Landstrich 1983, Nr. 3, Widerstand

Die "Größe der Zeit" Mit dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich brach eine neue Zeit herauf. August Eigruber, Gauleiter vom damaligen Oberdonau, einer, der auch nicht gerade aufs Maul ge fallen war, formulierte 1942 dieses Gefühl geradezu klassisch: „Wir müssen immer davon ausgehen, daß wir in der größten Zeit leben, in der überhaupt jemals Deutsche gelebt ha ben". M Anmerkungen siehe Seite 117) Aber Größe verdaut nicht sofort ein jeder. Der Gendarmeriepostenkommandant von Steyr beispielsweise wußte das. In seinem Lagebericht an die dortige Bezirkshauptmannschaft schreibt er zwei Wochen nach dem Anschluß: „Die Leute des hiesigen Überwachungsgebie tes können die Eindrücke der vergangenen Tage nicht alle in sich aufnehmen, und wird erst im allgemeinen das Bewußtsein der Größe und des Wertes des Umbruches nach der Abstim mung [Volksabstimmung vom 10.4.1938] zur Geltung kommen. Auch der bäuerlichen Bevölkerung von Schlierbach, so der Bürgermeister dieses Ortes, mangelte es „am Verständ nis für die Größe der Zeit"^, und H.K., Bauer aus Diersbach, den man nach der Beschrei bung des Gendarmeriepostens Taufkirchen an der Pram einen Stockkonservativen nennen kann, der sich abfällig über den Führer geäußert hatte, wird folgendermaßen charakteri siert: „Er ist streng christlich eingestellt, zwar nicht geistig minderwertig, jedoch seinem Sinne nach nicht in der Lage, sich in die Neuzeit und den Nationalsozialismus einzufinden und anzupassen. Eine Umstellung auf dieses System ist von ihm nicht zu erhoffen und auch nicht zu erwarten."'^ L.F. aus Reichenau im Mühlkreis dagegen erfaßte die „Größe der Zeit" sofort und war ein begeisterter Nazi von der ersten Stunde an. Freilich, „als nach und nach aber die Neuerungen eintraten und sich auch die Steuern erhöhten, wurde sein Inter esse immer geringer."® Er begann zu nörgeln und zu meckern, rutschte 1941 auf die Ebe ne der „Kleinen Kreaturen in großer Zeit" ab, die das nationalsozialistische Revolverblatt österreichischer Beobachter schonungslos aufs Korn nahm. Zunächst aber ging vieles aufwärts, wenigstens nach außen hin. Gra/Silberwürfel werden billiger, und Maggi zieht bald darauf mit den Rindsuppenwürfeln nach.^ Preise für Kaffee, Tee, Kakao werden infolge der Angleichung an die deutsche Umsatzsteuer niedriger, Fern sprechgebühren werden gesenkt. Bahnreisen günstiger; auf 1000 Reichsdeutsche kommen im April 1938 22 Autos, in Österreich auf dieselbe Anzahl nur sechs — ein neuer Markt tut sich auf. Es ist ganz allgemein die Stunde der Konjunkturritter. Eine noch heute gutgehen de Linzer Druckerei wirft Führerbilder, Führerbüsten, Fahnen, Wimpel, Fackeln, Umrech nungstabellen von Schilling auf Reichsmark, Spruchtafeln zum Schmücken von Auslagen („Volk steht zu Volk", „Ganz Großdeutschland — ein Ja dem Führer" etc.) auf den Markt, verlegt sich später, angesichts des nachlassenden Kriegsglücks, wieder mehr auf Verlobungs und Vermählungsanzeigen und ähnliche Drucksorten. Seltsam zweideutige Annoncen fin den ihren Weg in die Zeitungen: Darmol und Leopills kämpfen für die "Blutreinigung" Oberdonaus,' Nivea eignet sich besser denn je „zur Hautkräftigung und Bräunung"^, Amazone — „die führende arische Strumpfmarke" und andere Firmen beeilen sich, ihre Metamorphose in rein arische Unternehmen so rasch wie möglich durchzuführen, um keine Marktanteile zu verlieren. PEZ zeigt in dieser Zeit der Hochspannung über den Anschluß den besten Humor: „Durch übergroßen Jubel heiser geworden? Dann hilft P£Z-Pfefferminz."®* Und über alle Zeitläufe hinweg, selbst den Zusammenbruch überdauernd, bietet die Orienthar in Linz Gesang, Stimmung und Tanz und trotzt mit Janzgirls sogar den na tionalsozialistischen Sprachpolizisten. Firmen zur Erstellung des Ariernachweises schießen aus dem Boden. Der ehemalige Bürgermeister von Haag am Hausruck, Heimwehrführer mit bedenklich jüdischem Namen, ,,legt Wert darauf, seine arische Abstammung [in der Tages post] bekanntzugeben; sein Ariertum lasse sich fünf Generationen zurückverfolgen, was die Gestapo allerdings nicht hinderte, ihn schon in den Anfangsstunden des Dritten Reiches

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