„Vaterländische Reise von Grätz über Eisenerz nach Steyr“
8 zu jener der Landwirte und führen das eingeschränkte Leben dieser Stände. Steyr wäre also der Ort, in welchem es dem denkenden Manne recht wohl sein könnte, wenn er nicht sehen müsste, dass diese Einfach- heit der Sitten von einer gleichen Schwerfälligkeit des Geistes begleitet und dass der innere Mensch nicht viel mehr geputzt ist als der äußere. Man fühlt bald, dass man hier in allem gerne beim Alten bleibt und die Fortschritte der Wissenschaften in den neueren Zeiten nicht allein ver- kennt, sondern auch für gefährlich hält. Wenn man sich daher im Um- gang durch eine großeMasse von Aufrichtigkeit und Herzensgüte, durch die Erfahrungen, welche Kaufleute und Fabrikanten zufälligerweise auf einigen nicht sehr weiten Reisen oder mittels Korrespondenz sich erwer- ben, und durch die Kenntnisse eines jeden über sein Gewerbe selbst — Eigenschaften, die im Vorbeigehen gesagt, doch viel mehr inneren Ge- halt haben als das schöngeistige Geplauder mancher jungen Herrn — für den Abgang an Politur, Aufklärung über allgemeine Gegenstände und wissenschaftlicher Ausbildung nicht entschädigt hält: so wird man sich freilichmit den Einwohnern der Stadt Steyr nicht amüsieren können und sich bald nach einer andern Gesellschaft sehnen. Es sind auch die Gelegenheiten zu gesellschaftlichen Zusammenkünften hier nicht so vorhanden wie in anderen Städten gleicher Größe; man hat keine allge- mein besuchten Promenaden und wenig öffentliche Unterhaltungsorte, in welchenman sich versammelt. Gewöhnlich trifft man sich des Abends nach vollendeter Arbeit auf den Bänken vor den Häusern, oder man geht nach einem frühen Abendessen in nachbarlicher Freundschaft zu kleinen Spielen und trauten Gesprächen zusammen. An Feiertagen wer- den häufig einige in den Vorstädten und in der Gegend herum gelegene Wirtsgärten besucht, wo man bei gutem bayerischem Bier und nieder- österreichischem Wein sehr jovial ist. Man hatte zwar schon vor vielen Jahren in dem Saal eines Privathauses eine Schaubühne aufgeschlagen; erst vor kurzem aber wurde aus der Kirche eines aufgelassenen Frauen- klosters ein Theater hergestellt, welches gar nicht übel ist. Es wird von Zeit zu Zeit durch wandernde Schauspielergesellschaften besetzt; als ich in Steyr war, spielte eine solche unter der Direktion des Philipp Berndt.
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