MITTEN INS HERZ; MUSIK UND MIGRATION Albert Lichtblau „Worauf können Sie eher verzichten; a. auf die Heimat? b. auf Vaterland? c. auf die Fremde?"' Haben Sie schon einmal bedacht,dass Sie das„Fremde" brauchen,es unverzicht bar für das Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit ist? Wozu brauchen Sie das Fremde in Ihrem Lehen eigentlich? Unter Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, gibt es eine verbindende Konstante; Sie müssen sich unweigerlich entscheiden, wie stark sie sich mit dem neuen Ort anfreunden, mit ihm identifizieren, die dort vorgefundene Kultur als die ihre aufnehmen und das Frühere bewahren oder abstreifen wollen. In den seltensten Fällen können sie darüber frei entscheiden. Menschen, die ihr Land verlassen, stehen in einem beständigen Anpassungsprozess und nicht nur sie pas sen sich an die aufnehmende Gesellschaft an, sondern auch diese an sie. Ahnhch wie die Muttersprache durch die Übernahme eines Akzents verwandelt sich auch die an andere Orte transferierte Musik. Sehr oft kann eine Vereinfachung und Veränderung in der Melodik und Instrumentierung beobachtet werden. Dieser Vorgang wird von der interdisziphnär orientierten Musikethnologie detailUert untersucht. Als Historiker interessieren mich jedoch besonders Aspekte des Kul turtransfers, vor allem jene Funktionen, die mitgebrachte Musik für das Lehen von Migranten annehmen können und die Thematisierung von Zuwanderung in deutschsprachigen Liedern. Österreicher haben es gut: Die klassische Musik, die in Osterreich erschaffen wurde, ist weltbekannt und macht das Land zu einem Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Salzburg profitiert nicht nur vom wunderschönen 77 Stadtbild — schöne Städte gibt es auch anderswo — sondern von der Tatsache, dass Wolfgang Amadeus Mozart hier geboren wurde. Insofern können Österreicher kaum nachvollziehen, was es bedeutet, wenn die eigene(Hoch-)Kultur in anderen Ländern nicht anerkannt und bekannt ist. Wer kennt in Mitteleuropa schon klas sische chinesische, indische oder türkische Musik? Dabei wurde es im 18. Jahr hundert modern, sich der Musikkultur des Osmanischen Reichs zu bedienen, nachdem sicher schien, dass die osmanische Gefahr mit dem Frieden von Passaro witz (1718) gebannt war. Der Orient begann alsbald eine Faszination auszuüben, und die Vorstellungen vom Prunk der Sultane und vom Lehen im Harem heflü1 Max Frisch, Fragebogen, Frankfurt am Main 1998,S. 73.
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