Migration - Eine Zeitreise nach Europa

STADTMETAPHER (JAPAN III) Leopold Federmair 132 Zwischenräume gibt es hier jede Menge. Je zahlreicher der Gesamtraum besetzt ist, desto höher die Zahl der Zwisehenräume. Das ist eine einfache Rechnung; natürlich werden die Zwischenräume dabei kleiner. Doch aus der Bedrängnis ihrer Leere ge winnen sie ihre Kraft, ihren Charakter. Hinter dem Wohnblock,wo es immer nach frischen Backwaren riecht, ist ein Park platz aus weißem Schotter. An dessen Band, wirklich in die Ecke geduckt, erhebt sich -feiner Widerhaken in obiger Rechnung: erhebt sich das erste Tor, rot gestrichen, niedrig, so daß du dich bücken mußt,damit du erfährst: Du bist geringer. Und wirst erhöht, wenn du dich abge streift hast. So kannst du dein eigenes Platzhaltertum verlassen, flugs, es genügt ein Schritt zur Seite. Und trittst durch das nächste Tor, rot gestrichen, etwas breiter als das erste, kaum höher, aber du bückst dich nicht, ziehst nur den Kopf ein. Das nächste, braune Flecken im Bot, Faserhnien wie Runzeln, gealterte Stirn, und das nächste und übernächste, wie ein Bandoneon. Deine Schritte werden klei ner, denn du wächst mit den Toren, schlüpfst wie ein Luftzug durch die rhyth mische Bahn, und als dir ein Sphtter die Flanke ritzt, wird dir klar, daß die Folge endlos ist: Nein, es gibt keinen heiligen Bezirk. Hier dieses windschiefe Tor, grau vom Regen, halb beiseite gestellt, erinnert dich: Du mußt nur die Richtung ändern, zur Seite treten,dann bist du wo? Am Ziel. Die Tempelwärterin mit dem zerzausten grauen Haar und der fadenscheinigen Schürze, lädt sie dich ein oder warnt sie dich? Ach, sie begrüßt ihre Freundin, die den Finkaufswagen hinter sich herzieht, den unendlichen Weg pragmatisch abkür zend wie jeden Tag: Ach, diese Kinder spiele, die Geister lassen sich so oder so herbei, und wenn sie schlafen, schlafen sie, Punkt. Torot, Rotor, stammelst du. Die beiden Alten verstehen kein Wort. Am meisten wundert dich, daß der Backge ruch bis zu der Hütte weht,wo der Spiegel im Heiligtum so trüb ist, gepunktet und gefleckt, daß du dich fragst, ob der dort du bist. Und kommst zu dem Schluß: Ich bin es nicht. Schließlich willst du nicht dich erfinden. Du hebst die Augen, und hinter nachtblauen Schindeln ertappt sich der Berg, über den ein Betonnetz geworfen ist, damit er nicht wegläuft, wenn diese innere Bewegung aufkommt, eine Art Schüttelfrost oder Rüttelfieher, wie sich die Bewohner erinnern. Recht unge schickt, dieses Netz, paßt sich mit Mühe den Hebungen, Senkungen an. Aus den quadratischen Augen des Frdtiers wächst gelbes Gestrüpp, ab und zu eine verirrte Blume. Ebenso zwischen den Speichen des Fahrrads dort:fruchtlose Ähre,Zierde am Ende der Torflucht. Trugbild, als begänne dort eine Reise. Beginnt dort...? Die Tem pelfrau lächelt, zieht sich zurück. Und ein Tor war aus der Reihe getanzt? Kann man so sagen. Mit diesem langsamen Schwung. Aus dem Jahrhundert gedriftet. Worauf dann mehrere Pfostengebilde folgten, die Reihe wieder geschlossen. Aus Stahl,Erzeugnis von menschhehem Zwang, wie jene unbestechlichen Fußhalltore, die eines Tages die kantigen, knorrigen, morsch gewordenen Hölzer ablösten. Mit Lackfarbe bepinselt, die blättert ganz fein, und die Tore trotzen dem Wind,dem Wetter, den Nadeln, die das eifersüchtige Meer gegen das Land schleudert. Und so war es, der Winter zog zum wievielten Male von Küste zu Küste, wischte den Sommerdunst beiseite, besänftigte die Herbsterregung, schälte die Welt aus sich heraus, eine Totgehurt, gewiß, aber klare Formen,freudige Funktionahtät. Das war wohl der heilige Bezirk, hinter deinem Rücken. Dreh dich um: Vor dir! Die Auto mobile verschwanden in den Löchern, blickten kurz in den Spiegel, schwebten auf ihren Sänften in das zwanzigste, dreißigste Stockwerk hinauf. Da oben hin gen sie wie Theaterdinge, seihstverhebt, die Augen nicht mehr vom Ebenbild lösend. Und die Menschenwesen ver schwanden in Löchern, die zu den Einge weiden der Stadt führten, verschlungene Schläuche wie Gedärm oder Gehirn,darin das Leben tausendmal reicher als in der armen äußeren Welt,die alles auf A und B

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