Landstrich 1983, Nr. 3, Widerstand

mich selbst erwartet auch das Haus am Ende die Verdammung! Ich werde nichts davon sa gen, was ich gesehen habe, auch nicht der alten Frau. Oben winkte ich den größerender beiden Knaben herbei. Ich schenke dir etwas, sagte ich. Möchtest du einen Stein? Einen Stein? fragte der Junge enttäuscht zurück. Einen schönen, weißen, runden Stein, sagte ich. Du kannst damit spielen oder ihn wegwer fen, wenn er dir nicht gefällt. Meine Hand tastete nach dem kugelförmigen, fast schneeweißen, von zartem, bläulichem Geäder durchzogenen Kiesel, den ich all die Jahre mit mir herumgetragen hatte; die ständi ge Berührung hatte seine Oberfläche glattpoliert. Woher hast du den Stein? forschte der Junge neugierig. Ich wies hinaus in den Garten auf den Apfelbaum, den mein Vater auf einen Steckling oku liert hatte. Dort, sagte ich, unter dem großem Apfelbaum habe ich ihn beim Umgraben gefunden. Das Kind staunte. Du hast auch einmal hier gewohnt? fragte es. Ja, sagte ich, aber das ist lange her! Du solltest der. Stein behalten, flüsterte die alte Frau, mich am Arm packend, es ist dein einziges An.denken! Ich schüttelte den Kopf. Der Junge nahm den Stein, steckte ihn ein und rannte fort. Du hättest den Stein nicht hergeben sollen, sagte die alte Frau. Ich weiß, wie du daran hängst! Ich lächelte. Ich brauche ihn jetzt nicht mehr, sagte ich, und meine Zuversicht überraschte sie. Nach dem Besuch kehrte ich noch in die alte Schenke am Ende der Straße ein. Ich verspür te das heftige Bedürfnis, etwas Scharfes zu trinken. Ich bestellte ein Glas Branntwein. Die hagere, grauhaarige Wirtin bediente mich, unentwegt Zigaretten rauchend, über Pfützen ver schütteten Bieres. Sie sah zu, wie ich trank. Ob ich einen Besuch gemacht hätte in der Gegend? fragte sie. Einen Besuch, ja, so kann man es nennen, sagte ich. Es kommen wenig Gäste her, fuhr sie fort, da fällt ein fremdes Gesicht auf. Am Abend oder an Sonntagnachmittagen, wenn die Ausflügler aus der Stadt einkehren, werden es wohl mehr sein, vermute ich. Nein, sagte die Wirtin und setzte sich zu mir, es ist nicht mehr wie früher. Um mehr Gäste herzulocken, müßte man umbauen, eine Kegelbahn einrichten oder Glücksspielautomaten aufstellen für die Jungen. Aber ich bin müde, seufzte sie, es steht nicht mehr dafür! Sie blickte verloren in die leere Gaststube. Einige der eisernen Füße an den Tischen waren mit schmutzigen Bierdeckeln gestützt. Sie sind Pindus, sagte sie plötzlich. Ja, sagte ich überrascht, ich hätte nicht gedacht, daß man mich hier noch kennt. Ach, sagte sie und ließ ein verzweifeltes Lachen hören, wir sind alle alt geworden . . . Ich hob mein Glas und trank ihr zu, mit irgendeinem Trinkspruch. Ich weiß noch, wie ihr da draußen im Schankgarten gesessen seid, schälte sie Worte aus der Erinnerung, Arthur, Gregor, du und alle die anderen . . . Unter der großen Kastanie, an warmen Sommerabenden, die rötliche, manchmal von Rauch verschnörkelte Silhouette der Stadt im Rücken ... Ihr habt gegessen, getrunken, geredet... Ihr seid ganz wild gewesen aufs Reden! Am Anfang ja, sagte ich; später sei mir aufgefallen, daß wir immer weniger geredet und im mer mehr getrunken hätten! Das sei das Übliche, meinte sie, mit zunehmendem Altergebe man es auf, anderen Leuten seine Meinung aufzuzwingen. Auch sie selbst rede immer weniger, seit geraumer Zeit ei97

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