Migration - Eine Zeitreise nach Europa

leute darauf,eine wölke, sie gibt die kamera mir und beobachtet, wie ich filme, „ist da überhaupt ein film drin?" „kommt es daraufan?"sie hat die kamera, sagt sie, in graz gefunden, am wasser. im iran hat sie Shakespeare verfilmt, sagt sie, mit antony quinn. wir filmen und singen uns in die kärntner strasse hinein, sie hiegt in eine geschäftspassage. dreht sich dabei halb um, um sich zu überzeugen, dass ich mithekomme,was sie tut: damit spielen, wie die klänge - stampfen, klatschen, persische gesangsfetzen und gitarrenschläge, sich nach hinten in die passage hinein fortsetzen, an den wänden reflek tieren, sich in die geräusche von der strasse mischen, sie filmt unser spiegelhUd, wischt mit der hand mein gesicht aus der Scheibe und lacht, wir werfen klänge ins getriebe auf der strasse, bewegen uns, wasserzweige, durch wasser, an leuten vorbei, um leute herum, sie macht mir ein zeichen, den hhck von niemandem einfan gen zu lassen, im wirbeln und im werfen von klängen aufzugehen. im hurggarten — honighcht unter ausla denden ästen - hehe ich ein paar blüten aus dem gras, violette trompeten mit einem beinah narkotischen honigduft, und gehe sie ihr. sie löst ihr stirntuch, löst aus ihm ein zweites tuch heraus, das sie mir gibt, sie schaut mir genau zu,wie ich es umbin de,und bindet sich die blüten in die haare. „in den äugen",sagt die kinder-zauhergeschichten-stimme, „wohnt nämhch der bhtz. wenn der bhtz hinausstrahlt, kön nen ihn andere bütze fangen und davon tragen. darum binden wir immer ein tuch um den köpf, damit es die blitze festhält, so kann der bhtz"-sie zieht mit der hand eine hnie zur brustmitte-„in den brunnen hinuntertauchen, wo der unsichtbare wohnt." wir gehen in der mariahilferstarsse, am generali-center vorbei, „baben wir zu hause", sagt sie, „noch was im kühlschrank?" die frage ist unvermittelt, ich sage so selbstverständlich wie möglich ja. und denke daran, dass in fünf tagen meine lehensgefährtin wieder nach wien kommt. „ich bete zum unsichtbaren", sagt anahita, auf der roOtreppe hinunter zur U3, „dass in dieser u-bahn so orange schleifen sind, auf denen mau turnen kann." sie hängt mir gitarre und tasche um, bevor wir einsteigen, findet zwei schleifen, ist schon mit den füssen eingehängt, hängt mit dem köpf nach unten und schwingt, fast his zur decke hinauf, und zurück, wäh rend sie singt, mit dieser stimme, in der rechten hand das buch,in der buken eine Zigarette, die sie raucht, und singt, und schwingt, und die wiener in der u-bahn - lächeln. es ist tief in der nacht, der punkt, an dem man die vogelstimmen schon spüren kann, ohne sie noch zu hören, wir sitzen auf decken und polstern an meinem niedrigen tisch, und ich bekomme Unterricht, wir trinken tee und malen buchstahen auf grosse blätter. es ist leicht: das, wodurch der huchstahe leserlich wird, sind immer nur ein paar punkte und ein strich, aber das, worauf es ankommt,ist der schwung, im freiraum, den das zeichen offenlässt. da ist es dann schade, wenn es schwierig aussieht, weil der strich stecken bleibt, wir haben genug zeit und papier. wenn mein tintenstrich zu einer linie auf dem wasser wird,lobt sie mich, malt mir ein neues zei chen vor oder singt etwas aus dem koran. persisch, und dann noch einmal auf engbsch. es kbngt wie ein amalgam aus Shake speare und allem, was ich mir von tausen dundeiner nacht je erwartet habe, vielbödig und verspielt, ganz anders als der koran, wie ich ihn schon öfter angelesen hahe. woran ich mich erinnern kann, die gesten des transzendentalen richters, übersetzbar in faust und Stiefel eher als in hand und fuss, sind aufgelöst in die stim me, die hewegung, die ruhige, reife, schö ne frau. „glaubst du, ich sollte es wieder einmal probieren und den koran lesen?" „koran heisst, dass dein atem und deine stimme pur sind, aber wenn du meinst, das buch koran, dann ist es am besten, wenn du persisch lernst und mit einem persisch arabischen Wörterbuch arbeitest, das ist jedenfalls ein viel kürzerer weg, als wenn du dir einen koran auf englisch oder deutsch kaufst." ich frage vieles, meistens gibt sie mir nicht direkt antwort. massiert mir die füsse,schenkt mir tee ein,spielt ihre gitar re,kommt in den Wendungen und Windun gen einer neuen geschickte,zwischen spiegelfrüchten und vom wasser vertragenen nachtigallenschatten, plötzlich mit dem heraus, was ich erfahren wollte. „eines tages liess mich mein vater zu sich rufen." ich sehe diesen vater in ihrem gesicht, das voller respekt und Zärtlichkeit 127

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