139 zahlreiche Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft konnte die Versorgung einigermaßen aufrechterhalten werden. Die wirklichen Notzustände brachen erst mit Beginn der Nachkriegszeit aus: Im Frühjahr 1946 kam es zum schwersten Einbruch in der Lebensmittelversorgung. Die Situation hatte sich schon gegen Ende des Jahres 1945 zugespitzt. Nach einem schlechten Erntejahr waren nahezu alle Vorräte aufgebraucht, nur schleppend kam es zu Lieferungen durch die Alliierten. Die legendäre Rede Leopold Figls zu Weihnachten 1945 „Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben. Kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich……“ (Weihnachtsansprache am 24.12.1945 im Österreichischen Hörfunk) Die Radiorede des Bundeskanzlers Leopold Figl am Weihnachtstag des Jahres 1945 gehört zu den großen Legenden dieses Landes: Es gibt keine Originalaufnahme aus dem Jahr 1945, weil man Figls Worte damals gar nicht aufgezeichnet hatte und es war auch kein Manuskript vorhanden. Der Journalist Dr. Hans Magenschab, später Pressesprecher von Bundespräsident Dr. Thomas Klestil, hatte die Rede erst 1965 aus den vagen Erinnerungen von Zeitzeugen und Zeitungsausschnitten grob rekonstruiert. Im Frühjahr 1965 saß der damals schon todkranke Leopold Figl zum letzten Mal im Funkhaus in der Argentinierstraße in Wien, um sich in seiner letzten Radio-Rede von seinen Landsleuten als Landeshauptmann von Niederösterreich zu verabschieden. Damals hatte der ORFMitarbeiter und spätere TV-Intendant und Großneffe von Figl, Ernst Wolfram Marboe, die Idee, im Anschluss an die Radio-Rede den Staatsmann diese Weihnachtsbotschaft des Jahres 1945 nochmals ins Mikrofon sprechen zu lassen. Es war natürlich nur eine sinngemäße Wiederholung des damals Gesagten. Und Figl tat es: Er las den Text mit brüchiger Stimme vom Blatt. Wohl im Bewusstsein, dass dies sein Abschied für immer sein würde. Drei Wochen später ist Leopold Figl gestorben.190 Der Versorgungstiefststand wurde im Mai 1946 erreicht, die sogenannte „Maikrise“: Waren 1945 noch Tageskaloriensätze von 1.300 bis 1.500 Kalorien möglich gewesen, stand man jetzt bei 950 Kalorien/Tag. 1946 erreichte die Wertschöpfung der Landwirtschaft etwa 60 Prozent von 1937. Das Österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut stellte damals fest: „Auch bei größter Anstrengung und sparsamster Einschränkung ist das Land nicht imstande, sich aus eigenen Kräften am Leben zu erhalten. Hunger und Chaos wären die unvermeidlichen Folgen, würde Österreich heute im Stich gelassen werden.“191 190 Lackner, Herbert: Die mageren Jahre. In Online-Profil. 03.04.2005. [online] URL: http://www.profil.at/home/die-jahre-108869. (letzter Zugriff: 29.04.2019) 191 Das hungernde und frierende Österreich von 1946: In: Die Presse, 06.10.2016. [online] URL: http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/5096110/Das-hungernde-und-frierende-Österreich-von-1946 (letzter Zugriff: 29.04.2019). S. 2.
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