NIHILIT (Kurt Kusenberg) Ein Mann namens Rotnagel erfand einen neuen Klebstoff, der sehr vertrauenswürdig aussah und nach Oleander duftete;, viele Frauen "bedienten sich seiner, um angenehm zu riechen. Gegen diese Un sitte kämpfte Rotnagel heftig an - er wünschte, daß seine Erfin dung sinngemäß verwendet werde. Gerade das aber bot Schwierig keiten, denn der Klebstoff klebte nichts, jedenfalls nichts "Bekanntes., Ob Papier oder Metall, Holz oder Porzellan - keines von ihnen haftete am gleichen oder an einem anderen Material. Bestrich man einen Gegenstand mit dem Klebstoff, so glitzerte dieser vielversprechend, aber er klebte nicht, und darauf kam es ja schließlich an. Trotzdem wurde er viel "benutzt, weniger aus praktischen Gründen, sondern wegen des herrlichen Oleander duftes. Rotnagel v>/ar kein Narr. Er sagte sich; ein Klebstoff, der nichts klebt, verfehlt seinen Zweck; es muß also etwas erfunden werden, das sich von ihm kleben läßt. Sicherlich wäre es einfacher gewe sen, die Erzeugung einzustellen oder seinen Mißbrauch durch die Prfiuen hinfort zu dulden, doch der bequeme V/'eg ist verächtlich. Darum gab Rotnagel drei Jahre seines Lebens daran, einen Werk stoff zu entv;ickeln, der sich von dem Klebstoff kleben ließ, allerdings nur von diesem. Nach langem ""Überlegen nannte "Rotnagel den neuen V/erkstoff Nihilit. In dex' Natur kam Niliilit nicht rein vor, man hat auch nie einen Stoif finden können, der ihm von ferne glich; es v;urde mit Hilfe eines überaus verwickelten "V"erxahrens künstlich erzeugt. Nihilit hatte ungev^öhnliche Eigenschaften. Es ließ sich nicht schneiden, nicht hämmern, nicht bohren, nicht schweissen, nicht pressen und nicht walzen. Versuchte man dergleichen, so zerbröckelte es, wurde flüssig oder zerfiel zu Staub; manch mal freilich explodierte es. Kurzum, man mußte von jeder Ver arbeitung absehen. Für Zv/ecke der Isolation kam Ninilit nicht in Frage, weil es sehr unzuverlässig war. Bisweilen isolierte es Strom oder "*7ärme, bisweilen nicht; auf seine Unzuverlässigkeit konnte man sich allerdings verlassen. Ob Nihilit brennbar sei, blieb umstritten; fest stand nur, d,aß es im Feuer schmorte und einen ekelhaften Geruch verbreitete. Dem 'Wasser .gegenübei^ verhielt sich Nihilit abv/echslungsvoll. Im allgemeinen war es wasserfest, doch kam es auch vor, daß es ,/xsser gierig in sich aufsog und \veitergab. Von Säuren wurde es nicht angegriffen, griff aber seinerseits die Säuren heftig an. Dem erwähnten Klebstoff v/ar Nihilit gefügig, doch was half das bei der Neigung .zu plötzlichem Zerfall? v/ohl ging es an, zwei Stücke Nihilit so fest aneinander zu kleben, daß sie untrennbar, wurden, aber das führte auch nicht weiter, denn das nun große Stück konnte jeden Au.xenblick zerbröckeln, wenn nicht gar mit lautem Getöse zerspringen. "v/ie man sieht, wies Nihilit wenig nützliche Eigenschaften auf, doch "xieß es sich mit Hilfe des Klebstoffes kleben, und dazu war es ja erfunden worden. Rotnagel stellte den neuen Werkstoff in großen Mengen her, und wer den Klebstoff kaufte, erwarb auch Nihilit. Obwohl die Explosionsgefahr nicht gering war, lagerten viele Menschen ansehnliche Bestände bei sich ein, denn sie liebten es mit dem Klebstoff umzugehen, weil er so herrlich nach Oleander duftete. 84
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