Festschrift zu Maturafeier 1875-1950

(Vümt aeadenücL Von Dr. Leo Schmalzer, Direktor Der „Professor “ steht zwar immer im Blickfeld der Oeffentlichkeit, doch erscheint er nicht immer im richtigen Licht. Die meisten Menschen beob ­ achten, wie er morgens zur Schule und mittags wieder nach Hause geht. Daraus schließen sie auf eine geringe Arbeitszeit und womöglich auf eine noch geringere Arbeitsleistung. Erst recht benei ­ denswert erscheint der Herr Professor wegen seiner längeren Ferien- und Urlaubszeit. Noch viel mehr aber fällt ins Gewicht die unbestreitbare Tatsache eines nicht sogleich greifbaren, sichtbaren und ver ­ wertbaren Bildungs- und Unterrichtserfolges. In einer kurzlebigen Zeit, in der nur der Maßstab des Nutzens angewandt wird, erhebt sich allzu leicht der Vorwurf der Unproduktivität des Studiums. Im Laufe der letzten 75 Jahre haben über 1500 junge Menschen ihr Studium durch eine Reife ­ prüfung an der Steyrer Mittelschule abgeschlossen. Wenn auch die beiden Weltkriege und ihre. Folgen die Reihen der Maturanten stark gelichtet haben, wird doch noch eine sehr stattliche Zahl zur Jubel ­ feier ihrer Bildungsstätte herbeiströmen. Es wird eine imponierende geistige Leistungsschau über, die vergangenen Jahrzehnte sein. Wer in den Verzeich ­ nissen der Adressen blättert, wird finden, daß so ziemlich alle Berufe unter den Maturanten ver ­ treten sind : Theologen und Juristen, Philosophen und Mediziner, Ingenieure und Techniker, Profes ­ soren und Lehrer, aber auch Kaufleute und Beamte, ja auch Fabrikanten und Handwerker. Wenn nun jeder von ihnen auf seinem Platze und in seinem Berufe ein ganzes Leben hindurch seine bedeut ­ samen Berufspflichten — und jeder steht auf ver ­ antwortungsvollem Posten — gewissenhaft und treu erfüllt gemäß seiner Bildung und Charakterstärke, die an seiner Bildungsstätte einst entfaltet und ge ­ staltet wurden, so ist zwar die enorme Leistung in diesem Falle nicht in Statistiken und Zahlen zu fassen, verliert aber nichts an bleibendem Wert. Wenn man hinzunimmt, daß die Wirkungsstätten der Maturanten auch regional weit von, einander entfernt liegen, nicht bloß im kleinen Vaterland, sondern bis hinüber in die Neue Welt, wächst der Wirkungsradius der Steyrer Maturanten in die Tiefe und in die Weite. Sicher ist der Bildungs- u. Erziehungserfolg einer Mittelschule von Anlagen, Fleiß und Willenskraft der Schüler und Schülerinnen, von der verständnis ­ vollen Mitwirkung des Elternhauses abhängig, ein wesentlicher Faktor bleibt aber der Lehrer. Seinen Fähigkeiten, seiner Geduld und Zähigkeit und Ge ­ wissenhaftigkeit ist ein Gutteil des Leistungserfol ­ ges einer Mittelschule zu verdanken. So ändert sich das oberflächlich gesehene Bild des Professors zum wirklichen und wahren : der Lehrer muß seine nur scheinbare Freizeit in eigener Willensstärke sorgfältig einteilen für eine tägliche und gründliche Vorbereitung der Unterrichtsstunden, für Lektüre zur Ergänzung und Bereicherung des Fachwissens, zur Korrektur von schriftlichen Arbeiten und für Beratungen über methodische Fragen. Weil ein gleich großer Aufwand an Geistes- und Willens ­ kraft zur gedeihlichen und vielseitigen Unterrichts ­ führung in jeder Lehrstunde aufzubringen ist, sind Unterrichtsstunden mit anderen Arbeitsstunden an Intensität und Nervenanspannung überhaupt nicht vergleichbar. Für eine gediegene Berufsleistung ist der tägliche ideale Einsatz der ganzen Lehrer ­ persönlichkeit notwendig. Ich glaube, daß alle Maturanten, die den nötigen Abstand zur Schule gewonnen haben, die Arbeit ihrer ehemaligen Professoren in einem ganz ande ­ ren Lichte sehen und ich glaube, allen aus dem Herzen zu sprechen, wenn ich in Ehrfurcht mein Haupt neige vor jenen Lehrern, die einst die Steyrer Mittelschule aufgebaut und die bisher ihr ganzes Leben dem Dienst an der studierenden Ju ­ gend geweiht haben. Die Professoren, die vor dem ersten Weltkrieg gewirkt haben, hatten der jetzigen Generation we ­ nigstens das voraus, daß sie der materiellen Sorgen enthoben waren, Die beiden großen Kriege brach ­ ten auch darin einen Wandel zum Schlechteren. Um so erstaunlicher ist es, daß auch materielle Not und die Folgen der Kriege den idealen Sinn der Lehrer nicht zu brechen vermochten. Der unermeßliche Schaden, den insbesondere der letzte Krieg an der Steyrer Mittelschule angerichtet hat, konnte in ver ­ hältnismäßig wenigen Jahren beseitigt werden. Als Lehrer und Direktor der Anstalt, dessen Wirksamkeit in die schwerste und bitterste Zeit der letzten Jahrzehnte fällt, grüße ich alle Maturanten und Maturantinnen allerherzlichst und bitte sie, der Anstalt ihre Liebe und Treue zu bewahren, und verspreche, alles zu tun, um den Glanz und das An ­ sehen der Steyrer Mittelschule zu wahren und zu mehren. 31

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2