe war. Andere Hausparteien verständigten ihren Ehemann, einen Leutnant (wahrscheinlich in der Kaserne), der mit einem zweiten nach Gleink ging und seine Frau im letzten Moment herausholte.“49 47 Ebd., S. 116 48 Ebd., S. 117 49 Ebd., S. 118

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