Festschrift zu Maturafeier 1875-1950

Sehlde. and J2eJwi Von Dr. Karl Schittengruber Es ist vielfach die Meinung verbreitet, die Mittel ­ schule sei nur dazu da, um dem Absolventen später die Möglichkeit zu geben, eine gehobene Berufs ­ laufbahn zu beschreiten oder um die Reife für das Hochschulstudium zu erlangen. Unsere Mittelschule ist mehr als nur eine „hö ­ here “ Berufsschule. Sie gibt ihren Besuchern nicht bloß ein abgerundetes, allgemeines Wissen und Können, auf denen sich später Weiterarbeiten läßt, sondern sie legt auch die Grundlagen für eine hö ­ here Bildung und weitet so den geistigen Horizont. Ihre höchste Aufgabe besteht somit in einer ge ­ diegenen Gesamtausrichtung und festen Charakter ­ bildung ihrer Zöglinge. Darin liegt nun ihr un ­ schätzbarer Wert für den späteren Beruf und für das ganze Leben. Freilich, Voraussetzung zur Er ­ reichung dieses Zieles sind gute Lehrer, die in weiser Voraussicht ihren Lehrstoff wählen und meistern. Rückblickend auf die vergangenen 30 Jahre mei ­ ner Berufstätigkeit vom Volksschullehrer über den Hauptschullehrer zum Mittelschullehrer bedeutete mir das Mittelschulstudium ein festes Fundament, eine sichere Quelle des Wissens und der Bildung, gepaart mit einem geistigen Weitblick. Sie führte uns auf eine hohe Warte, von wo aus sich ein fruchtbares Weiterbauen lohnte — für das Leben und für den Beruf. Die sprachlich-historischen Fächer gaben den weiten Blick und verhinderten ein kleinliches Ver ­ lieren in die Unzulänglichkeiten des menschlichen Lebens. So geriet ich gerade als Lehrer nie in miß- launigen Kleinkram und wahrte zur Freude der Jugend mit Bedacht stets die große Linie. Die mathematisch-naturwissenschaftliche Richtung gab mit ihren Erkenntnissen eine persönliche Sicher ­ heit und einen geraden Lebensstil, den der Lehrer so notwendig braucht, um vor dem Scharfblick der Jugend bestehen zu können. Freilich nimmt man das alles erst in den späteren Jahren wahr und zwar umso eindringlicher und klarer, je weiter man sich auf der Lebenslinie von der Matura entfernt. Es bleibt das Große und Schöne aus der Mittelschulzeit. Die früher als un ­ angenehm empfundenen Kleinigkeiten, wie sie jeder Schulbetrieb mit sich bringt, verblassen und fallen der Vergessenheit anheim. Ich darf wohl sagen, kein Fach, das wir in der Mittelschule hörten, blieb in meinem Lehrerleben — gleichgültig welcher Schultype — unbeachtet. Es ergeben sich im Laufe des Berufslebens oft Si ­ tuationen, in denen man froh ist, aus einer sicheren Quelle geschöpft zu haben. Nur die Mittelschule gibt dieses Rüstzeug für das Leben. Darum alle Ehre und dauernden Dank unserer bewährten Steyrer Mittelschule und ihrem gediege ­ nen, vorbildlichen Lehrkörper. 29

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2