Landstrich 1983, Nr. 3, Widerstand

Das Land stirbt nie Franz Josef Heinrich mit freund!. Genehmigung des Alfred-Winter-Verlages Salzburg Ich glaubte, das Land zu besitzen, weil ich darauf wohnte, sagte mein Vater, aber es war umgekehrt, es besaß mich! Seiner Vollkommenheit ist nichts hinzuzufügen. Alles, was wir sind, sagte er, haben wir von ihm! Ich weiß nicht, warum ich mich in letzter Zeit so häufig an die Worte erinnere. Ich bin viele Jahre fort gewesen, ich habe anderswo gelebt, in Hauptstädten, Großstädten; wie konnte auf einmal etwas so Unvernünftiges wie Sehnsucht nach einer Landschaft entstehen? Ich unterdrückte das Gefühl, vergaß es, es kam wieder, eine Art leichter Schmerz, ich ertappte mich dabei, was ich stets verabscheut hatte, daß ich alte Photographien anschaute und so gar in den Papierhandlungen Postkarten kaufte mit Ansichten der Gegend darauf, wo ich geboren bin. Zu jeder Jahreszeit sah man dort Vogelscheuchen auf den Feldern, auch im Winter, wenn man vergessen hatte, sie wegzuräumen — enterbte Könige auf ihren ertaubten Reichen. Daran wenigstens wird sich nichts geändert haben, dachte ich. An einem der nächsten Vormittage stak dann plötzlich eine amtliche Benachrichtigung der Friedhofsver waltung in L. im Briefschlitz. Man teilte mir mit, daß die Grabstätte meines Vaters neu ein zukaufen wäre. Natürlich hätte sich die Angelegenheit gegen Einzahlung der vorgeschriebe nen Gebühren auch auf dem Postweg erledigen lassen; beim Ausfüllen des Erlagscheins aber meldete sich wieder dieser merkwürdige, unbestimmte Schmerz. Ich könnte ja selbst hin fahren, beruhigte ich mich, ich würde ganz gern noch einmal sehen, wo alles begonnen hat. Am Wochenende setzte ich mich in den Zug und fuhr nach L. In der Manteltasche trug ich ein Nylonsäckchen mit Stadterde, die ich heimlich im Hof unseres Mietshauses aus den Fu gen zwischen den Pflastersteinen gescharrt hatte. Vom Zugfenster aus beobachtete ich die vorbeifliegende Gegend. Eine Heimat ist, wo man die Väter begräbt, erinnerte ich mich. Ein Fluß, graue Weiden, im Herbst Kartoffelfeuer und Blasmusiken mit Dörfern dahinter: Das war mein Land; ich bin stets ein Gefangener der Ebene gewesen; Gebirge habe ich im mer gehaßt. Hier war die Sprache des Landes gewachsen, hatte in Jahrhunderten ihre Wälle aufgeworfen, Klarheit des Denkens gegen Unterwanderung und Versteppung. Die Sprache war wie die Bäume, im Boden verwurzelt, aus dem sie kam; sie setzte ihre Ringe an, verän derte sich, lebte — wie das Land selbst, eine andere, schwierigere Art von Bodenfrüchten. In L. angekommen, stieg ich in die Straßenbahn um. Häßliche Häuserfronten mit abblät terndem Mauerwerk säumten die Vorstadtstraßen, dazwischen eingeplankte Bauplätze, über die Kranarme schwenkten. Das letzte Stück Weg legte ich zu Fuß zurück. Eine fleckige Plakatwand wucherte bis an die Friedhofsmauer. Reklame über Zahnpaste, Badeanzüge vom nächsten Jahr, Super-Shell-Benzin, Urlaubsreisen nach Teneriffa. Das neueste Modell von General Motors. Zeitungsleser wissen mehr. Der arbeitende Mensch wählt sozialistisch. Im Verwaltungsbüro zeigte ich das amtliche, in Maschinenschrift abgefaßte Schreiben vor. Der Beamte fragte, während er den Akt aushob, ob ich ein Angehöriger des seinerzeit Ver storbenen sei. Nein, log ich, nur ein entfernter Verwandter! Er schwieg, setzte sich hinter das Pult und fertigte eine Quittung aus über den Betrag, den ich ihm aushändigte. Er sagte, das Grab sei nun für weitere zehn Jahre gemietet; es handle sich um ein Tiefgrab; die Be stattung, erklärte er, mich ansehend, einer zweiten Person sei jederzeit möglich. Es sei ein besonders schöner Friedhof, sagte er, seit einigen Jahren nisteten Wildtauben in den Bäu men. Er begleitete mich zum Eingang. Ob ich das Grab besuchen wolle, erkundigte er sich. Ich nickte. Es ist numeriert, sagte er, Sie können es nicht verfehlen. An der Tür stehenblei bend, blickte er mir nach. Bei jedem Schritt, den ich tat, schrie der weiße Kies unter mei93

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