301 Delegation ist bereits voll in Tränen ausgebrochen und Figl steht hinter dem Bundeskanzler und flüstert ihm ins Ohr: „Und jetzt Raab – jetzt noch d‘Reblaus, dann san s’wach“. Die Zeichnung entspricht zwar in keiner Weise der Wirklichkeit, aber sie drückt sehr einprägsam aus, auf welche Weise die Österreicher trotz des kalten russischen Gegenwindes die Sensation geschafft haben: mit Geduld und Hartnäckigkeit – und mit viel Gespür und Einfühlungsvermögen. Legendär sind die Worte, mit denen Bundeskanzler Julius Raab nach der Rückkehr aus Moskau die wartende Menge auf dem Flugfeld von Bad Vöslau bei Baden begrüßt: „Liebe Österreicher und Österreicherinnen, vor allem möchte ich Dank sagen dem Herrgott, daß wir diese Stunde für Österreich erleben konnten. Wir werden, was wir in diesen zehn Jahren erhofft und erstrebt haben – frei sein!“594 Moskau hat zugestimmt, aber die Zitterpartie ist für Österreich noch nicht zu Ende: jetzt müssen noch die westlichen Alliierten zustimmen. Tatsächlich gibt es bei einer Botschafterkonferenz am 12. Mai 1945 grünes Licht, daraufhin werden die Außenminister nach Wien eingeflogen und es kommt noch einmal zu einer für Österreich entscheidenden Phase: Leopold Figl gelingt es in letzter Minute den Passus, dass Österreich eine Mitverantwortung am Zweiten Weltkrieg habe, heraus zu verhandeln. Ein Blick hinter die Kulissen der Staatsvertragsunterzeichnung Wie bei vielen wichtigen – auch historischen – Ereignissen gibt es immer wieder ganz banale Vorkommnisse, die natürlich in keinem Geschichtsbuch stehen, die aber trotzdem geschehen sind und die Ereignisse noch greifbarer machen – vielleicht auch deshalb, weil sie einen wichtigen Beitrag zur Legendenbildung leisten. So gibt es auch rund um den feierlichen Akt der Unterzeichnung des Staatsvertrages vom 15. Mai 1945 einiges festzuhalten: „Das beabsichtigte Bild einer harmonischen ‚Österreich ist frei‘ – Glückseligkeit blieb bis heute haften und unterscheidet sich deutlich von den Fakten: Außenminister Figl tritt mit den Außenministern der Alliierten auf den Balkon des Belvedere in Wien, reißt den Staatsvertrag wie eine errungene Sporttrophäe in die Höhe und ruft ‚Österreich ist frei‘, die Masse jubelt, die Minister lachen, die Menge vor dem Balkon, es wird 594 Ebd. S. 186.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2