Migration - Eine Zeitreise nach Europa

gung'in Massen in den Prater zogen,gar sehr imponierten. Man sprach allgemein von diskreten Folgen dieser Besichtigungen. Tatsache war,daß nachher eine ganze Anzahl ziemlich dunkelhäutiger Babies in Kinderwagen durch die Straßen Wiens gerollt wurden. Auch die Wiener Volkssänger nahmen sich dieser Umstände an, und so erklang auf den Pawlatschen ein berühmt gewordenes Lied: 'Ja, so ein Kongoneger, der hat's gut!'"*" Dass diese Spottkultur von den Zuwanderern nicht immer als Scherz verstan den wurde, hegt auf der Hand. Immerhin regierte in Wien von 1895 bis 1918 die Christlichsoziale Partei, die den deutschen Charakter der Stadt Wien aufrecht erhalten wollte und massiv gegen die kulturelle Selbstbehauptung von Minder heiten in Wien vorging. Eine andere Zuwanderergruppe,deren Sprache ebenfalls immer wieder verballhornt wurde, waren die Juden aus den östhchen Kron ländern. Selbst die angepassten Juden schämten sich der „jiddelnden Ostjuden", denn damit gelang es den Antisemiten, Juden generell als Fremde zu stigmatisie ren. Der populäre Wienerliedkomponist Hermann Leopoldi war selbst Jude. In dem von Artur Bebner getexteten „Solree bei Tannenbaum!" macht er sich lustig über die fehlerhafte Sprache neureicher ostjüdischer Zuwanderer. Daraus ein kurzes Beispiel: „Tannenbaum und seine Gattin fübr'n die Gäste stolz ins Brüdermeierzimmer mit die Makkaronimöbel, zeigen die in echtem Öl gemalten Bilder dann, wo das Öl leider heuer, doch so teuer. Hermann Leopoldi wurde - wie viele seiner jüdischen Kollegen — von den Nationalsozialisten in ein KZ interniert und schrieb dort mit Fritz Löhner-Beda den Buchenwald Marsch. Löhner-Beda kam im KZ um, während Hermann Leopoldi die Flucht nach Amerika gelang. Es wird oft vergessen, dass viele ver triebene Österreicher und Deutsche in anderen Ländern genau dasselbe taten, wie die Zuwanderer der Gegenwart: Sie spielten weiterhin ihre Musik und kompo nierten weiterhin auf ihre Weise, etwa Arnold Schönberg in Los Angeles. Seine Rückbesinnung auf Wien findet sich z.B.im Streichtrio op.45 wieder. Im August 1946 hatte der zuckerkranke Schönberg einen schweren Herzanfall erlitten. Im Streichtrio verarbeitete er dieses Erlebnisse,darunter auch das Koma und die auf94 tauchenden Erinnerungen an sein Lehen in Wien. Die Zitate von Walzerklängen gehören für mich zu den beeindruckendsten, unsentimentalsten und am wenigsten verklärten musikalischen Erinnerungen eines vertriebenen Musikers an seine kulturellen Wurzeln. In New York gab es in den 40er Jahren eine äußerst lebendige Klubszene der Emigranten aus Österreich und Deutschland, und wer wollte, konnte sich in Eberhardt's Cafe Grinzing in der 79. Straße von Manhattan bei Hermann Leo poldi das holen, was auch heute Migranten in aller Welt immer wieder suchen: die 41 Peter Herz, Gestern war ein schöner Tag. Liel)eserkläriing eines Lihrettisten an die Vergangenheit, Wien 1985, S. 13. Über die Völkerschau vgl. Werner Michael Schwarz, Anthropologisches Spektakel. Zur Schaustellung „exotischer" Menschen, Wien 1870 — 1910, Wien 2001, bes. S. 147 ff.(„Ashanti-Dörfer"). 42 Hans Weiss/Ronald Leopoldi, Hermann Leopoldi und Helly Möslein.„In einem kleinen Cafe in Hernais ...". Eine Bildhiographie, Wien - München — Züritdi o..J, S. 8 u. III.

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