steckte der durchtriebene Pariser Biblio thekar van Praet viele wertvolle Bände, um sie als „unauffiudhar"zu deklarieren, oder unterschob den ursprünglicben Be sitzern falsche, unbedeutendere Exem plare. Vieles so geschehene Unrecht ist bis heute nicht behoben. Die Bibhothek von WoKenbüttel etwa kämpft nocb immer um ihr Exemplar der berühmteu 36-zeiligen Bibel (gedruckt um 1458/59), bis jetzt ohne Erfolg. In diesem Zusammenhang wurde auch das deutsche Bibliotheks- und Archivgut angesprochen, das seit Kriegsende in rus sischen Sammlungen verborgen wird. Äthiopien und viele andere „Entwick lungsländer" wiederum bemühen sich bislang vergebens, die in der Kolonialzeit nach London oder Paris verbrachten Bü cher und Kunstwerke zurückzubekom- „A bock is a loaded gun in the house next door. Burn it." Das schhmmste Ausmaß nahmen kriege rische Bihliothekszerstörungen an, die in Verbindung mit der systematischen Ver nichtung des gegnerischen Volkes standen. Mit den Bibliotheken sollte das kulturelle Gedächtnis eines Volkes und damit seine Identität vernichtet werden. Man hörte in Cambridge wiederholt die Wortprägung „Librozid", die nicht zufälhg vom Wort „Genozid" abgeleitet wurde. Heinrich Heine legte I82I in der Tragödie Almansor (I82I)einem spanischen Moslem bei einer öffentlichen Koranverbrennung durch fanatische Christen die vielzitierten, hell sichtigen Worte in den Mund; „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher ver brennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Gerade im 20. Jahrhundert wurde die Verbindung von Bücherzerstörung und Völkermord oft traurige Wirklichkeit. Sem Sutter (Puhlic Library, Chicago) heschrieb das blühende jüdische Kulturle hen in Wilna,bis I94I die Nazis das „Jeru salems Litauens" eroberten. Etwa 70 % der beschlagnahmten Judaica wurden von der Gestapo als Altpapier qualifiziert und vernichtet. Die restlichen 50.000 Bände kamen nach Frankfurt in das „Institut für jüdische Fragen", in dem man seit I94I „jüdische", d.h. antisemitische, Studien betrieh. Es war das erste Institut, in dem ein Volk ohne Einbeziehung dieses Volkes studiert wurde, und das in einem Land, das gerade an der Vernichtung dieses Volkes arheitete. 1949 besetzten chinesische Truppen Tibet. Rebecca Knuth (Universität Ha waii) schilderte die bald darauf folgende systematische Zerstörung der Klöster und ihrer Sammlungen, insbesondere aller Zeugnisse des Buddhismus und der tradi tionellen tibetanischen Kultur, und die „Umerziehung" zum Mao-Kommunismus. Hunderttausende Tibeter wurden Opfer der gefürchteten Roten Garden, die das Land in den Kolonialstatus zurückversetz ten und 99 Prozent der Klöster verwüste ten. Nach groben Schätzungen verlor Tibet dabei 85 Prozent seiner geschriebe nen Materiahen und Dokumente und etwa 60 Prozent seiner historischen Literatur. Das veranlasste den Tibetforscher Roger Hicks zum Resümee;„By comparison,the book-burning of the Inquisition or of the Nazis was the work of uncoordinated amateurs." Im Sommer 1992 fielen Bomben auf die Universitäts- und Nationalbibhothek von Bosnien-Herzegowina in Sarajewo. Uber 2 Mill. Bücher, etwa 90 Prozent des Gesamtbestands, wurden ein Raub der Flammen. Auch das berühmte Orientahsche Institut mit seinen 5.500 orientahsehen Handschriften brannte ab. Es war die erklärte Absicht der Belagerer, histo rische Dokumente zu vernichten, um mit der Zerstörung des historischen Gedächt nisses der Bosnier eine „tabula rasa" zu schaffen für die Indoktrinierung einer neuen nationalen Identität. „We have everything we need to be happy, but we aren't happy. Something's missing. I looked around. The only thing I positively knew was gone was the books l'd burned in ten or twelve years. So I thought books might help." Die internationale Konferenz von Histo rikern und Bibhothekaren in Cambridge würdigte verlorene Bibliotheken. Mit der historischen Reflexion trat nicht nur der einstige Wert spezieller Sammlungen vor Augen,sondern die wissenschafthche,kul turelle und pohtische Bedeutung von Bib liotheken überhaupt. Bücher konstitu ieren wesenthch das kulturelle Gedächtnis einer Gruppe,Nation oder eines größeren Kulturkreises. „Lost Libraries" war somit ein eindrucksvolles Plädoyer an die Gffenthcbkeit für den Erhalt bestehender Bibliotheken und der damit überheferten Werte. 131
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