Maturazeitung HTL Steyr NV 1982

Der Expressionismus Allgemeines: Die expressionistische Kunst strebte nicht nach Wiedergabe des sinnlichen Eindruckes, sondern nach seelischem Ausdruck, Die Seele ist also das Primäre, in ihr spiegelt sich die Welt, Die Sprache der Expressionisten ist pathetisch, sie geht oft bis zur Ekstase, zum "expressionistischen Schrei"; Auf Wortschönheit und gramatikalische Richtigkeit wird oft verzichtet. Wichtig ist der Rhythmus, Die Sprache kann zwischen barockem Reichtum an schwülstigen Beiwörtern und einer bloßen^ Aneinanderreihung etwa von Hauptwörtern schwanken(Telegrammstii), Sin tlypisch expressionistisches Gedicht: Unser Tagwerk, Brüder, ist es nun, des blutigen Tyrannen Ketten oh mit Gift-bewährter Wirkung unsrer Arbeit Lohn zu retten soll sein Leben er uns geben desetwegen, wir verleben uns'rer Jugend iü/ahlan: Das Gift, zu geben ihm den Tod "Vschönste Reben, soll sein des Menschen eigner Kot, Der Plan ist klar, die Rettung nah: Des Tyrannen Atemnot rührt her von unserm Roggenbrot Dies Brot vermischt mit unserm Kot gibt uns die Freiheit und ihm den Tod Oh Gott Oh Gott das Roggenbrot bringt ihm den blut'gen roten Tod, "Den blutig roten, grausig toten, himbeerroten, mausetoten Ubertod, Jessas Maria, bei dieses schönen Kopfes Dünger durchwallt's mich mit Saft (oder Kraft): ich werd wieder jünger "Suletzt, gesagt solls sein bis zu der Tat: wir leben hier in bitter Schmerzen tim Auge rast die Seele, arm und irr, Heimweh heult wahnsinnswild, Heimweh entzünd' süße Honigkerzen nach Erde, Mensch und Hoffnungsschmerzen So, nun hör' ich auf zu scherzen. Interpretation: Wie Sie schon aus dem vorher definierten "Expressionisfflus" erkannt haben dürften, handelt es sich hier um ein typisch expressionistisches Gedicht, Die Redaktion möchte nun noch die letzten Unklarheiten beseitigen und eine kleine Interpretation für Sie, verehrter Leser, wagen: Wie klar aus der ersten Zeile hervorgeht, ist der unbekannte Schriftsteller ein unterdrückter Arbeiter (Arbeiterin) ge wesen, Unklar ist es iedoch. warum die armen Arbeiter den Tyrannen, der ihnen den Lohn noch nicht bezahlt hat, was klar aus der zweiten Zeile hervorgeht, also warum sie den Tyrannen nicht erschießen. Jedes Kind hat doch zu dieser Zeit gewußt, daß ein guter, rescher Schuß viel zuverlässiger als Gift ist, (Nichts gegen die Arbeiter!) Die nächste Zeile zeigt sehr schön den Rhythmus der expressionistischen Gedichte, Darauf erfolgt die erschütternde Erklärung der Beschaffenheit des Giftes, Obwehl in keinem literarischen Lehrbuch enthalten, könnte man diese Phrase des Gedichtes (sozusagen inoffiziell) 60

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