Festschrift zu Maturafeier 1875-1950

vom reis Von Prof. Dr. August Blöderer Bescheiden war der Anfang der Mittelschule in Steyr. Es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Stand der dreiklassigen Unterrealschule 1863/64 mit 84 Schülern, der siebenklässigen Oberrealschule 1874/75, dem Jahr der ersten Reifeprüfung, mit 185 Studenten und dem Stand des Realgymnasiums von 1948/49 mit 20 Klassen und einer Schülerzahl von 375 Studenten und 214 Studentinnen. Als gewerbetüchtige Stadt war Steyr stets darauf bedacht, auch im Schulwesen eine fortschrittliche Haltung einzunehmen. Von etwa 1543 bis 1624 hatte Steyr eine Lateinschule, von 1632 bis 1773 bestand ein Jesuitengymnasium. Im Zuge der The- resianischen Schulreform erhielt Steyr 1775 eine dreiklassige Kreishauptschule, die 1783 zu einer vierklassigen Anstalt erweitert wurde. In Steyr betrachtete man die Hauptschule als einen mageren Ersatz für das Gymnasium und so wandte sich schon 1777 die Bürgerschaft der Stadt an die Regierungsstellen mit dem Ersuchen um Errichtung eines Gymnasiums unter Leitung der Piaristen. Diesem Schritt war kein Erfolg beschie- den. Ein neuer, wiederum vergeblicher Versuch wurde 1796 bei Kaiser Franz II. unternommen. Da in der damaligen Zeit das realistische Bildungs ­ ideal einen gewaltigen Sieg über das humanistische errungen hatte, war die Realisierung des Wunsches nach Errichtung eines Gymnasiums eine aussichts ­ lose Sache, aber auch der 1837 auf tauchende Plan der Ausgestaltung der Hauptschule in eine tech ­ nische Schule wurde nicht ausgeführt. Erfolg hin ­ gegen zeitigten die seit 1844 nachweisbaren Be ­ mühungen nach Angliederung eines II. Jahrganges zur 4. Klasse der Hauptschule, der am 1. Oktober 1847 eröffnet wurde. Während des Sturmes des Revolutionsjahres 1948 griff Steyr neuerdings den Wunsch nach Errichtung eines Gymnasiums auf. Da damit zu rechnen war, daß die Umwälzungen dieses Jahres manches Ordensgymnasium hinwegfegen würden, wollte man in Steyr dem Lehrkörper einer aufgelösten Anstalt ein neues Wirkungsfeld bieten. Wiederum blieb den Bemühungen die Erfüllung versagt. Der Auf ­ stieg des Schulwesens in Steyr ging nicht über die humanistische, sondern über die realistische Schul ­ type. Infolge der Neuerungen im Unterrichtswesen in Oesterreich entwickelte sich 1849 aus dem zwei ­ ten Jahrgang der 4. Klasse der Hauptschule eine unselbständige zweiklassige Unterrealschule, die zwar ihr besonderes Eigenleben führte, aber in Ver ­ bindung mit der Hauptschule blieb. Als Mittelschule im heutigen Sinn ist sie nicht anzusprechen, aber sie ist der Keim, aus dem sich die Steyrer Mittel ­ schule entwickelt hat. Das nächste Ziel der Stadt war der Ausbau dieser Schule in eine dreiklassige selbständige Unterreal ­ schule. Es rückte die Zeit heran, da Steyr eine Industriestadt von Weltruf wurde. Es ist begreif ­ lich, daß diese glückliche Entwicklung den Ruf nach einer Schule mit höherer Bildungsmöglichkeit immer lauter erschallen ließ. Das Staatsministerium gab zu verstehen, daß der Errichtung einer drei ­ klassigen Unterrealschule nichts im Wege stehe, wenn diese in Verbindung mit der Hauptschule bleibe, eine Lösung, die der Stadtgemeinde nicht genehm war. Im Zuge weiterer Verhandlungen ließ sich das Staatsministerium herbei, vorerst eine provisorische Lösung zu schaffen, die darin be ­ stehen sollte, die zweiklassige unselbständige Unter ­ realschule in eine dreiklassige zu erweitern, sie im Verband mit der Hauptschule zu lassen, jedoch für die drei Realschulklassen einen in didaktischer, disziplinärer und ökonomischer Beziehung für selb ­ ständige Realschulen geprüften technischen Lehrer als Subdirektor zu bestellen. Es kam aber nie zur Durchführung dieses Provisoriums. Da sich die diesbezüglichen Verhandlungen zerschlugen, wurde die 3. Klasse nie eröffnet und auch kein Subdirektor ernannt. Am 10. Februar 1862 beschloß der Gemeinderat der Stadt Steyr sich in einem Majestätsgesuch un ­ mittelbar an den Kaiser zu wenden. Die Deputation wurde am 24. April vom Kaiser in Audienz emp ­ fangen. Der Kaiser ließ sich eingehend über den Stand der Industrie, des Gewerbes und des Handels der Stadt Steyr Bericht erstatten und bemerkte 8

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