Migration - Eine Zeitreise nach Europa

Da erreichte am 5. Mai 1945 die 71. US-lnfantriedivision-Wyman die Stadt und Unmengen entwurzelter Leute irrten durch die Straßen: ehemalige KZ-Häft linge und „Fremdarbeiter" versuchten znm großen Ted in ihre Heimatländer zurückzukehren, vorerst vergebUch. Wie viele Menschen sich damals in Steyr zusammendrängten, kann nur geschätzt werden. Bürgermeister Prokesch spricht in der 1. Gemeinderatssitzung davon,dass „[...] nahezu 70.000 Menschen in die ser Stadt zur Zwangsarbeit verurteilt waren Insgesamt bheben 14.000 neu Zugezogene oder wie immer nach Steyr gelangte Personen für immer in Steyr,für sie musste Wohnraum geschaffen werden.^' Inzwischen hatte auch die 3. Ukraini sche Sowjetarmee am 8. Mai die Enns erreicht und seit 9. Mai war Steyr für fast drei Monate eine geteilte Stadt. In dieser verworrenen Situation traf der nächste Flüchtlingsstrom ein, die Sudetendeutschen,die seit Mai über die Grenze getrieben wurden oder flohen. Sie wurden gemeinsam mit Angehörigen fremder Nationen im notdürftig eingerichte ten Reithoffer-Lager und am Gelände der Artilleriekaserne untergebracht. Ihre Versorgung mit dem Nötigsten stellte die Stadtverwaltung vor schier unlösbare Probleme, die nur mit Hilfe der US-Army gelöst werden konnten. Die ansässigen Steyrer nahmen von diesem Völkergemisch nicht viel Notiz, sie waren mit ihren eigenen existentieUen Problemen beschäftigt. Aber die beiden Stadtverwaltungen versuchten schon im Sommer die „Nicht-Ortsansässigen" abzuschieben. Rigoros ging die sowjetische Besatzungsmacht in Münichholz vor: Sie „repatriierte" alle Ausländer, was für Menschen, die in den sowjetischen Machtbereich „zurück geführt" wurden, oft ein Verschwinden bedeutete, wie für die 300 seit März 1941 in Münichholz angesiedelten Bukowina-deutschen-Familien, aber auch für Zwangsarbeiter aus der UdSSR oder russische Kriegsgefangene.'^ Die „westliche" Stadtverwaltung, die seit 30. Juli 1945 wieder für ganz Steyr zuständig war, bemühte sich in erster Linie, die Reichsdeutschen und die schlesischen Flüchthnge zurückzubringen Aber im Juni 1946 hielten sich in Steyr noch 558 Reichsdeutsche und 8040 sonstige Ausländer auf.'® Die sogenannten Displaced Persons (DPs)- ehemahge Zwangsarbeiter, Juden und andere durch das NS-Regime verschleppte Personen - sollten, wenn sie wollten, mit Hilfe ame rikanischer Organisationen repatriiert werden oder man ermöglichte ihnen, insbesondere jüdischen Uberlebenden, die Auswanderung in die USA oder nach Israel. 70 In dieser schwierigen Situation kam Osterreich das Potsdamer Abkommen gelegen und auch die Steyrer Behörden versuchten so viele Volksdeutsche wie möghch nach Deutschland zn transportieren. Auf wenig Verständnis stieß bei der Steyrer Bevölkerung die privilegierte Versorgung der jüdischen DPs,die nicht zu arbeiten brauchten und die durch die jüdisch-amerikanische Hilfsorganisation „Joint" [American Jewish Distribution Commitee] mit Lebensmitteln in einem großen Ausmaß versorgt wurden.Bis 1950/51 handelte es sich um Durchgangslager 20 Protokoll der Konstituierenden Geineinderatssitzung am 14. September 1945,S. 3. 21 Steinbrecher, Steyr nach dem Krieg,S. 7. 22 Chronik der Pfarre Christkönig in Münichholz, S. 36, 23 Steyrer Zeitung vom 16. Juni 1948,S. 3.

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