Leopold Werndl und sein Sohn

sei sie in die Nacht hinausgelaufen. Nur der Mond wußte, was zwischen Vevi und Josef unter dem Holunderbusch vorgefallen war. Von der weiten Welt, die so schöne Freude ver» schenken kann, auf der so viele Menschen, gute und schlechte, leben, erzählte Josef der jungen heißblütigen Schneidermeistersfrau. Vevi fühlte Tränen in ihren Augen. Erst seit heute spürte sie, was das Wort „Liebe" be« deutet, welches Glück es ist, von Männerarmen fest um» schlungen zu sein. Zaghaft flüsterte sie dem Geliebten ins Ohr: „Ich habe nichts, ich bin auch niemand, aber ich bin jung, ich kann arbeiten. Willst du mich haben? Willst du mit mir in die schöne Welt laufen?" Josef schwieg. Obwohl er die junge Frau in seinem Arm hielt, galt sein Denken dem Mond, der zur selben Stunde im wilden Afrika, im eisigen Norden auf Verliebte herabschaute. Josef gab keine Antwort. Er zog die Geliebte nahe zu sich, küßte sie heiß, so wie er es von der Demoiselle Vik» toria, Kammerzofe der Gräfin Astrachovsky, imter dem Dach in seiner schmalen Mansarde im Palais zu Wien ge» lehrt bekommen hatte. Demoiselle Viktoria hatte zu Paris, zu Budapest, zu Krakau und Rom auf Reisen mit ihrer Gräfini ihre Erfahrungen in der Liebe gesammelt und an den jungen Josef Werndl, Büchsenmachergeselle aus Steyr, kostenlos weiterverschenkt. Frau Vevis Augen standen in Tränen des Glücks. Ihre Sinne schwanden. Weit fort war jede Vernunft. Aus tiefster Seele, einer Mahnung gleich, drängten sich die Worte: „Ich laufe meinem Mann davon!" Josef hatte noch nie ein Mädchen gefragt: „Wirst du mich morgen auch noch lieben, wirst du mir treu sein?" Nur gefordert und genommen. Josef hielt nun eine Ehefrau in seinen Armen. Aus Übermut, aus jugendlichem Leichtsinn hatte

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