Migration - Eine Zeitreise nach Europa

Im Laufe der letzten hundert Jahre gab es unterschiedliche Akzentsetzungen auch hinsichtlich der Integration von Zuwanderern. Bis 1914 war es vor allem die staatliche Politik, die für eine eher integrationsfreundliche Richtung stand, während Kommunen und Länder dem immer wieder entgegenwirkten,so etwa bei dem Versuch,eine Reform des anachronistischen Heimatrechts zu verhindern. In der Zwischenkriegszeit veränderte sich die Rollenverteilung: Nunmehr war die Bundespolitik für diverse Formen desintegrativer Maßnahmen verantworthch, vor allem im Bereich des Heimat- und des Staatsbürgerschaftsrechts; schließlich war auch das sog. Inlandarbeiterschutzgesetz eine bundespolitische Schöpfung. Demgegenüber bemühten sich die größeren Städte, vor allem Wien, um (wenn gleich schwache) integrative Akzente. Die NS-Jahre standen bekanntermaßen insgesamt im Zeichen von Desintegration, Dissimilation und einer so bezeichneten „Rassenpolitik", die bis zur physischen Massenvernichtung reichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden integrative Akzente in den fünfziger Jahren erstmals wieder von Regierungs- und Parlamentsseite gesetzt. Nach jahre langer Abstinenz waren die siebziger und achtziger Jahre von eher integrativen Markierungen seitens des Staates gekennzeichnet. Mit Ausnahme Wiens, das im Zusammenhang mit seiner Bevölkerungsüberalterung eine tolerante und aktive Einbürgerungspolitik betrieb, waren die kommnnalen Politiken eher durch Absti nenz geprägt. In den neunziger Jahren folgte ein erneuter Paradigmenwechsel: Die staatbche Politik war fast durchwegs von Verschärfungen geprägt, ebenso wie in den meisten Bundesländern, während in den größeren Städten in den letzten Jahren diverse integrationspolitische Maßnahmen einsetzten. Ungeachtet der eben skizzierten Brüche lässt sich andererseits auch eine Ebene der Kontinuität rekonstruieren. Zum einen die geopohtische Lage: Oster reich ist an einer Nahtstelle Europas, zwischen arm und reich, entwickelt und wirtschaftlich rückständig, gelegen, und es stellt eine Region dar, in die seit dem Beginn der IndustriaUsierung eine Arbeitsmigration stattfand und stattfindet. Zu mehr oder weniger weit benachbarten Regionen existierte und existiert ein Wohlstandsgefälle, das zu Wanderungsbewegungen führt. Damit verbunden ist die nachweisbare Ausgrenzung des ethnisch Fremden seit mehr als 150 Jahren. Die Rotationspolitik gegenüber den Gastarbeitern, die lange Jabre in der Zweiten Repubhk betrieben wurde,kann durchaus als Teil dieser Ausgrenzung angesehen werden. Gesellschaftliche Realität war und ist, dass auch heute ein Großteil der 24 Mehrheitsbevölkerung zu den Migranten aus Jugoslawien,aus der Türkei und aus Teilen der „Dritten Welt" eine Position deuthcher Distanz einnimmt. Andererseits trug der Import ausländischer Arbeitskräfte durchaus zum sozialen Aufstieg der heimischen Arbeiterschaft bei. Dies und der Aufbau eines Sozialstaats westlicher Prägung stärkte auch die Herausbildung der vorerst un sicheren eigenen nationalen (österreichischen) Identität. Demokratie und die besondere Ausprägung des Wohlfahrtsstaats haben auch in Österreich zur sozia len Integration von Immigranten beigetragen und dies in mancher Hinsicht effek tiver als in Einwanderungsstaaten mit mehr formaler Gleichberechtigung, aber schwächeren Systemen sozialer Sicherheit. Die starke Zuwanderung ab 1989/1990 34 Baiiböck, Migrali()ns])olitik, S. 687f.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2